Chemtrails sind nicht real. Warum verabschieden Politiker trotzdem Gesetze dagegen?
Chemtrails sind erfunden, dennoch treiben Verschwörungstheorien Politiker zu Gesetzen gegen angebliche Wetterwaffen in den USA.
In der ersten Septemberwoche erschien Michael Lewis Arthur Meyer, ein selbsternannter unabhängiger Journalist und Gründer von Veterans on Patrol, bei einer Sitzung des Sweetwater County Board of County Commissioners in Wyoming. Das Southern Poverty Law Center beschreibt Veterans on Patrol als rechte Miliz.
Meyer, Ende vierzig, mit ungepflegtem rötlichem Bart, trug ein safariartiges Hemd und einen breitkrempigen Hut mit obenauf gesteckter Sonnenbrille. Er gab an, zur Unterstützung der Katastrophenvorsorge in der Stadt zu sein. Doch er sprach nicht über den Klimawandel.
Stattdessen behauptete er, die Menschen in Wyoming stünden vor einer existenziellen Bedrohung durch sogenannte „Wetterwaffen“. Eine düstere Verschwörung angeblich unerprobter Technologien zur Veränderung der Erdatmosphäre. Diese hätten laut Meyer auch den Hurrikan Helene verursacht, der kurz zuvor West-North-Carolina verwüstet hatte.
„Wetterwaffen“ und angebliche Evakuierungspläne
Die „Wetterwaffen“, so warnte Meyer, stammten vom US-Militär, das „Gott spiele“ und gefährliche Chemikalien sowie unbekannte biologische Materialien in der Atmosphäre verteile. Diese sogenannten „stratosphärischen Aerosolinjektionen“, meist als „Chemtrails“ bezeichnet, kämen angeblich von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einer Forschungseinheit des Verteidigungsministeriums. „Unser Ziel ist es, Evakuierungsrouten einzurichten“, schloss Meyer. „Bitte nehmen Sie das sehr ernst. Denn [in Asheville] haben wir Leichen gesehen, die in Anhänger gelegt wurden. Rettungskräfte haben Gliedmaßen aus Trümmerhaufen gezogen.“
Die Abgeordnete des Bundesstaats Wyoming, Marlene Brady, saß im hinteren Teil des Raums und stimmte Meyer zu. „Ich möchte nur sagen, dass das zu 100 Prozent korrekt ist“, sagte sie über die Existenz von Chemtrails und Wetterwaffen. „Unsere Pflanzen sterben. Unsere Tiere sind betroffen. Wir sind betroffen.“
Wenn Menschen von Chemtrails sprechen, meinen sie die weißen Streifen, die man manchmal am Himmel sieht und die Gläubige für gefährliche Chemikalien halten. Tatsächlich sind Chemtrails nicht real. Ein Verbot sei laut Dr. Andrew Dessler, Professor an der Texas A&M University und Direktor des Texas Center for Extreme Weather, „wie ein Verbot von Einhörnern oder Bigfoot“. Die Wolkenschleier hinter Flugzeugen heißen Kondensstreifen und bestehen lediglich aus Wasserkondensation, die entsteht, wenn heißes Abgas auf kalte Luft trifft.
Verschwörungserzählungen und Drohungen
Meyers Gruppe verbreitet über ihren Telegram-Kanal Sojourner News Network verschwörungslastige Botschaften, begleitet von vagen Drohungen gegen Militärbasen, die angeblich „Wetterwaffen“ beherbergen. Ein Projekt hieß „Operation Morning D.E.W.“ – D.E.W. steht für „Direct Energy Weapons“. Eine inzwischen offline genommene Website sprach von einer „Brigade“ aus „über 3.000 Militärveteranen und Zivilisten“, die eine nicht näher beschriebene „Gegenoffensive gegen das US-Militär“ plane, um chemische, biologische und gerichtete Energiewaffen zu stoppen.
Als Ziele wurden unter anderem „5G-Mobilfunkmasten“, „NEXRADS“ (Doppler-Wetterradare) und „nichtkommerzielle Flugzeuge“ genannt. Abgebildet war auch Verteidigungsminister Pete Hegseth mit dem Schriftzug „Verräter“. Meyer beschuldigt Hegseth wiederholt des „Verrats“ wegen der Rolle des Verteidigungsministeriums bei DARPA.
Obwohl Meyer viele angebliche Bedrohungen aufzählt, konzentrieren sich seine jüngsten Theorien vor allem auf Chemtrails, von denen er glaubt, sie würden Menschen vergiften. Als ich im Herbst mit ihm sprach, beschrieb er die Gefahr ernst und wütend: „Sind Sie damit einverstanden, wie ein Insekt besprüht zu werden? Sind Sie damit einverstanden, dass das Militär sagt, wir kontrollieren das Wetter? Das steht ihnen nicht zu. Das ist Gottes Sache.“
Meyer verbreitet seit Jahren QAnon-nahe Verschwörungen über geheime Kinderhändlerringe. 2018 behauptete er, nahe einer Zementfabrik in Tucson ein geheimes Pädophilenversteck entdeckt zu haben. Die Geschichte war falsch, löste aber mediale Spekulationen aus; die Polizei ermittelte. Meyer wurde wegen Hausfriedensbruchs festgenommen. Zur gleichen Zeit soll er Wasserstationen für Migranten an der Südgrenze vandalisiert haben und wurde auch dafür angeklagt.
