Abschied von Refused: Opa Punk ist in die Jahre gekommen, muss ein bisschen langsam machen

In München spielen Refused das letzte Deutschlandkonzert ihrer Karriere. Das Publikum überrascht. Doch der Gesamteindruck überzeugt leider nicht mehr.

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Es ist 23.05 Uhr als in der Münchener Muffathalle der letzte Akkord von „Pump The Brakes“ verhallt, ein wilder, energetischer Closer, dann geht auch schon das Licht aus, das heißt, dann geht auch schon das Licht wieder an und eine bunte Menge von 1200 Menschen schiebt sich hinaus in die Nacht. Punk ist tot und jetzt haben es auch noch Refused hinter sich. Für immer. Erstmal.

Refused befinden sich gerade auf einer weltweiten Abschiedstour. Am Sonntag spielten die Hardcore-Veteranen in München die letzte Show, die sie offiziell in Deutschland spielen werden, und so sind sie alle gekommen, um hier noch einmal Abschied zu tanzen. Der frickelige Musik-Nerd, der distinguierte Galerie-Inhaber, der Dreadlocks-Hänger und die Hardcore-Fem-Lesbe mit dem kahlrasierten Schädel. Jung neben alt und teilweise sehr alt. Eine Art generationsübergreifendes Familientreffen, aber die Vibes sind durchgehend gut, denn auf Refused können sich alle einigen.

Die Schweden gelten noch immer als die heißgeliebten Musterschüler der avantgardistischen Hardcore-Bewegung, „New Noise“ war mehr als nur ihr größter Hit, es war auch ein eingelöstes Versprechen, mit ihrem dritten Album „The Shape Of Punk To Come“ brachen sie aus dem engen Korsett aus, dass Hardcore ihnen vorgab.

Ein Genrebastard, der die Szene in Brand setzte

Okay, to be fair, natürlich gab es auch schon vor Refused eine Öffnung der Szene, frühe Post-Hardcore-Vertreter wie Quicksand, At the Drive-In oder Nation of Ulysses experimentierten schon einige Jahre zuvor mit Spielformen szenefremder Sounds und Songstrukturen, aber nie zuvor kulminierte das in einem so breit angelegten Genrebastard, wie 1998 in „The Shape“, das zugleich mit jedem Song den Anspruch erhob, ein politisch-revolutionäres Manifest zu sein.

Refused demonstrierten in 55 Minuten und 9 Sekunden, wie die Dekonstruktion von energetischem Punk und intellektuellem Hardcore funktionieren kann, sie vermengten ihren Sound mit Spoken Word, Jazz, Drum’n’Bass, Industrial, Ambient, ja sogar orchestralen Elementen. In seiner Gänze war dieses Album nicht viel weniger als ein Molotowcocktail, den sie auf die Szene schmissen und wie hochgradig explosiv der noch immer ist, zeigte sich in München, zumindest stellenweise.

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Doch die Band brauchte ein wenig Zeit um warm zu werden. Sie starten um 21.40 Uhr mit „Poetry Written In Gasoline“, das Publikum hält sich noch zurück. Frontmann Dennis Lyxzén schafft es nicht so richtig die Verbindung zur Crowd herzustellen, auch wenn er es wirklich mit vollem Körpereinsatz versucht. Erst als die Band eine gute Viertelstunde später „REV001“ anspielt springt der kollektive Funke endlich über. Auch die anschließenden Songs „Summerholiday vs. Punkroutine“ und „Liberation Frequency“ halten die Spannung, doch dann bricht die Verbindung wieder ab und das Set schleppt sich schwerfällig voran.

Interessanterweise sind es die Songs von ihrem Frühwerk, die wieder und wieder einen brutalen Punch entfalten, des Publikum für einen kurzen Moment einfangen und mitunter die besten Momente des Abends bilden, wie etwa das herausragende „Circle Pit“ von der „Rather Be Dead“-EP (1996). So spielen sich Refused durch ihre 34-jährige Bandkarriere mit einigen Höhen und zu vielen Tiefen.

Hier und da reicht es noch für ein Strohfeuer, mehr ist nicht zu haben

Im Publikum probiert sich derweil mein Kumpel Kevin ebenfalls an einer ganz praktischen Dekonstruktion von Punk, als er vergeblich versucht, seinen leeren Bierpfandbecher wieder loszuwerden und die ihn umliegenden Menschen nicht etwa fragt, ob sie einen Euro hätten, sondern einen wollen würden. Es funktioniert nicht. Irgendwann wird er darauf hingewiesen, dass niemand die Pfandbecher ohne Pfandmarke nehmen würde, um die man ihn an der Bar betrogen hätte.

Aber Capitalism is ja bekanntlich eine bitch, wie man zeitgleich bei Refused auf der Bühne lernen kann, wo Lyxzén gerade einen politischen Monolog darüber hält, dass der Kapitalismus dafür verantwortlich sei, dass Menschen wie Kevin sich wie Scheiße fühlen und wir aller mehr auf unsere seelische Gesundheit achten sollten. Plattitüden, für die er eigentlich zu klug ist.

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Aber vielleicht ist das auch nur ein weiterer Versuch das Publikum wieder einzufangen, man muss Lyxzén zugutehalten, auf der Bühne gibt er wirklich alles, der Mann ist immerhin schon Mitte 50, aber hier liegt wohl auch eines der Probleme. Gerade im Vergleich zu Hardcore-Shows der jüngsten Generation wirkt das Gesamterlebnis in seiner Perfomativität einfach zu stark in die Jahre gekommen. Einsatz hin, Einsatz her, es werden noch Funken geschlagen, klar, aber einen anhaltenden Feuersturm entfacht die Band nicht mehr. Hier und da reicht es noch für ein Strohfeuer.

Das liegt nicht nur an der Band, auch das Publikum bleibt über weite Stellen apathisch. Hard to say, aber Opa Punk ist in die Jahre gekommen. Einen Herzschrittmacher braucht er noch nicht, aber hier in München zeigt sich, er muss bitteschön stellenweise auch Mal ein bisschen langsam machen und durchatmen.

Der Kapitalismuskritiker als Meisterkapitalist

„We could be dangerous / art as a real threat“, schrie Lyxzén einmal sein Programm heraus, aber eine Bedrohung ist das hier alles schon lange nicht mehr, eher ein Selbstvergewisserungsprogramm, um sich noch einmal klarzumachen, wo man steht. Politisch und kulturell auf der richtigen Seite, wo denn auch sonst? Und so endet das letzte deutsche Refused-Konzert selbstgefällig nach eineinhalb Stunden Spielzeit. Eine Revolution hat diese Band nicht mehr entfacht, aber viele werden einen ganz guten Abend gehabt haben.

Und ein kleiner Trost bleibt, denn so ganz vorbei ist es vielleicht doch noch nicht mit der Band, denn Lyxzén ist nicht nur ein kluger Kapitalismuskritiker, sondern ein noch viel klügerer Kapitalist. Nachdem genügend Tickets für die Tour verkauft waren, gab er bekannt, dass es für die Band vielleicht doch noch weitergehen wird –nur unter einem anderen Namen.

Als die Band die Bühne verlässt sieht man noch einmal das große Banner, dass hinter ihnen hängt. „This is what our ruling class has decided will be normal“ steht da. Es könnte wahrer nicht sein.