Steve Vai im Interview: „Robert Fripp erfand Prog gleich zweimal neu“
Gitarrenlegende Steve Vai im ausführlichen Interview über die King-Crimson-Supergroup Beat.
Steve Vai und Adrian Belew verbindet einiges – nicht zuletzt die gemeinsame Schule bei Frank Zappa. Beide spielten in Zappas Band (zu unterschiedlichen Phasen und in unterschiedlichen Funktionen), eine Zeit, die natürlich verbindet und prägt. Vai und Belew gehören außerdem zu den originellsten Gitarristen ihrer Zunft, Musiker, die ihr Instrument nicht nur meisterten, sondern gewissermaßen auch neu erfanden und definierten. Passend also, dass Ex-King-Crimson-Mitglied Belew seinen alten Bekannten Vai anrief, als er die Idee zu einem besonderen Projekt hatte: eine Neuinterpretation der drei King-Crimson-Alben der Achtziger, Discipline, Beat und Three of a Perfect Pair. Daraus wurde BEAT: eine Supergroup mit Tony Levin am Bass und Tool-Drummer Danny Carey.
In Europa hatten Fans bislang noch nicht das Vergnügen, die Band live zu erleben – anders in den USA, wo BEAT 2024 65 ausverkaufte Nordamerika-Shows spielten. 2025 folgte eine Tour durch Mexiko und Südamerika. Nun erscheint mit BEAT LIVE ein Livealbum, das zeigt, wie spannend Belews Vision umgesetzt wurde und wie richtig seine Wahl war, Vai in die Band zu holen.
ROLLING STONE sprach mit Steve Vai ausführlich über die Band, seine Beziehung zu King Crimson, über Schwierigkeiten und Herausforderungen – und über die Unterstützung von King-Crimson-Gitarrenlegende Robert Fripp, der zwar nicht mitmachte, der Sache und Vai aber mehr als nur seinen Segen gab. Das Gespräch gibt es auch als Videointerview in voller Länge.
Steve, was war deine erste Reaktion, als du von dem Beat-Projekt gehört hast – und dass du die Gitarrenlinien von Robert Fripp neu interpretieren und repräsentieren sollst?
Vai: Als Adrian mich das erste Mal anrief, war das noch vor der Pandemie. Als ich hörte, dass Adrian am Telefon ist, dachte ich sofort: Oh, vielleicht will er irgendwas mit zwei Gitarristen machen, die verrückte Sachen spielen. Dann erzählte er mir von der Idee, diese drei King-Crimson-Alben ins Zentrum zu stellen, eine Band zusammenzustellen und sie live aufzuführen.

Er sagte mir, dass er Robert gefragt habe – der war aber beschäftigt – und auch Bill anfragen wollte. Aber der erste Anruf ging an mich. Mein erster Gedanke war: Ich liebe diese Musik. Sie war damals so einzigartig, auf so vielen Ebenen. Mein zweiter Gedanke war: Wie steht Robert dazu? Ich kannte ja die Dynamiken nicht, die Politik dahinter, und wollte sichergehen, dass das in Ordnung ist. Und der dritte Gedanke war: Kann ich das überhaupt spielen?
Also fragte ich Adrian, was Robert dazu sagt. Adrian meinte: „Robert gibt seinen Segen. Er kann selbst nicht mitmachen, aber er hat sogar den Namen vorgeschlagen – Beat. Und er hat gesagt: Du bist der Einzige, der das machen kann.“ Ein unglaubliches Kompliment. Aber ich musste das erst mal glauben.
Also habe ich mir die Musik noch einmal angehört. Es ist gar nicht so leicht, die Parts herauszuhören, weil die beiden Gitarren damals so ähnlich klangen und ineinander verzahnt spielten. Aber ich hörte sie heraus und dachte: Ja, das liegt in meinem Spielfeld. Also sagte ich zu. Dann kam die Pandemie, alles wurde gestoppt. Ich machte mein Album Inviolate und ging auf große Tour. Adrian wartete. Als es dann soweit war, gab es ein großartiges Transkriptionsbuch mit allen Gitarrenparts, wirklich forensisch genau. Und da wurde mir klar: Das hier ist Fripp, 35 Jahre alt, auf dem Höhepunkt seines Könnens. Und ich bin ein 65-jähriger Vai mit völlig anderem Stil.
Der Großteil lag völlig in meinem Spielbereich. Ich liebe polymetrische, komplexe Sachen – das resoniert mit mir. Aber manche Dinge waren sehr spezifisch für Roberts Spielweise. Einige konnte ich leicht abwandeln, um sie für mich besser spielbar zu machen, ohne die Noten zu verändern. Das war mir wichtig: die Noten zu ehren. Viele spielen diese Musik wunderschön, aber freier, nicht exakt, was die Jungs damals wirklich spielten. Ich wollte so nah wie möglich dran sein.
