Sean Combs: Das Geheimnis von Ernie von Bert

Babyöl, Ketamin und MDMA. Zeugin „Jane“ schildert ausführlich ihr Abrutschen in eine fatale Abhängigkeit.

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Nach der Verhandlungspause hat am Donnerstag (6. Juni) die zweite Frau ausgesagt, die HipHop-Mogul Sean „Diddy“ Combs vorwirft, von seinen Sex-Machenschaften betroffen gewesen zu sein. Sie wird in den Akten des Southern District of New York als „Opfer 2“ geführt, im Prozess unter dem Pseudonym „Jane“.

„Er war charmant, wirklich nett“, sagte Jane aus. „Ich fühlte mich sofort zu ihm hingezogen“

Die Staatsanwaltschaft hatte bislang weite Teile ihrer Geschichte unter Verschluss gehalten. Nun wird behauptet, Combs habe sie zwischen 2021 und 2024 mit Drogen sediert und sie zu vorab arrangierten, tagelangen „Freak-Offs“ mit männlichen Begleitern gezwungen.

Nach der Zeugin „Mia“ geriet „Jane“ vergleichsweise spät in den Blickpunkt der Ermittler. Sie soll Combs gegenüber im Vorfeld gesagt haben, dass die Lektüre von Casandra „Cassie“ Venturas Anklage wie die Lektüre ihres eigenen „sexuellen Traumas“ sei. Die R’n’B-Sängerin war die Ex-Freundin des Chefs von Bad Boy Records.

Prozess-Beobachter sprechen von einer „emotionalen Aussage“ im Bundesgerichtssaal in Lower Manhattan. „Jane“ gab an, dass sie Combs 2020 zum ersten Mal begegnete, als er mit einer Freundin von ihr zusammen war. Combs lud beide Frauen auf einen Trip zu seinem Miami-Anwesen ein. „Er war charmant, wirklich nett“, sagte Jane aus. „Ich fühlte mich sofort zu ihm hingezogen.“

Combs war „Ernie“ und sie „Bert“, ein Spaß mit der Sesamstraße

Die beiden tauschten Nummern aus, vereinbarten Decknamen. Combs war „Ernie“ und sie „Bert“, ein Spaß mit der Sesamstraße. Nach ersten Flirts kam es zu weiteren Reisen zu Exotik-Zielen. Auf den Bahamas forderte Combs sie auf, Ecstasy zu nehmen; „dann macht es mehr Spaß“. Sie hat das MDMA schlecht vertragen, ihr Körper zitterte.

Jane gab an, dass Combs’ frühere Protokollchefin Kristina Khorram und sein Butler sie nach einem Vorfall unter die Dusche stellten, um sie zu beruhigen. Sie habe etwa zwölfmal Ecstasy mit Combs konsumiert. Er habe ihr anschließend 10.000 Dollar überwiesen – als Ausgleich für die „Fehlzeiten“ als Model und Influencerin.

Sie habe die Beziehung zu Combs bis zu seiner Verhaftung im vergangenen September fortgeführt. Er insistierte auf eine „offene Beziehung“. Sie akzeptierte sie das „aus Liebe“, blieb selbst aber monogam. Zudem schilderte sie, dass Combs sie regelmäßig mit Drogen wie Ecstasy, Kokain und Ketamin versorgte, die auch bei ihren sexuellen „Encounters“ eine Rolle gespielt haben sollen.

„Stripper-Hi-Heels“ waren Pflicht

Nach dieser „Pärchen-Phase“ soll die Situation dann eskaliert sein: Combs forderte Jane auf, „Stripper-Hi-Heels“ zu tragen, in Verbindung mit rotem Schummerlicht und Porno-Einspielern über einen Bildschirm.

Zeugin Jane brach in Tränen aus, als sie eine rund zwölfstündige Soiree mit Drogen und Sex schilderte, die im Mai 2021 schließlich zu einer „Entführung“ in eine Hotel-Suite geführt haben soll. Hier hatte sie auf Verlangen von Combs Sex mit einem männlichen Escort. Als sie diesen bat, ein Kondom zu benutzen, sei Combs eingeschritten: „Nicht nötig“
Jane gab an, dass sie von einer Art „Einführungsritual“ in Combs Welt ausgegangen war. Sie glaubte an einmalige Erfahrung, bei der er ihre Grenzen testen und Tabus brechen wollte. Stattdessen war es ein verhängnisvolles Abdriften.

„Diese Nacht öffnete die Büchse der Pandora“, gab Jane an. Die „Hotel Nights“ mit Combs wäre zur Regel geworden. Sie hätten 90 Prozent ihres Sexlebens ausgemacht. Dabei kamen regelmäßig über zwei Dutzend Fläschchen Babyöl zum Einsatz (das laut vorherigen Angaben oftmals mit Drogen versetzt war), weshalb Möbel mit Decken abgedeckt wurden. Die Eskapaden dauerten 24 bis 30 Stunden, mit mehreren „Abläufen“ „Diese Nacht war wie eine Büchse der Pandora“, sagte Jane vor Gericht. Sie hätte zunehmend „auf Abruf“ gelebt, da Combs solche Nächte spontan einforderte, teils mehr als einem Escort.

Jane sagte, sie sei von der Beziehung völlig vereinnahmt gewesen

Jane sagte, sie sei von der Beziehung völlig vereinnahmt gewesen – stets bereit, Combs’ Vorstellungen zu erfüllen: glattes Haar, gemachte Nägel, gebräunte Haut. Ihre Karriere als Model und Content Creator habe stark darunter gelitten. Einen Vorschlag, über OnlyFans finanziell unabhängiger zu werden, habe Combs abgelehnt.

Im April 2023 förderte er ihren Umzug nach Los Angeles und zahlte eine monatliche Apanage von 10.000 Dollar – die aber für Miete und Nebenkosten draufging. Er habe Geldgeschenke gemacht, etwa 5.000 Dollar bar oder 20.000 Dollar für Möbel. Als Jane sich gegen die Hotelnächte wehrte und nur noch mit ihm allein schlafen wollte, habe er gedroht, sich zu trennen und die finanzielle Unterstützung zu stoppen. Sie fühlte sich mehr und mehr verpflichtet, diese Nächte „für ihn abzuarbeiten“.

Jane schilderte das Prinzip ihres Abgleitens rund 90 Minuten lang. Sie soll am heutigen Freitag (6. Juni) erneut vor Gericht erscheinen und ihre Aussagen bis Mitte nächster Woche ergänzen.

Auch Jane an den Haaren gezogen

Laut Staatsanwaltschaft ging Combs’ „Control System“ über finanzielle Abhängigkeit hinaus. Es kam zu Drohungen und körperlicher Gewalt. Er soll Türen eingetreten, Jane an den Haaren gezogen und sie getreten haben, während sie am Boden kauerte. Auch Ex-Freundin Ventura hatte zuvor ausgesagt, Combs habe sie über Jahre mit Gewalt zu hunderten „Freak-Offs“ gezwungen.

„Der Angeklagte forderte Jane immer wieder zu seinen „Freak-Off“-Sessions auf. Er stellte ihr wiederholt eine schöne, gemeinsame Zeit miteinander in Aussicht“, sagte die stellvertretende Staatsanwältin Emily Johnson am ersten Tag des Combs-Prozesses. „Das war es, was Jane mehr als alles andere wollte. Eine echte Beziehung.“

Ralf Niemczyk schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.