David Bowie: „I Can’t Give Everything Away“ (2002-2016)“

Bowies späte Werke von „Heathen“ bis „Blackstar“ zeigen Rückkehr, Vermächtnis und künstlerische Größe – ein letzter Stern am Firmament

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Ab 1993 trug jedes Bowie-Album den Zusatz „Das beste seit ‚Scary Monsters‘“. Allein, weil man froh war, dass David Bowies orientierungslose 80er-Jahre vorbei waren. Er wurde wieder Konzept-kreativ, ergab sich Steampunk („Outside“), Jungle („Earthling“) und dem neuen World Wide Web („Hours“). Umso erstaunlicher, dass Bowie ausgerechnet mit seinen Classic-Rock-Alben „Heathen“ (2002, 3) und „Reality“ (2003, 3,5) einige seiner besten Kritiken erhielt. Er trug Smoking und war nun ein Legacy-Künstler, dessen Berlin-Konzert der „Heathen“-Tour das ZDF übertrug.

„Heathen“ entstand aus den Trümmern seines „Toy“-Projekts, das Neuaufnahmen eigener Stücke aus den 1960ern („Uncle Floyd“) sowie Cover (etwa „Cactus“ der Pixies) enthalten sollte. Die Nachricht von der Rückkehr des „Berlin-Trilogie“-Produzenten Tony Visconti war etwas größer als die Platte selbst, deren Pop-Songs („Everyone Says Hi“) die High-Art („The Rays“) übertrafen. „Reality“ aus dem Jahr danach ist wie ein Zwillingsalbum, das neben jazzigen Erinnerungen an Nile Rodgers („Bring me the Disco King“) auch die Nine-Eleven-Verarbeitung des Wahl-New Yorkers („New Killer Star“) enthielt.

Dann erlitt David Bowie beim Hurricane-Festival einen Herzinfarkt. Und tauchte für zehn Jahre weitestgehend ab. Dass seine erste neue Single, „Where Are We Now?“, im Internetzeitalter unter Geheimhaltung aufgenommen werden konnte, war Sensation Nummer eins. Nummer zwei: Dass sie die Wörter „Potsdamer Platz“, „Nürnberger Straße“ und „Bösebrücke“ enthielt.

„The Next Day“ und Bowies Rückkehr

Dabei ist „The Next Day“ abgesehen von dieser Rückschau auf Bowies Berlin-Jahre keine Memory-Lane-Arbeit, der „Schulterblick eines Überlebenden“, sondern behandelt die Jetztzeit, die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen: religiöser Fundamentalismus („The Next Day“), Schulmassaker („Valentine’s Day“) und junge Menschen als Kanonenfutter („I‘d Rather Be High“); nur die B-Seiten („Like a Rocket Man“) verwiesen auf Weggefährten. Sein bestes Album seit „Let‘s Dance“ (und besser als „Scary Monsters“!).

Bowies finales Werk „Blackstar“, erschienen zwei Tage vor seinem Tod 2016, ist, das wird mit jedem vergehenden Jahr deutlicher, sein meistgeliebtes. Wie Freddie Mercury mit „Innuendo“ hat Bowie es mit letzter Kraft eingesungen. Aber es soll nicht nur Testament („Lazarus“), sondern auch Rätsel für die Nachwelt („I Can’t Give Everything Away“) sein: Ich bin bald oben im Firmament, aber genauso schwer zu entschlüsseln wie das All. Allein die Symbole auf dem „Blackstar“-Cover gelten als nicht vollständig gedeutet.

Die „Blackstar-Ära“ und Vermächtnis

Tony Visconti sagte mal, es gebe zwei weitere unveröffentlichte „Blackstar“-Lieder. Sie fehlen zwar, und überhaupt beinhaltet diese Box wie alle fünf vorangehenden Bowie-Ära-Boxen keine Outtakes. Das schien für Bowie, der früh von seiner Krebserkrankung erfuhr und die Inhalte aller Sets womöglich mitbestimmen durfte, Politik zu sein. Aber diese Kollektion umfasst seine letzten 14 Jahre recht gut. Es enthält Just-because-we-can-Quatsch, wie das auf Poe basierende Lou-Reed-Duett „Hop Frog“ oder das Electro-Gezappel „(She Can) Do That“ – 2005 der erste Song nach seinem Herzinfarkt, keiner bekam dieses Mini-Comeback mit.

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Aber es beinhaltet eben auch den Montreux-Auftritt von 2002, bei dem Bowie das „Low“-Album auf analogen Instrumenten und in Gänze aufführte, „Weeping Wall“ wie immer ausgenommen. Seine Rückkehr auf die Bühne, auch hier zu hören, feierte er vor 20 Jahren mit Arcade Fire. Unsicher im Schritt, aber mit Stolz im Blick. Er sang mit ihnen deren „Wake Up“. Aber vorher noch einen eigenen Hit: „Life on Mars?“. Dort wollte er immer hin. (Warner Music)