Manche Sachen konnte ich nicht ändern. Zum Beispiel das berüchtigte Riff von „Frame by Frame“ – nur vier Noten, aber Crosspicking in Höchstgeschwindigkeit, endlos wiederholt. Vor meinen Schulter- und Finger-Operationen hätte ich es wahrscheinlich relativ gut spielen können, aber ich konnte mich nicht darauf verlassen. Und wenn ich so etwas spiele, will ich, dass es kugelsicher ist. Also entwickelte ich eine „Cheat“-Variante mit Doppelanschlag. Das funktionierte und ich konnte es auf dem Griffbrett verschieben, aber irgendetwas daran fühlte sich wie ein Kompromiss an.
Zwei Shows nach Tourstart schrieb mir Robert. Er war die ganze Zeit über sehr unterstützend, wir hatten viele schöne Gespräche. Er schrieb: „Ich habe Clips gesehen und mag, was du mit meinen Gitarrenparts machst. Bei ‘Frame’ – versuch doch mal, eine Hammer-on-Melodie zu spielen, die du verschiebst, und bei Akkordwechseln wieder Hammering.“
Interessanterweise hatte ich darüber nachgedacht, es aber verworfen, weil es mir zu weit weg vom Original schien. Aber wenn der Vorschlag von Robert selbst kommt – perfekt. Ich habe es am selben Abend ausprobiert, improvisiert – und es funktionierte großartig. Es ehrt die Noten, bringt aber meine eigene Handschrift hinein.

Dann gab es noch „Waiting Man“ – ein 15/16-Riff, alles in Quarten. Quarten auf der Gitarre in dieser Geschwindigkeit – das übt man ein Leben lang. Also stimmte ich meine Gitarre einen Halbton tiefer, um offene Saiten nutzen zu können, hämmerte die Noten – alles korrekt, aber auf meine Art.
Manche Stücke sind wie „booby-trapped“. Bei „Three of a Perfect Pair“ zum Beispiel – ein Monster. Vier Minuten reine Achtelnoten mit weiten Intervallen. Ich musste mich richtig hineinknien, es buchstäblich in meine Hände zwingen. Aber es hat funktioniert, ich habe es durch die ganze Tour großartig gespielt. Und weißt du was? Ich mochte die Herausforderung. Ich bin mein ganzes Leben zu Herausforderungen hingezogen worden – Zappa war eine Riesenherausforderung, ich wusste das, auch Alcatrazz, Dave Roth – immer: Wo ist die Herausforderung? Bei meinem letzten Soloalbum Inviolate war es genauso: „Hydra“, „Knapsack“, „Little Pretty“, „Candle Power“ – alles riesige technische Hürden. Ich fühle mich nicht erfüllt, wenn ich nicht etwas habe, das mich wirklich fordert. Deshalb war Beat genau der richtige Gig für mich.
Am Schlagzeug habt ihr Danny Carey – einer der großartigsten Rock- und Metal-Drummer unserer Zeit. Er war, genau wie du, nicht Teil der ursprünglichen King-Crimson-Ära. Habt ihr über seine Herangehensweise gesprochen?
Ja, wir haben vor den Proben ein paar E-Mails ausgetauscht. Natürlich bringt jeder seine eigene DNA ein – sonst wärst du nur eine Coverband. Bei einem Beat-Konzert siehst du mich arbeiten – und mich selbst sein. Dasselbe bei Danny.
Er ist Bruford-Fan, er kennt dieses Material und hat seinen eigenen Überbau hineingebracht. Für mich war das wie bei meinen Gitarrenparts: Sie sind da, aber da ist noch etwas Eigenes, Persönliches darübergelegt. Und ich muss sagen: Ich habe mit vielen großartigen Drummern gespielt. Aber was Danny bei seinen Soli gemacht hat, war unglaublich. Jeden Abend improvisierte er, wiederholte sich nie, war komplett verbunden mit dem Moment. Ich war oft einfach sprachlos.
Wie entwickelte sich die Bandynamik?
Wenn du so eine Tour startest, verändert sich alles mit der Zeit. Du lernst die Parts besser kennen, findest Sweet Spots, merkst, wie die anderen bestimmte Stellen spielen, und wächst als Kollektiv zusammen. In den Proben kannst du nur bis zu einem gewissen Punkt gehen: Du lernst die Noten, bekommst die Songs unter die Finger, machst die Band tight. Aber wenn du dann auf die Bühne gehst – das ist ein völlig anderes Spiel.
Die erste Show war … na ja, wir alle dachten: Was passiert jetzt? Schaffen wir das überhaupt? Das ist schweres Zeug. Ich war monatelang davor angespannt. Ich wusste, ich kann die Sachen üben – aber es ist Jahrzehnte her, dass ich auf die Bühne gegangen bin und so komplexes Material gespielt habe. Mein Kopf sagte: Was, wenn du das nicht schaffst? Diese kleine Stimme der Angst.
Natürlich hat sie jeder. Aber es gibt auch die stärkere Stimme, die sagt: Halt die Klappe, du hast das drauf. Du wirst das rocken. Trotzdem – bei der ersten Show war ich nervös, was bei mir selten ist. Sie war okay, aber ich merkte: Ich hab’s drauf, es wird besser. Die zweite Show lief schon viel runder. Nach ein, zwei Wochen war die Band so richtig drin.