Vom Randphänomen zur Gesetzgebung
Diese Ideen leben längst nicht mehr nur in sozialen Netzwerken. Der Glaube, der Himmel vergifte uns, hat an Verbreitung gewonnen und wird für alles verantwortlich gemacht – von Gedankenkontrolle bis zu Wetterkatastrophen. Im April trat Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. bei einer Bürgerversammlung mit Dr. Phil McGraw auf und sprach über Chemtrails, wobei auch er DARPA beschuldigte. Mindestens 30 Bundesstaaten – darunter Kentucky, Minnesota, South Dakota, Arizona und Texas – haben jüngst Gesetze vorgeschlagen, die Chemtrails regulieren sollen.
Meist beziehen sich die Gesetze auf Wettermodifikation. Dazu zählt solares Geoengineering, eine theoretische Methode zur Reduktion der Sonneneinstrahlung durch das Versprühen von Partikeln, die als Klimaschutz erforscht wird. Auch „Cloud Seeding“, bei dem Wolken mit Silberiodid beschwert werden, um Regen zu fördern, wird beschuldigt. Laut Dessler verursache Cloud Seeding jedoch keine Katastrophen: „Der Mensch kann nichts in diesem Ausmaß tun. Das ist Natur.“
Trotzdem hält sich die Verschwörung. Nach einer Flut in Texas im Juli 2025, bei der über 130 Menschen starben, postete Naomi Wolf Videos angeblicher Chemtrails. Kurz darauf äußerten sich Regierungsvertreter ähnlich. EPA-Chef Lee Zeldin schrieb am 10. Juli, seine Behörde habe Informationen zu Kondensstreifen und Geoengineering zusammengestellt. Die EPA-Seite stellt jedoch klar, dass der Bund keine absichtlich erzeugten Kondensstreifen zur Wettermanipulation kennt.
Gesetze, Anhörungen und historische Wurzeln
Wyoming erwägt inzwischen ebenfalls ein Gesetz gegen „atmosphärische Verunreinigungen“. Eine achtstündige Anhörung im Oktober drehte sich um ein Verbot von Geoengineering. Ein Experte verglich Cloud Seeding mit Agent Orange im Vietnamkrieg. Meyer warb für die Anhörung und behauptete, Chemtrails stünden mit Hurrikan Helene in Verbindung.
Umfragen zeigen, dass der Glaube verbreitet ist. Eine Studie von 2016 ergab, dass 10 Prozent Chemtrails für völlig real hielten. Eine Nature-Studie von 2025 kam auf rund 20 Prozent. Der Glaube sei nicht mehr randständig.
Tennessee verabschiedete 2024 als erster Staat ein Verbot absichtlicher Wetterbeeinflussung. Florida folgte 2025 mit Strafandrohungen. Weitere Staaten planen hohe Geldstrafen. Auch Bundespolitiker wie Marjorie Taylor Greene und Ron DeSantis befeuern die Erzählung.
Historisch reichen Wettermanipulationsängste bis in die 1940er-Jahre zurück, etwa zu „Project Cirrus“ oder „Operation Popeye“ im Vietnamkrieg. Chemtrails selbst tauchten in den 1990ern auf, befeuert durch ein Air-Force-Papier zur Wettermodifikation.
Akteure, Medien und soziale Dynamik
Eine zentrale Figur ist Dane Wigington von Geoengineering Watch. Er trat 2014 bei einer Anhörung in Kalifornien auf, die Chemtrails als Gefahr darstellte. RFK Jr. lud ihn 2023 in seinen Podcast ein, Tucker Carlson 2025 in seine Show. Wissenschaftler wie Timothy Tangherlini sehen darin eine Erzählung, die Schuldige liefert und Klimawandel verdrängt.
Nach Hurrikan Helene erschien Meyer in North Carolina, störte Hilfsaktionen und verbreitete weiter Verschwörungen. Vor Ort leisteten andere Organisationen die tatsächliche Arbeit. Meyer zeigte auf Wolken und sagte: „Sie haben uns den ganzen Morgen besprüht.“
In einer Region mit mangelnder politischer Unterstützung füllte Meyer das Vakuum mit einer einfachen Erklärung: Wenn Chemtrails verschwinden, werde alles wieder gut. „Wenn das Militär aufhört zu sprühen“, sagte er, „werden wir sehen, wie schnell sich die Natur erholt.“ So einfach ist es nicht.