Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Bob Dylan, U2, The Cure, Smashing Pumpkins, U2, Beatles. Dies sind die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

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Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Bei der Bitte an die Beiträger, empfehlenswerte, bedeutende, ja womöglich verkannte Doppelalben zu nennen, war der erste Gedanke: Wie oft werden „Blonde On Blonde“, das „Weiße Album“ und „The Wall“ genannt? Weil die Kollegen das aber auch bedachten, wurde Dylans Platte von 1966 zwar am häufigsten, doch nur fünfmal vorgeschlagen. Ausdrücklich wollen wir eine individuell gefärbte Übersicht von Alben dieses Formats, das ja jede auch ein Kunstformat ist, geben – und dabei auch entlegenere, nicht kanonisierte Alben berück­sichtigen. Als Ausgangspunkt und Anlass: das 45. Jubiläum von „­Physical ­Graffiti“ von Led Zeppelin, natürlich ein Flaggschiff des Verschwenderischen der früheren Vierseitig­keit auf Vinyl.

Nach unserem Regularium gelten solche Veröffentlichungen als Doppel­album, die auf Vinyl – oder später auf CD – als Doppelalbum konzipiert waren; wurde eine Doppel-LP später auf eine einzelne CD gebannt, bleibt es dennoch ein ­Double. Live-­Alben sollten gelten, denn Konzertaufnahmen verlangen geradezu die üppige Form. Nicht zugelassen waren Tripel-, Quadrupel- und noch umfänglichere Platten, die ja eher dem entsprechen, was heute als „Boxset“ geläufig ist, und die auf größere ­Kohärenz (oder Inkohärenz!) aus sind. Das stärkste Vorkommen des Doppel­albums ist in den 70er-Jahren zu verzeichnen, als der Verkauf von Tonträgern olympisch wurde und die Rockmusik immer epischer, verzweigter, einfach größer, manche behaupten: megalo­manischer.

Hervorgebracht wurde das Doppelalbum aber in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre, als die Ideen und der Anspruch in der populären Musik eine elaboriertere, auch wagemutigere und spielerische Bindung verlangten.

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Bob Dylan: „Blonde On Blonde“ (1966)

Als Bob Dylan am 5. Oktober 1965 im New Yorker Columbia-Studio mit den Aufnahmen zu „Blonde On Blonde“ beginnt, streiten sie noch heftig über seine Elektrifizierung und das Newport-Fiasko, beschimpfen ihn die Folkniks als Ketzer. Ein Jahr lang hat er Songideen gesammelt, während der nerven-aufreibenden Welttournee Zettel vollgekritzelt. Jetzt holt er sich die Hawks als Backingband ins Studio und zieht, nachdem es in New York nicht so gut läuft, nach Nashville um.

Dort endlich entsteht das, was Dylan später „diesen dünnen, wilden Quecksilber-Sound“ nennt. „Blonde On Blonde“ erscheint dann am 20. Juni 1966, schließt nicht nur Dylans ersten Rockzyklus ab, der mit „Bringing It All Back Home“ und „Highway 61 Revisited“ begonnen hat, sondern darf auch als das erste Doppel-album in der Rockhistorie gelten. Frank Zappas „Freak Out!“ wird eine Woche später veröffentlicht.

Die 14 Songs verweigern sich verrätselt jeder Einengung. Dylan lädt Rock’n’Roll, Country, Folk und Blues surrealistisch, expressionistisch oder symbolistisch auf und gefällt sich in der Rolle des an Arthur Rimbaud und William Blake geschulten Erzählers, dem man niemals trauen darf. Während die dreiste, mit Blechbläsern dekorierte Satire „Rainy Day Women #12 & 35“ bekifft kichernd („Every-body must get stoned!“) nach New Orleans schielt, schlurft der Blues „Pledging My Time“ nach Chicago.

