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Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

Axl Rose: Nicht geboren, um zu folgen

Der Sänger von Guns N' Roses wollte sich nie den Mund verbieten lassen. Warum ist „Don’t Damn Me“ immer noch so richtig?

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Vorbild: Das Wort hat etwas Unangenehmes. Der Duden definiert Vorbild als „Person, die als (idealisiertes) Muster, als Beispiel angesehen wird, nach dem man sich richtet“. Wer will das schon? „Wasn’t born to follow“, proklamierten die Byrds. Bob Dylan erzählte uns, wir sollen keinen Anführern folgen, sondern auf Parkuhren achten. Und als Roger Daltrey in „Tommy“ die Zeilen „Following you, I climb the mountain/ I get excitement at your feet“ sang, dachte ich: Hm, muss das sein – zu Füßen?

Und trotzdem haben doch alle in ihrem Leben mal ein Vorbild, oder? Jemanden, zu dem wir aufschauen und der uns den Weg weist. Wäre schön, wenn das Eltern oder Lehrer:innen wären, aber das scheint mir eher selten zu sein. Bei mir waren es immer Rockstars.

Das wilde Leben in L.A. hatte mit meinem sehr wenig zu tun

Natürlich habe ich früher auch für Musiker geschwärmt, aber ich wollte zum Beispiel gar nicht so gern die Freundin von Axl Rose sein. Nicht dass die Straßenratte aus Los Angeles viel mit meinem damals recht beschaulichen Leben als Teenager in meinem bayerischen Dorf zu tun hatte. Genau das machte ja den Reiz aus. Und Axl sang 1991 ein Lied, das mir besonders bewusst machte, dass es sinnlos ist, anderen folgen zu wollen. Fast jeder Song auf „Use Your Illusion“ wäre eine eigene Kolumne wert. (Na gut, jeder zweite.) Diesmal soll es „Don’t Damn Me“ sein – musikalisch einfach ein mitreißender, zappeliger Rocksong, textlich eine Antwort auf alle, die Guns N’ Roses für den Untergang des Abendlandes hielten, weil sie viel über Sex und Drogen wussten. „Don’t damn me when I speak a piece of mind/ ’Cause silence isn’t golden when I’m hol-
ding it inside“, warnt Axl.

Axl Rose hatte keine Wahl, er musste singen

Es war schon 1987 auf „Appetite For Destruction“ deutlich zu hören, dass Axl Rose das, was er erlebt hatte, erzählen musste – er klang nie, als hätte er eine Wahl. Es musste raus, weil er sonst daran erstickt wäre. Negative Reaktionen nimmt er in Kauf („My words may disturb, but at least there’s a reaction“), weil alles besser ist, als sich weiter zu verstecken. Aus dem gegeißelten Kind soll ein Mann werden, der sich den Mund nicht mehr verbieten lässt (und der sicher ist, dass die Probleme in unserer verrohten Gesellschaft nicht mit „Explicit Lyrics“-Stickern zu lösen sind).

„Your only validation is in living your own life/ Vicarious existence is a fucking waste of time …“

Der Kern des Songs kommt erst nach der Bridge. Da nimmt der Song noch einmal eine Wendung – der Sänger richtet sich an das Publikum: „Your delusions are yours and not mine!“ Jeder sieht, was er sehen will. Axl will keine Vorbildfunktion haben. „Don’t hail me and don’t idolize the ink/ Or I’ve failed in my intentions, can you find the missing link?“ Freies Denken heißt eigenes Denken. Und dann die Quintessenz: „Your only validation is in living your own life/ Vicarious existence is a fucking waste of time.“ Ich musste als 19-Jährige trotz gerade abgeschlossenen Abiturs mit einer Eins im LK Englisch erst mal nachsehen, was „vicarious“ heißt, deshalb übersetze ich es hier ungefähr: „Dein einziger Wert besteht darin, dein eigenes Leben zu führen. Stellvertretendes Leben ist eine verdammte Zeitverschwendung.“

Okay, ich würde also nicht das Leben von Axl Rose nachahmen. Singen konnte ich sowieso nicht, aber Schreiben übers Singen: das würde vielleicht gehen. (Auch wenn meine ersten Artikel noch nicht sehr viel Anlass zur Zuversicht gaben.) Hauptsache ein Ventil. Axl war als Ratgeber immer besser denn als Vorbild, das verbindet ihn mit vielen Kollegen wie Jim Morrison oder Bono. Und er hatte wieder mal recht: „Don’t Damn Me“ ist ein gutes Lebensmotto, immer noch – gerade in einer Zeit, da wir Toleranz, Offenheit und gegenseitiges Verständnis dringend brauchen.