A-ha im Interview: Über das Erfolgsgeheimnis von „Take On Me“

Damals galt „Hunting High and Low“ als formatiertes Pop-Produkt norwegischer Schönlinge, heute wird es als heimliches Meisterwerk guter Musiker gewürdigt. Magne Furuholmen und Pål Waaktaar-Savoy über die Entstehung des Albums, das als Vinyl-Boxset neu aufgelegt wird

Sie kleideten sich wie die Rebellen aus „Rumble Fish“ und sangen über Auszug aus dem Elternhaus, Gesichtsverlust („I‘m too young to take on my deepest fears“) und Einsamkeit in fremden Ländern. „Would She Laugh At My Accent?“, fragte ein junger Mann, der auf seine Angebetete wartet, in „The Blue Sky“. Mit „Living A Boy’s Adventure Tale“ ging es in die Natur, dem Wetter und der Nacht ausgeliefert: „The Rain Pours Down, My Head In Hands, Pressed To The Ground“. Und dann gab es da natürlich noch diese Debütsingle: „Take On Me“.

Als im Oktober 1985 das erste Album von A-ha erschien, „Hunting High and Low“, überraschten die Norweger Morten Harket, Magne Furuholmen und Pål Waaktaar-Savoy mit ihren intimen Selbstbetrachtungen die Popwelt – und wurden über Nacht zu Weltstars.

Am 24. Februar 2023 erscheint das bereits auf CD erhältliche „Hunting High and Low“-Boxset erstmals auf Vinyl. Die Bonus-Stücke der Edition erhellen die Evolution von „Take On Me“. A-ha wussten: Das wird ein Welterfolg, wenn sie nur lange genug daran schrauben; der heutige Klassiker chartete erst mit einer Wiederveröffentlichung und als Neuaufnahme.

Aus den drei ehemaligen Freunden sind längst Kollegen geworden, die große Probleme miteinander ausgefochten haben – aber wissen, dass sie als Trio noch immer magische Musik erzeugen können. Ein Interview zur Wiederveröffentlichung des Debütalbums, mit Furuholmen und Waaktaar-Savoy (Anmerkung: Die Gespräche wurden getrennt geführt).

Der Songtitel „Take On Me“ ist im kollektiven Bewusstsein verankert, wird nur noch mit A-ha assoziiert. Aber er klingt immer noch ein wenig schräg, oder? Hatten Sie auch mal überlegt, das Lied „Take Me On“ zu nennen? Es hätte ebenso ins Reimschema gepasst.

Magne Furuholmen: Ha, nein! Die Tatsache, dass wir keine Engländer oder Amerikaner sind, sondern Norweger, wollten wir zu unserem Vorteil nutzen. Wir wollten die Sprache nicht pervertieren – aber signalisieren, dass wir von einem anderen Ort stammen, ohne kitschig zu klingen. Eine Konstruktion erschaffen, ein Wortspiel, um aufzufallen.

Pål Waaktaar-Savoy: „Take On Me“ fühlte sich für uns natürlich an. Wir waren drei Norweger, die den Londonern aufmerksam zuhörten. Wir schnappten Redewendungen auf, und ich wollte einige davon in unseren Songs verbauen. „Take On Me“, das hatte was von „You Can Take On Anyone“ oder „Take On The World“. „Take Me On“ als erste Zeile im Chorus war jedenfalls für mich ausgeschlossen. Ich wusste, dass Leute mich auf den Titel „Take On Me“ ansprechen würden, nachfragten, was das denn heißen soll – but I had to stick to my guns. „Take On Me“ war als Catchphrase zuvor unbekannt.

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Wie planbar hätte der Erfolg der Single sein können? Sie hatten „Take On Me“ für das Album „Hunting High and Low“-Album neu eingespielt, weil Sie wussten: Darin schlummert ein Hit, das muss einfach ein Hit werden.

