Was wäre die Musikwelt ohne Sexy Record Covers?

Dass Pop nicht nur mit den Ohren wahrgenommen wird, ist eine Binsenweisheit. Ein Buch versammelt schöne und schaurige Beispiele erotischer Cover-Artworks.

ROLLING STONE Badge
Empfehlungen der Redaktion

Gewitzt feministische Dekonstruktion des männlichen Blicks oder eine erniedrigende Regression hin zur Visualisierung negativer Beziehungsmuster? Für die Analyse des Covers für Sabrina Carpenters neues Album „Man’s Best Friend“ wurde das große Analysebesteck ausgepackt. Gestritten wurde nicht nur auf Reddit, sondern auch in den Feuilletons.

Unabhängig davon, wie man nun gesellschaftspolitisch zu dem Aufmacherbild eines Pop-Albums stehen will, reiht sich die Sängerin mit ihrer provokanten Szene ein in die Galerie der Sexy Record Covers, die seit den 60er Jahren wie selbstverständlich zur Bildsprache der Popkultur dazugehören.

Sex Sells, diese Maxime der Werbewunderwelt, kann sich die Musikindustrie nicht allein auf die Fahne schreiben. Aber ihr Einsatz blieb gerade hier immer im Spannungsfeld zwischen der kommerziellen Verwertung von Nacktheit und einem Versprechen sexueller Selbstbestimmung stecken. Kompromiss für Unentschlossene: Es gibt das eine nicht ohne das andere.

Männer machen Musik, Frauen ziehen sich aus

Erotisierte Bildchen, meistens thematisch völlig unabhängig vom musikalischen Inhalt, nutzte Pop stets als Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren, Rebellion zu inszenieren – und ganz einfach um Platten zu verkaufen. Das visuelle Vokabular schien dabei stets keine Grenzen zu kennen. Es wurde gemacht, was funktionierte, der gute Geschmack blieb dabei nicht nur mit Blick auf ästhetisch gelungene Aktfotografie auf der Strecke.

Nur wenige Beispiele: Nackte Nymphen auf Trommeln, Miniaturautos, die über Russ-Meyer-Hügel fahren, Frauen, die in den unterschiedlichsten Riesengläsern in Alkoholischem baden.

Kaum nötig zu erwähnen, dass es vor allem junge Frauen, in manchen Zeiten gar Mädchen, waren und sind, die sich dort auf den Plattenhüllen rekeln. Nach dem Siegeszug des „Playboy“ und seiner offen zur Schau gestellten Kultivierung des Anzüglichen nahmen Plattencover mit derartigen Darstellungen massiv zu.

Die Sexyness der Sixties mag noch die kokette Andeutung voranstellen (für Herb Ritts „Whipped Cream & Other Delights“ badet eine Schönheit 1965 in Schlagsahne, sie trägt dennoch sichtbar Kleidung darunter), aber schon in den 70ern zeigt sich, dass die Ende des Vorgängerjahrzehnts angestoßene sexuelle Befreiung vor allem eine Entfesselung des männlichen Blicks ist.

Schwülstige Nacktdarstellungen aller Art stehen neben oft zensierten subversiven Varianten progressiver Sexualität. Zu derb darf es nicht sein, aber pikant. Angedeutet werden muss nun nichts mehr. Die Ohio Players lassen für ihr Album „Honey“ (1975) eine entblößte Frau, natürlich, mit Honig übergießen. Vielmehr sie selbst tränkt sich damit. Denn: Die Bildsprache der (Soft-)Pornografie braucht die Legitimation durch die Selbstverständlichkeit der weiblichen Lust als Inszenierung für den potenziellen männlichen Käufer.

Befreite Nacktheit?

Die Nackten schlagen aber in den 80ern zurück! Aerobic, Fitness, und sich verändernde Schönheitsideale sorgen für eine Welle der Selbstermächtigung auch bei den Alben-Artworks der Popmusik. Madonna spielt mit den längst zu drastisch gewordenen Klischees der sexy Bildästhetik, sie emanzipiert die immer schon misogyn gedachte Symbol-Dualität zwischen Heiliger und Hure („Like A Virgin“, 1984), und Prince feiert die Nacktheit als spirituelle Offenbarung („Lovesexy“, 1988). Es stellt sich nur noch die Frage, wer wirklich wen dominiert.

In den 90ern werden die Sexy Record Covers immer ironischer und zitierfähiger. Lil’ Kim, Janet Jackson und viele andere nutzen die geöffnete Sexualität als Machtstatement, sie inszenieren für die Vorschaubilder zu ihren Alben einen Hyperrealismus und ein neoliberales Körperbild, das sich viele Jahre danach noch halten wird und erst in der letzten Zeit öffentlich in Frage gestellt wird. Eine Debatte über Machtverhältnisse wohlgemerkt, die erst das Produkt einer Übersättigung des Angebots ist. Dabei ist der Hedonismus, der all dem zugrunde liegt und von der allzeitigen Verfügbarkeit der Körper träumt, nie verschwunden.

