Zum Tod von Brian Wilson: Nicht von dieser Welt
Eine persönliche Erinnerung an Begegnungen mit Werk und Schöpfer
Es war die Dokumentation „I Just Wasn’t Made for these Times“ von Don Was, die aus ein paar – wie ich bis dahin dachte – netten Surf-Songs ein großes Drama und eine lebenslange Liebe machten. Weil der Komponist dieser Lieder den Titel des Films schon nach wenigen Minuten einlöste. Er war tatsächlich nicht gemacht für Zeiten wie diese. Hatte nichts von dem, was ich mir unter einem Popstar vorstellte. Nicht die Posen, nicht den Swag, nicht das Sendungsbewusstsein. Er fühlte sich nicht wohl, wenn er vor er Kamera etwas sagen sollte. Das spürte ich. Aber er war bei sich, wenn er seine Lieder spielte und sang.
Und wenn diese, wie etwa „Do It Again“, am Strand spielten und von den gebräunten Körpern der „California Girls“ handelten, dann hatte man doch das Gefühl, dieser kalifornische Traum könnte jeden Moment in den Alptraum kippen, denn das Meer war tief und einsam und die dunkle Nacht drohte bereits, die Sonne zu verschlucken.
Ich hörte die Hits der Beach Boys mit anderen Ohren nach diesem Film. Und ich kaufte mir „Pet Sounds“, die Platte mit dem Song, der der Doku den Titel gab. Und ich verstand nicht, wie ein Album, das klang wie nichts anderes, was ich kannte, und auf dem so viel von Traurigkeit gesungen wurde, das ultimative Pop-Album sein konnte.
Tiefe und Tröstlichkeit
Viele Jahre später ahnte ich, dass es etwas mit den unerfüllten Sehnsüchten zu tun haben könnte, von denen die Beach Boys da sangen. Denn sind es nicht die Illusionen, die zerplatzten Träume und Wünsche, von denen Popmusik immer handelt? Doch nur Brian Wilson konnte sie mit dieser Melancholie inszenieren, die den vom Werbetexter Tony Asher geschriebenen Lyrics diese Tiefe und Tröstlichkeit geben. Gibt es etwas Schöneres als den Moment, in dem Brian Wilson in „You Still Believe In Me“ singt: „I wanna cry“?
„I know there’s an answer/ I know, but I have to find it in myself“, weiß Wilson an anderer Stelle – und mehr konnte der Maharishi Mahesh Yogi der Popwelt ein Jahr später auch nicht beibringen. Ob er selbst die Antwort je gefunden hat, kann ich nicht sagen. Nicht, weil ich ihn nicht danach gefragt hätte – das habe ich. Aber ich begegnete ihm, nachdem ihn die inneren und äußeren Dämonen – der Wahn, die Ängste, die Depression, Mike Love, Eugene Landy – zu einem Schatten seiner selbst gemacht hatten. „I don’t know“, sagte er nur und lachte ein Lachen, in dem keine Freude steckte.
Und wenn ich ihm Fragen zu seinen Kompositionen oder zu den Aufnahmen von „Pet Sounds“ und dem gescheiterten Nachfolger „Smile“ stellte, begann er seine Antworten nicht selten mit den Worten „They told me …“, oder er sagte mechanisch ein paar Sätze auf, die er aus einer Bandbiografie über die Beach Boys memoriert zu haben schien. Wenn ich bei meinen drei oder vier Interviews und Begegnungen mit ihm etwas verstand, dann dass die Sprache, in der er sich zu Hause fühlte, nicht aus Wörtern und Sätzen bestand. Es war die Musik, in der er eine perfekte Harmonie herstellen konnte, wie es sie in seinen Gedanken und in seiner Familie nie geben konnte.