Furuholmen: Wir nahmen die Platte mit dem Produzenten Tony Mansfield auf. Das war 1984, und zum ersten Mal hatten wir einen Menschen mit uns im Studio, der eine gewisse Autorität ausübte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Morten, Pål und ich uns selbst überlassen, nahmen in verschiedenen Studios auf. Tony kam von Amerika nach London, er galt zu jener Zeit als angesagt. Und doch waren wir nicht hundertprozentig sicher, ob alles nach unserem Willen geschieht. Ich erinnere mich daran, wie Pål und ich immer wieder den Aufnahmeraum verließen, um allein zu sein – und uns dann gegenseitig die Bälle zuspielten, um mit Tony zu besprechen, was wir uns wünschen: „Jetzt bist Du dran, es ihm zu sagen!“. Wir wollten halt die Demoversionen, aus denen Songs werden sollten, bewachen. Das Album wurde in gewisser Weise programmiert, für uns war das wie ein Kulturschock. Als in Norwegen die Nachricht durchsickerte, A-ha würden in London an einer internationalen Karriere arbeiten, wurde dort die erste Version von „Take On Me“ herausgebracht, jene, mit der wir nicht ganz glücklich sind. Auch im UK erschien sie. Die Version lief okay, wurde im Radio gespielt, aber das war’s. Wir baten das Label, „Take On Me“ ein zweites Mal aufnehmen zu dürfen. So lernten wir den Produzenten Alan Tarney kennen, und er machte aus dem Stück jenes, das heute alle kennen. Es kommt auch unserem ursprünglichen Demo näher.

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Es gab auch die Idee, nicht „Take On Me“, sondern „Living a Boy’s Adventure Tale“ als erste Single zu veröffentlichen: kein „Getting The Girl Back“-Lied, sondern eines, in dem ein junger Mann auszieht, um sich allein in der Wildnis zu behaupten. Wäre die Karriere von A-ha damit vielleicht anders verlaufen?

Furuholmen: Darüber könnte man nur spekulieren. Uns war wichtig, sofort mit der richtigen Single-Auskopplung zu starten. Wir lebten damals in London am Existenzminimum, streunerten von Erdgeschoss-Wohnung zu Erdgeschoss-Wohnung. Wir schliefen auch in Kellern. We were working our asses off, and we were supeready to have a meaningful release. Eines stand früh fest: Es ging uns nicht darum, als Posterboys an den Wänden zu hängen. Für mich ist vor allem entscheidend, dass die Welt A-ha nicht mehr als „Take-On-Me-Band“ betrachtet, sondern als Band, die sich weiterentwickelt hat. Aber selbst „Take On Me“ hat sich weiterentwickelt, es ist kein Posterboy-Lied mehr. Die Musik hat das Image überlebt. Keine Ahnung, was aus uns geworden wäre, hätte „Living a Boy’s Adventure Tale“ für uns einen womöglich schlechteren Start hingelegt. Es hätte aber auch alles vorher schon aus sein können, gerade nach der schlechten Performance der ersten „Take On Me“-Fassung. Wir waren kurz davor, von der Plattenfirma fallengelassen zu werden.

Waaktaar-Savoy: „Living a Boy’s Adventure Tale“ ist atmosphärischer als „Take On Me“, etwas tiefgründiger. Tatsächlich standen einige weitere Nummern als Album-Vorabsingle zur Diskussion. Dass poppige, leichtlebige Songs, also echte Pop-Songs, die größten Chancen in den Charts haben, weiß man ja. Aber es gab sehr viele Meinungen. Unser Verleger zum Beispiel setzte sich stark für „Living a Boy’s Adventure Tale“ ein. Als die amerikanische Abteilung unserer Plattenfirma ins Spiel kam, stand die gemeinsame Entscheidung für „Take On Me“ schnell fest. Aber auch die hatten Wünsche. In der Mitte des Refrains halbiert sich das Tempo – das wollten sie ändern. Nicht mit uns!

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„Take On Me“ sollte auch als Showcase für Mortens Stimmvolumen dienen. Im Laufe des Refrains schraubt sich seine Stimme immer höher, bis ins Falsett. Das Falsett ist sein Markenzeichen geworden. Wie verlockend ist es, nur noch Melodien zu schreiben, die dieser Tonlage entsprechen?

Waaktaar-Savoy: Mir ist schon aufgefallen, dass Morten sich besonders wohl mit Melodien fühlt, in denen er sich stimmakrobatisch betätigen kann. Er mag es, ein wenig zu klettern. Es ist ja auch völlig legitim, dass er sich die Sachen raussucht, die er mag, wenn er schon ein Lied singen soll, das jemand anderes komponiert hat. Andererseits versuche ich immer öfter, andere Sachen zu schreiben, also Lieder, in deren Chorus nicht alles einfach höher gesungen wird.

Aber warum singt Morten überhaupt nicht mehr tief – zuletzt auf „Don’t Do Me Any Favours“ von 2005?