Von Britney Spears über Christina Aguilera bis hin zu Lady Gaga gestaltet sich dann in den 2000ern eine Transformation hin zur digitalen Ästhetik, die Trash-Bildproduktion neben bewusst künstlicher Sexyness gelten lässt. Wer die Ereignispotenziale sexueller Reize zu domptieren in der Lage ist, das zeigen die Plattencover ab den 2010er-Jahren, kann erregen ohne aufzuregen. Splitterfasernacktheit, also Freizügigkeit ohne Filter und Ansage, verschwindet hingegen fast völlig.

Fetische werden dafür mit visualisierter Empowerment-Rhetorik gekreuzt. Beyoncé und FKA twigs behaupten sich als cyborghafte Amazonen. Die Möglichkeiten queerer Spiegelungen finden ein völlig neues Publikum, das darin nicht nur ein Spiel mit den Erwartungen sieht, wie etwa beim frühen David Bowie, sondern auch Realitätsbezüge feststellen möchte.

Nacktheit als Waffe im Kulturkampf

Das Album-Cover, so mag man trotz der nostalgischen Rückkehr zu den großformatigen Vinyl-Hüllen dennoch feststellen, ist nicht mehr das bevorzugte Kampffeld für erotische Expansion. Miley Cyrus schwingt entkleidet und entgrenzt eben nicht für ein Platten-Cover auf der Abrissbirne und posiert als  nackte, ungeschminkte Göre eher für Instagram und Terry Richardson (bevor dieser sich genau als das erwies, als dass er sich in seinen wüsten Pornostelzereien präsentierte – als übergriffiger Lüstling).

Wenn nun Dian Hanson und Eric Godtland für ihr Buch „Sexy Record Covers“ (Taschen, Hardcover, 528 Seiten, 60 Euro) die Geschichte der mal mehr und mal weniger hochsexualisierten Artworks für Musikalben Revue passieren lassen, dann tun sie dies mit dem heiteren Blick des Plattensammlers, der auf einem Flohmarkt Kisten durchschaut und dabei das eine oder andere Schallplatten-Exemplar nicht nur aufgrund der musikalischen Qualitäten mit nachhause nimmt. Die Musikindustrie hat ihre Kunden über all die Jahre so sehr zu Voyeuren erzogen, dass diese das gar nicht mehr bemerken.

Ein kühler kulturkritischer Blick verbietet sich bei dem Thema womöglich von selbst, es dominiert die „Leistungsschau“. Aber auch der Wille das Kuriose und Unkaschierte auszustellen. Geordnet sind die vielen Vorschaubilder in dem Buch nicht nach Skandalpotenzial oder chronologischer Richtung. Stattdessen gibt es zu jedem Genre einen Überblick. Das leuchtet auch aus ökonomischer Sicht ein, produzierten doch Jazz und Soul eine völlig andere Erotik, die sie selbst Charles Mingus zur Ankurbelung der Albenverkäufe andienten, als Pop und Rock.

Die Deutschen, das nur nebenher, sind in dieser Disziplin durchaus Weltmeister, wenngleich sie keine Schönheitspreise für sich veranschlagen dürfen. Und: Humor und Sex, das funktioniert überraschend gut, über die Jahrzehnte hinweg. Der glossy Look kurz vor dem Twerkinganfall von heute entspricht fast 1:1 der Schmuddeligkeit von damals.

Obszönitäten, so will es uns dieses prächtige Sammelwerk klarmachen, betrachtet man heute allerdings nicht mehr mit ejakulativem Interesse, sondern mit dem ironiefähigen Bewusstsein, dass es gute und schlechte Erotik gibt und nur Kenner hier unterscheiden können.

Dass die letzten Jahre etwas zu kümmerlich in dem Band abbildet und gloriose Bild-Erzeugnisse der Subkultur eher nebenläufig abhandelt werden, ist allerdings schade.

Wer nach all diesen Bildeindrücken noch ein Fazit braucht: Erotik auf Plattencovern spiegelt neben ihrer banalen Reizfunktion immer auch gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sie funktioniert gleichsam als ästhetisches Statement und kommerzielle Waffe. Und: Heute scheint vieles feministischer gemeint, aber es ist nur sehr selten radikal neu, das zeigt dieser Bildband sehr deutlich.

 

Taschen
Shout Factory
Taschen
Taschen
Taschen

Marc Vetter schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.