Während das Großwerk „Visions Of Johanna“ ein verstörend-verworrenes Liebeslied ist, ist „I Want You“ eine als Popsong verkleidete Hymne auf das Begehren. Und am Ende erwartet einen das elfminütige Walzer-Versepos „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“, das eine Plattenseite füllt, das ein Hochzeitslied für Dylans erste Frau, Sara, sein könnte und das Dylan damals für „den besten Song, den ich jemals geschrieben habe“, hielt. 

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

The Jimi Hendrix Experience: „Electric Ladyland“ (1968)

„Electric Ladyland“ ist ein Paukenschlag wie „Blonde On Blonde“ und das „White Album“: eine Demonstration der künstlerischen Überlegenheit. Es war nie so sehr Hendrix’ viel gepriesenes Meistergitarristentum, sondern seine überwältigende Kreativität, die bis heute Rockmusikliebhaber-Kinnladen herunterklappen lässt. Auf diesem Doppelalbum genießt er die Freiheit wie einen LSD-Trip, gönnt sich viertelstündige Blues- und Psychedelic-Jams, streut immer wieder geniale Kompositionen ein („Crosstown Traffic“, „Voodoo Child [Slight Return]“) und schüttelt mit der Interpretation von Dylans „All Along The Watchtower“ eine der besten Coverversionen der Rockgeschichte aus dem Ärmel. 

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

The Beatles: „The Beatles“ (1968)

Das leere Cover ist eine Mogelpackung. Auf dem einzigen Doppelalbum der Beatles geht es in Wirklichkeit noch bunter und turbulenter zu als auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Den Riss, der längst schon durch die Band geht, kann man aber förmlich hören: Da Paul McCartneys Solo „Blackbird“, hier „While My Guitar Gently Weeps“ von George Harrison, der einfach Eric Clapton ins Studio holt, und dort John Lennons bizarre Collage „Happiness Is A Warm Gun“. Ein Album, das viele Ideen als Fragmente stehen lässt, ständig neue Genres ausprobiert, mit dieser inneren Unruhe und Zerrissenheit letztlich auch musikalisch das Jahr 1968 abbildet – und in der Postmoderne ankommt. 

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Bee Gees: „Odessa“ (1969)

Der in rotem Samtimitat mit Goldlettern gehaltene Umschlag sagte alles über den Größenwahn im Pop Ende der Sechziger. Damals von Rock-Hörern der Schnulzigkeit bezichtigt, berückt „Odessa“ aus fünf Jahrzehnten Distanz mit seinen komprimierten Klavierklängen, emphatisch schnarrenden Akustikgitarren, Bill Shepherds neoromantischen Orchesterarrangements und der Vokaldramatik der Brüder Gibb. Eine 1976 um Unverzichtbarkeiten wie „Black Diamond“, „Suddenly“ oder „Lamplight“ gekürzte, als einfache LP auf den Markt geworfene Neuausgabe dient als mahnender Gegenbeweis zur oft verbreiteten These, jede Doppel-LP lasse sich auf eine stärkere einzelne reduzieren. 

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Captain Beefheart: „Trout Mask Replica“ (1969)

Erstes offiziell modernes Kunstwerk der Popmusik. Beefheart grölt, grunzt, heult 28 Beatnik-Surrealismen in eine halluzinogene Welt, in der sich unter anderem steinalter Blues, ungestimmte Psycho-Gitarren, polyrhythmische Schepperdrums und seine trötenden Blasinstrumente aus vermutetem Free Jazz treffen. Quälix Van Vliet hat die Musiker angeblich monatelang im Laurel Canyon kaserniert und ausgehungert, um sein Konzept in die Hirne zu waschen. Zappa hat vier Stunden produziert. Für viele nachvollziehbar „Mission: Unlistenable“, aber wenn es kickt, will man nicht mehr runter und fühlt sich auf verwahrloste Weise befreit. Der „Dachau Blues“ ist ein rarer Kandidat für Adornos Jukebox.