Waaktaar-Savoy: Das müsste man ihn fragen. Für mich hat Morten seine Stimme schlussendlich auf „Memorial Beach“ von 1993 gefunden, gerade im Titelstück. Was die Tiefen angeht, war er meiner Ansicht nach nie besser. „Cold as Stone“ von derselben Platte ist auch herausragend, ebenso „Sycamore Leaves“ aus „East of the Sun, West of the Moon“ von 1990. Morten ist eigentlich kein Sopran. Seine Kopfstimme ist ausgezeichnet, aber er ist ein Bariton.

A-ha mit Produzent Tony Mansfield bei den Aufnahmen von „Hunting High And Low“ in den Eel Pie Studios, Twickenham, London, 1984.

Wer hat die Single-Auskopplungen für „Hunting High and Low“ ausgesucht?

Waaktaar-Savoy: In jener Zeit hat das die Plattenfirma übernommen. Unser A&R-Mann war toll, Andrew Wickham. Er nahm unter anderen Joni Mitchell und Van Morrison unter Vertrag. Andy verstarb 2022, und er fehlt mir. Er hat die Albumtracks wirklich auseinandergenommen: Welcher Song erzielt die größte Aufmerksamkeit, welches Lied hat die größten Chancen, in bestimmten Ländern im Radio gespielt zu werden? Für A-ha waren diese Aspekte neu, wir waren nur die drei Jungs aus Norwegen. Erstmals mitreden bei der Singles-Auswahl wollten wir bei unserem zweiten Album, „Scoundrel Days“ von 1986. Wir setzten uns dafür ein, dass „Manhattan Skyline“ ausgekoppelt wird.

Die Besonderheit von „Manhattan Skyline“ liegt darin, dass Ihre beiden Teilkompositionen zu einem gemeinsamen Song verknüpft wurden – Sie verglichen das Lied mit „A Day In The Life“ der Beatles.

Waaktaar-Savoy: „Manhattan Skyline“ war ambitioniert. Wir wollten der Welt mitteilen, dass wir gereift sind. Wir machten Druck, dass das Lied als Single erscheint. „Scoundrel Days“ entstand ebenso aus zwei verschiedenen Songs, die wir mittlerweile auch in unseren Reissues herausgebracht haben. Ich mag solche Kombinationen, sie führen zu abrupten Stimmungswechseln. Insgesamt brachten wir drei „Scoundrel Days“-Stücke als Singles heraus. Zwei weitere waren eigentlich geplant, aber dann erhielten wir den Auftrag, mit „The Living Daylights“ einen Bond-Song zu schreiben. Welche Lieder noch zur Singles-Auswahl standen? Ich weiß es nicht mehr, ich denke, das Titelstück sowie „The Swing of Things“.

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Sie kleideten sich damals so abgerockt wie die jungen Rebellen aus Francis Ford Coppolas „Rumble Fish“. Auch die Popmusik des Jahres 1985 handelte vom Erwachsenwerden: „Songs from the Big Chair“, „Like a Virgin“, „Steve McQueen“, „Meat is Murder“, „Misplaced Childhood“.

Waaktaar-Savoy: Ehrlich gesagt habe ich wenig auf die Musik um uns herum geachtet. Nachdem wir Anfang der 1980er-Jahre nach London zogen, ging es uns darum, möglichst bald einen Plattenvertrag zu unterschreiben. Außerdem lernte ich in London zu der Zeit meine zukünftige Ehefrau Lauren kennen, eine Amerikanerin. Sie blieb nur für ein paar Monate in Großbritannien, musste dann zurück in die USA, weil ihr Stiefvater erkrankte. Und ich hatte kein Geld sie dort zu besuchen. Das waren die Unsicherheiten, die mich damals beschäftigten. Außerdem suchten A-ha dringend ein Studio. Wir hatten Angst, immer ausgelaugter zu werden. Gleichzeitig waren wir als Band sehr glücklich. Wenn zwei schlecht drauf waren, gab es immer einen, der gut drauf war. Woche für Woche sagten wir uns: Nächste Woche erzielen wir den Durchbruch. Nur, dass dieser Zustand zwei Jahre lang andauerte.