Tony improvisiert ständig, Danny ebenso. Die Chemie wuchs. Irgendwann war es einfach eine fantastische Show. Ich hasse es, sowas zu „verkaufen“, weil es cheesy klingt, aber: Man sollte diese Show nicht verpassen. Die Reaktionen waren großartig – Presse, Fans, alle waren begeistert. Wir hatten wirklich Glück, es war fast durchgehend überschwängliches Feedback.
Wie war deine Beziehung zu King Crimson, bevor du das Projekt angenommen hast?
Als Teenager war ich ein Rock-Kopf – Zeppelin, Queen, Sabbath, Purple. Dann brachte mich ein Freund auf Prog, drehte mir King Crimson auf. Erst dachte ich: Ganz gut, aber kein Zeppelin.
Als Exposure von Robert Fripp herauskam, kaufte ich die Platte, und da hat es Klick gemacht. Ich habe mich mit dem frühen Crimson-Material beschäftigt. Dann kamen die 80er – Discipline, Beat, Three of a Perfect Pair – und ich war völlig hin und weg. Danach habe ich sie weniger verfolgt, aber wenn man ein Album 50-mal hört, steckt es im Blut. Ich habe riesigen Respekt für Robert Fripp – er hat Prog praktisch zweimal neu erfunden.
Für mich war es immer passend, dass du das machst – du und Fripp, ihr seid zwei Gitarristen, die eine ganz eigene Sprache auf ihrem Instrument entwickelt haben.
Danke – und weißt du was? Es war auch für mich selbst spannend zu sehen, was ich in diesem Kontext machen würde.
Adrian Belew war ja, genau wie du, auch in Franks Band. Sprecht ihr viel über Zappa?
Ja, immer wieder. Unter Ehemaligen gibt es unzählige Zappa-Geschichten. Adrians Rolle war ganz anders als meine – er war Sänger, hatte dieses unglaubliche Rhythmusgefühl. Die Beat-Alben haben mir gezeigt, wie groß sein kreativer Beitrag war – er machte die komplexen Songs zugänglich, mit Melodien und großartigen Texten Und seine Gitarrenklänge – niemand macht, was er macht. Es gibt keinen anderen Spieler auf seinem Spielfeld. Ich sehe ihn jeden Abend und denke: Ernsthaft, du machst DAS? Er ist ein stiller Genießer, ein leiser, aber brillanter Geist.
Wie hast du das Projekt technisch angegangen – also in punkto Equipment?
Das war eine der kreativsten und spaßigsten Seiten des Projekts. Ich habe mein Haupt-Rig genutzt – Synergy-Preamps, Fryette-Endstufe, Fractal Axe-FX III. Aber diese Grundsound war nicht das Fundament, das der King-Crimson-Sound brauchte.
Also habe ich einen Roland Jazz Chorus ausgepackt – diese Amps waren damals der Sound – und ihn in mein Setup integriert. Für jeden Song, jede Sektion musste ich entscheiden, welche Amp-Kombination passt, alles programmieren, sodass es automatisch schaltet. Die größte Herausforderung waren die Synth-Parts. Crimson waren damals die Ersten, die diese Gitarrensynths nutzten und sie an die Grenzen trieben. Ich hatte sogar noch einen alten GR-300, aber die sind unzuverlässig und schwer zu bekommen – du müsstest drei Stück haben, um Ersatzgeräte zu haben. Also habe ich mich entschieden, das nicht zu tun.
Ich habe Roland kontaktiert, mir SY-1000 und GM-800 besorgt. Leider konnte man die alten Patches nicht einfach importieren. Also habe ich selbst programmiert. Ich habe Roland Sounds geschickt, gesagt: „Ich brauche einen Sound, der so klingt wie das hier.“ Aber irgendwann habe ich selbst Hand angelegt und diese Geräte bis ins Detail gelernt. Ich habe die Sounds zerlegt, Layer gebaut – teils mit bis zu acht Synths in einem Patch – und so die Klangwolken nachgebaut, nur größer, mit mehr Dynamik. Das war ein riesiger Spaß.
Steve, wir haben in unserem allerersten Interview vor vielen Jahren mal über Meditation gesprochen. Deshalb wollte ich fragen: Wie bereitest du dich vor einem Konzert vor – mental?
Es gibt für mich zwei Arten von Meditation – die „Doing“-Meditation und die „Being“-Meditation. „Doing“ bedeutet, du gibst einer Tätigkeit deine volle Aufmerksamkeit, ohne mentale Störungen. Das ist der Zustand, in dem man am inspiriertesten und brillantesten ist – aber er ist schwer zu erreichen und zu halten.
„Being“ bedeutet, einfach präsent zu sein. Vor einer Show versuche ich, präsent zu werden: Ich sitze kurz still, atme, lasse den Kopf leer. Das ist für mich das Heilmittel gegen alles: nicht in die Zukunft denken („Was wird passieren? Was denken die Leute?“) und nicht in die Vergangenheit.
Im Jetzt ist eigentlich alles okay. Wenn du keine Geschichten im Kopf erzählst, alles so sein lässt, wie es ist – das ist Frieden. Das ist für mich die beste Vorbereitung auf eine Show – oder auf alles im Leben.