Furuholmen: In den frühen 1980er-Jahren in London Musik zu machen? Aufregend, es war vielleicht nie besser. Ich glaube, dass auch die britischen Charts damals eine größere Vielfalt widerspiegelten als heute. Everything today seems to be cut from the same cloth. In den Achtzigern wurde man Woche für Woche von neuartiger Musik überrascht. Wir liebten Tears for Fears, Depeche Mode, The Smiths. Für uns war das wie Unterricht. Wir stammten aus einem skandinavischen Land, einem, in dem vielleicht eine Stunde am Tag Popmusik gespielt wurde, der Rest war Erwachsenenzeugs. Wir ließen uns treiben in London. Heute ist es einfach zu sagen: Es war die beste Zeit damals! Aber während es noch geschieht, spürt man so etwas nicht. Dass „Hunting High and Low“ so viele Referenzen ans Erwachsenwerden beinhaltet, ob ernst oder ironisch, hängt natürlich auch mit unserer norwegischen Herkunft zusammen: dramatisch agierende Natur, starke Winde, stürmischer Regen, Schneefall.

A-ha-Mania! Fans warten vor dem HMV Store in London, Januar 1986

Die Dokumentation „A-ha – The Movie“ von 2021 als auch die Marketingmaßnahmen dazu sind äußerst bemerkenswert. Sie beide und Harket bewarben in trauter Einigkeit einen autorisierten Film, in dem Sie in Abwesenheit der jeweils anderen zu Protokoll geben, dass Sie sehr oft die Nase voll haben. Sie diskutieren die Urheberschaft von „Take On Me“ und dokumentieren ein Zerwürfnis. Man hat das Gefühl, Sie feiern A-ha nicht mehr – trauen sich aber auch nicht recht, die Trennung zu vollziehen.

Waaktaar-Savoy: Wir begannen unsere Karriere mittellos. Wir hatten nichts. Wir widmeten uns unseren Liedern, in sie steckten wir all unsere Hoffnungen. Der Gedanke dahinter war ganz simpel: Nur die stärksten Songs könnten auf einem ersten Album landen. Als der Durchbruch gleich mit „Hunting High and Low“ kam, veränderten sich manche Dynamiken innerhalb des Trios. Und fünf Jahre später war klar, dass jeder vor allem seine eigenen Songs veröffentlichen will.

Furuholmen: Meine Mutter sagte zu mir stets: If you shit in the nest, it smells bad for everybody. Aber für uns drei war von Anfang an offensichtlich, dass wir im Film endlich Klartext sprechen würden. Wir würden nichts promoten, nur damit A-ha gut dastehen. Falls es irgendeinen Charme gegeben hat, der uns auszeichnet, dann doch der, dass wir nie strategisch gehandelt haben. Gibt es eine endgültige Wahrheit, wer zu Recht gekränkt ist, wer übertreibt? Jeder von uns kennt doch seine eigene Wahrheit. Die Wahrheit von A-ha besteht aus den drei Ansichten der drei Mitglieder. Es gibt einige Musikdokus, in denen die Protagonisten sehr aufrichtig von ihren Gefühlen berichten, wie „Some Kind of Monster“ von Metallica.

Darin schreien sich die Metallica-Musiker in Anwesenheit eines Band-Psychiaters an.

Furuholmen: Aber selbst darin finden wir das, was man wohl als „Self-Mythology“ beschreiben kann, also als Versuch, die Wahrnehmung zu steuern, die andere von mir haben. Bei „A-ha – The Movie“ … nun, ich dachte: „Fuck it!“. Ich sage, was ich will. Wir sind doch auch nur Menschen. Wir drei kennen uns seit mehr als 40 Jahren. Wir wuchsen quasi gemeinsam auf. What’s the point in pretending it’s all a bed of roses? Dabei glaube ich sogar, dass wir uns in „The Movie“ noch zurückgehalten haben! Meine Kritik am Film wäre höchstens, dass es zuviel um Privates und zu wenig um Musik geht. Wir haben ja nie behauptet, die besten Freunde zu sein. Deshalb hatten wir zuletzt auch das Album „True North“ samt dazugehörigem Film gemacht – wir widmen uns einem Thema, der norwegischen Natur, und nicht uns selbst, oder wie wir drei zueinander stehen.

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Magne, in „A-ha – The Movie“ zeigen Sie private, drastische Aufnahmen aus dem Krankenhaus, von denen auch Ihre Kollegen nichts wussten. Sie mussten sich Anfang der Zehnerjahre einer Herz-OP unterziehen, litten unter Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung. Nicht allein die Zukunft der Band stand auf dem Spiel – Sie fürchteten um Ihr Leben.

Furuholmen: Vielleicht hatte ich mir die Probleme innerhalb der Band zu sehr zu Herzen genommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe mir selbst zu viel Stress gemacht, und dafür kann ich Pål und Morten nicht verantwortlich machen. Ich hatte wirklich Sorgen um meine Zukunft. Aber nicht nur von meinen Untersuchungen, auch aus meiner Kindheit gab es viel Filmmaterial, ob auf VHS oder Betamax. Als das „A-ha – The Movie“-Team es sichten wollte, bat ich sie gleich um eine Digitalisierung, damit ich es aufheben kann. Sie fragten mich: „Bist Du glücklich damit, wenn wir die Krankenhausszenen zeigen?“ Ich antwortete: „Ich habe zumindest keine Angst davor, sie der Welt zu zeigen.“ Für meine Kinder waren diese Szenen hart. Ich kann mich an vieles, was auf dem Untersuchungstisch geschah, nicht erinnern. Ich war betäubt. Dass man mich stöhnen hört, hing wohl auch, sagten mir die Krankenschwestern, mit einer zu geringen Dosis des Narkosemittels zusammen. Ich wachte auf.

Sie drei haben im Film Position bezogen. Kein Fan kann mehr glauben, A-ha basiere noch auf einer Männerfreundschaft. Könnte „The Movie“ die Band gerettet haben, weil Sie so ehrlich waren?

Waaktaar-Savoy: Ja, warum nicht.

Zurück zu „Hunting High and Low“. Viele der erst später veröffentlichten Lieder, „Soft Rains of April“ oder „Touchy“, hätten auch auf Ihrem Debüt erscheinen können. Wie trafen Sie die Songauswahl?

Waaktaar-Savoy: Wir hatten sehr viele Demos, und auch hier half uns unser A&R-Mann Andy bei der Trackliste für das Album. Wir waren froh darüber, denn wir mochten jeden unserer Songs, hätten uns nicht entscheiden können. Wobei ich generell die Befürchtung hatte, die Platte könnte zu poppig werden. Deshalb habe ich in letzter Sekunde noch „The Sun Always Shines on T.V.“ in der Version hinzugefügt, wie sie auf dem Album zu hören ist. In dem Reissue hören Sie zwei Demos, auf denen das Stück beruht. „Never Never“ klingt etwas aggressiver, aber zu Anfang war es eine Pianoballade. Später kam die LinnDrumm, die Drum Machine, dazu. An Computer oder Sequenzer war damals nicht zu denken.

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Furuholmen: Ja, wir hatten einen großen Fundus, auch an Demos, die wir professionell hätten einspielen können. Die zehn ausgesuchten Stücke bilden eine harmonische Tracklist. Aber nachdem „Hunting High and Low“ erschienen war, verspürten wir leichten Druck – das nächste Album müsste noch deutlicher zeigen, wer wir eigentlich sind. Und ich finde, dies ist eine der negativen Erfahrungen, die nicht nur ich, sondern vielleicht auch Pål und Morten mit der Band machen mussten: Wir gaben uns nie wirklich die Zeit, den Erfolg zu genießen. Wir waren zu hungrig. Ständig ging es um das Bedürfnis, uns zu verändern. „Scoundrel Days“ ist eines jener typischen Zweitalben, die eine Band machen will, die eine Plattenfirma aber ratlos macht: „Wo soll hier das neue `Take On Me` versteckt sein?“ Nun, das hatten wir ja hinter uns gebracht! Ein neues „Take On Me“ wollten wir gar nicht erst komponieren. Viele unserer Fans halten „Scoundrel Days“ für unser bestes Werk.

Sehe ich genauso!

Furuholmen: In gewisser Weise favorisiere ich es auch. Der Titelsong „Scoundrel Days“ ist ein echtes Unikat, vielleicht eines, wie es unserem ersten Album fehlt. Ob wir uns danach gesteigert haben? Ich finde, für die musikalische Entwicklung ist es selbstverständlich, sich Musik zu widmen, die anders klingt, Perspektiven zu erweitern. Unabhängig davon bin ich für „Hunting High and Low“ sehr dankbar. Ich erinnere mich an die damalige Zeit als eine, in der wir drei uns sehr nahestanden. 24 Stunden am Tag, und wir wollten den Durchbruch unbedingt.

Manche der Outtakes, wie „What’s That You’re Doing To Yourself In The Pouring Rain?“ klingen wie fertig produziert. Warum gab es für sie keinen Platz auf einem Album?

Waaktaar-Savoy: Nun, wir waren erstmal froh darüber, einige originäre B-Seiten zu haben, wie „Driftwood“ oder „Stop! And Make Your Mind Up“. Wir wollten nicht zu viele Albumtracks auf den B-Seiten verfeuern. Beide Songs hätten auch auf „Hunting High and Low“ landen können, aber sie sind klein und charmant, mir gefielen sie als B-Seiten ganz gut.

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Die Stärke von Liedern wie „Living a Boy’s Adventure Tale“, aber auch späteren, wie „We’re Looking for the Whales“ oder „I Call Your Name“, liegt auch in ihren Fade-Outs. Sie beide und Morten singen sich spielerisch zu, während die Musik immer leiser wird – die Songs wirken, als begännen sie dann erst richtig. Für den Hörer ein bittersüßes Gefühl, als verpasse man den besten Teil, sobald die Stücke ausklingen.

Furuholmen: Whoa, dieses Thema hat noch nie jemand zur Sprache gebracht. Danke. Ich glaube, die Songs blühen am Ende nochmal auf, weil wir einfach zu viele Ideen hatten. Uns musste Einhalt geboten werden, deshalb vielleicht der Fade-Out. Tatsächlich fielen uns gegen Ende der vier Minuten immer noch neue Riffs ein, vielleicht auch Ergebnis des Wunschs, dass Lieder niemals enden. Wir wollten, dass jede einzelne Sekunde interessant klingt. Jeder Moment zählt. Bei den Aufnahmen unserer letzten Alben war es sogar so, dass wir uns Fade-Outs anhörten und überlegten, was sich daraus Neues bauen lassen könnte. The End suggests a new beginning! Als Pål und ich bei Bridges spielten, der Vorgängerband von A-ha, waren viele Songs länger und komplexer. Wenn ein A-ha-Lied formatiert werden sollte, sagten wir uns bei Minute 3:40 – da geht noch was.

Waaktaar-Savoy: Die Entscheidung, ob wir ein Fade-Out nutzen oder einen echten Schluss, wie bei „The Blue Sky“, beruht oft auf einem Gefühl. Wir haben das intuitiv entschieden. Der Fade-Out bietet die größere Wahrscheinlichkeit, dass sich das Lied nach seinem Ende immer weiter dreht, in Ihrem Kopf. Für mich gibt es jedoch nichts Besseres als ein echtes Ende – das wäre stets meine Präferenz. Meine Frau sagt auch: Warum kommen die besten Sachen bei euch immer zum Song-Ende? Das gehört doch ganz nach vorne!

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Ein Vergleichsbeispiel bietet „This Alone Is Love“. Es gibt die erste Version, die B-Seite mit dem Fade-Out, bei dem sich das Lied danach im Geiste weiterdreht – und die spätere Albumfassung, die mit Mortens Gesangszeile einen Schlusspunkt setzt: „Oh Baby, What Can We Do?“

Furuholmen: Wir haben sehr viele Songs, die in anderen Versionen später veröffentlicht wurden. Nehmen Sie „Train of Thought“, dessen Demo Sie nun in dem Reissue hören. Es hat ganz andere Riffs, im Refrain andere Taktarten. Man blickt irgendwann zurück und denkt: Oh je, was war das toll damals! Wir haben hier irgendetwas liegen gelassen, lasst es uns zurückholen. „Train of Thought“ erschien mir in der Albumversion zu durchprogrammiert. Wir spielten es bei einer unserer jüngsten Tourneen sogar live in der Demoversion …

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… mit dem Gitarrenriff, aus dem später die Melodie zu „Cold River“ werden sollte.

Furuholmen: Bevor es Wiederveröffentlichungen gab, kannten Hörer oft nur eine Fassung eines Songs – die, die dem Album beiliegt. Die konnte man mögen, oder nicht. Als Künstler trägt man das Wissen, wie das Lied sonst noch hätte klingen können, natürlich mit sich herum. „Hunting High and Low“ war anfangs keine Ballade, sondern ein Uptempo-Song. Jedesmal, wenn ich die alten Sachen höre, gerate ich in ein Wechselbad der Gefühle, frage mich, wie sich ein Lied hätte entwickeln können. Ich glaube, wir sind nicht die einzigen, die unter dem Problem leiden, dass man gerne alles in jedem Song unterbringen will. Tony Mansfield war ein toller Produzent, aber, ganz ehrlich, ein bisschen Seele fehlte manchen Stücken nach seiner Behandlung schon. Deshalb ist es wichtig, die Outtakes und Rohfassungen von „Hunting High and Low“ zu hören. Aber der Erfolg der Platte hängt zweifelsfrei mit dem Produkt zusammen, das 1985 veröffentlicht wurde.

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„Train of Thought“ ist eine englische Redewendung. Wer kam auf die Idee, dem Lied dann diese – etwas plakativen – Lokomotivgeräusche zu verpassen?

Furuholmen: Das „Cold River“-Motiv hatte Tony Mansfield entfernt, dann krempelte er den ganzen Song um. Von dem Super-Hi-Energy-Stil, dem er „Train of Thought“ dann verpasste, waren wir anfangs schockiert. Aber ich bin prinzipiell offen für Input, ich glaube, ich kam mit dem Neu-Arrangement wohl etwas besser zurecht als beispielsweise Pål. Ich glaube, Tony verstand die „Train of Thought“-Redewendung durchaus, aber er transkribierte das in ein Vorwärtsgefühl.

Waaktaar-Savoy: Das Video hat die Zug-Assoziation ja noch verstärkt. Die Frühfassung hatte mehr Blues, ich würde sie als Musik aus der Berlin-Ära David Bowies bezeichnen. Aber Tony hatte nunmal seinen Fairlight-Synthesizer, und er wendete ihn bei sehr vielen Stücken an. Ich mag auch die Hi-Energy-Version, die Ruhelosigkeit, und sie passt zu den Video-Bildern mit dem Pendler.

In „Here I Stand and Face the Rain“ ist zu Beginn ein Choral zu hören, woher stammt das Sample?

Furuholmen: Das stammt aus einem Gregorianischen Chor. Ich kenne die Quelle nicht, aber mich wundert die Verwendung auch nicht, wir hatten damals wirklich verschiedenste Musiken gehört. Die mittelalterliche Atmosphäre korrespondiert mit der Atmosphäre des Stücks.

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Waaktaar-Savoy: Ich denke, das hatte ich angeschafft. Ich ging damals regelmäßig zum Leicester Square, um mir Weltmusik-Platten zu besorgen. Was für eine Platte mit diesem Mönch das war, weiß ich leider nicht mehr. Aber sein Gesang traf die Stimmung und die Tonart von „Here I Stand and Face the Rain“.

Wessen Stimme hören wir am Ende von „Dream Myself Alive“? Sie klingt nach einem Nachrichtensprecher.

Furuholmen: Ich bin unsicher, woher dieses Sample stammt. Zu hören ist, denke ich, irgendein amerikanischer Politiker. Das Original hatte sicher Tony rangeschafft.

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Nach dem unerwarteten Welterfolg von „Hunting High and Low“ gingen Sie nicht auf Tournee, sondern sogleich ins Studio, um den Nachfolger aufzunehmen. Gab es keinen Druck von Seiten des Labels, die Songs bei Konzerten vorzustellen?

Waaktaar-Savoy: Tatsächlich wollte gar keiner, dass wir zu einer Tournee aufbrechen. Durch die Welt jetteten wir dennoch, es dürften drei bis vier Promotrips gewesen sein. Wir waren kaum zu Hause, in Norwegen. Die ersten zwei Jahre dürften die betriebsamsten sein, die wir je hatten. Dreimal Amerika, dreimal Japan. Fernsehsender, Presse … das fühlte sich fast schon an wie eine Tournee. Das „Take On Me“-Video verschaffte uns Aufmerksamkeit, wir waren von einem Tag auf den anderen Weltstars. Andere Bands müssen ja nur deshalb immer wieder auf Konzertreisen gehen, damit sie sich einen Namen machen können. Der Name A-ha war auch so in aller Munde.

Das „Hunting High and Low“-Reissue dokumentiert mit den Demos und Outtakes die Genese aller Songs, auch, wie aus Einzelteilen verschiedener Lieder neue Lieder entstanden. Schadet das nicht ein wenig dem Mythos eines Albums – ist es manchmal nicht besser, wenn eine Entstehungsgeschichte im Vagen bleiben kann?

Waaktaar-Savoy: Ich hoffe nicht – für mich ist sogar das Gegenteil der Fall. Manches auf dem Studioalbum klingt zu poliert. Ich finde, dass manche Demos den finalen Fassungen ebenbürtig sind. Ich schaue mir das auch gerne bei anderen Bands an: der Weg von A nach B, mitgeteilt in Wiederveröffentlichungen.

Hat U2-Sänger Bono sich eigentlich je bei Ihnen bedankt? Man ahnt, dass deren Hit „Beautiful Day“ ohne „The Sun Always Shines On T.V.“ anders geklungen hätte.

Furuholmen: Nein, persönlich bedankt hat er sich bei uns nicht. Aber, wenn ich mich recht erinnere: Als U2 einen MTV Award für den „Besten Song“ gewannen, sagte Bono bei seiner Dankesrede: „The Sun Always Shines On MTV“. Es hätte für sie wohl auch keinen Sinn gegeben, Ähnlichkeiten abzustreiten. Hörer und Kritiker gleichermaßen wiesen darauf hin. Aber meine Sichtweise ist die: Großartige Popmusik lebt davon, inspirierend zu sein – und selbst Ergebnis einer Inspiration zu sein. Die größte Anerkennung besteht vielleicht eher darin, kopiert als tatsächlich verstanden zu werden.

Waaktaar-Savoy: Ich finde, der Song war unserem zu ähnlich. Ja, der war zu ähnlich. In solchen Fällen, denke ich, sollte auch Geld gezahlt werden. Ich kenne mich mit Produktionen aus, und ich weiß auch, wie man sich absichert. Ich kann mir vorstellen, dass die sich in solchen Fällen dagegen absichern, verklagt zu werden. Die Nummer war ein wenig hinterhältig.

Kommt es auch vor, dass Hörer denken: Sie selbst haben kopiert, und das Original stammt von denen, die Ihnen nacheifern – dass zum Beispiel „The Sun Always Shines On T.V.“ sehr ähnlich klingt wie „Beautiful Day“?

Waaktaar-Savoy: Nein, sowas ist mir noch nicht passiert. Ich gehe davon aus, dass die Menschen, die U2 hören, auch wissen, von wem „The Sun Always Shines On T.V.“ stammt.

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Bei welchen Liedern denken Sie außerdem: Da steckt doch was von A-ha drin?

Furuholmen: „As It Was“ natürlich, von Harry Styles. „Take On Me“ ist darin wie ein Geist, der im Hintergrund umhertanzt. Ebenso „Blinding Lights“ von The Weeknd, das vielfach als einer der größten Hits der letzten Jahrzehnte angepriesen wird. Viele raten uns: Ihr müsst die doch verklagen, die bestehlen euch! Nein, ich sage: Das ist doch fantastisch! Man muss das positiv sehen: Neue Generationen entdecken dadurch auch A-ha. Ich sehe hier nur zwei Möglichkeiten: Sein Werk übertrieben zu schützen, oder es frei sein zu lassen, damit neue Künstler es würdigen können. Und diese Herangehensweise finde ich positiver.

Waaktaar-Savoy: Ich bin nicht allzu glücklich darüber, dass andere Musiker uns kopieren.

Mit „True North“ haben A-ha im vergangenen Jahr tatsächlich nochmal ein Album gestemmt.

Furuholmen: Es war lange unklar, ob es je wieder eine neue A-ha-Platte geben würde. Es war die erste seit sieben Jahren. Indirekt hat die Pandemie die Entstehung von „True North“ begünstigt. Die Tournee mussten wir verkürzen, wir fragten uns: Was jetzt? Ehrlich gesagt fragte mich, ob ich überhaupt jemals wieder Lust haben würde, mit der Band ins Studio zu gehen. Aber ich sagte mir auch: Es muss doch eine Möglichkeit geben, gemeinsam neue Musik zu veröffentlichen, ohne dass wir uns danach wieder hassen. Daran anknüpfend die Frage, ob wir ein Album nicht einfach selbst produzieren könnten. Pål in Los Angeles, ich in Oslo. Sechs Songs von ihm, sechs von mir. Mit einem Film dazu, und alle Stücke live eingespielt. Es war aufregend, seine Lieder erstmals zu hören – ich wusste nicht, was mich erwartet. Påls Songs sind ganz anders als meine, aber sobald Morten seine Stimme drüberlegt, werden sie zu A-ha-Songs. Ich würde gerne auch mal andere Lieder schreiben, aber sobald ich weiß, dass Morten sie singen wird, kann ich einfach nicht anders.

Erica Echenberg Redferns
Dave Hogan Getty Images
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