Dear Reader

Johannesburg, Südafrika. Es gibt wenige Städte, über die man mehr Schreckliches hört – die höchste Kriminalitätsrate der Welt, Elend, Krankheit, Gewalt, Armut. Warum leben dort Menschen, obwohl sie nicht müssen? Man kann sich das schwer vorstellen. Cherilyn McNeil und Darryl Torr alias Dear Reader, Kinder schottischer, englischer und holländischer Vorfahren, sind hier aufgewachsen und werden diese oder ähnliche Fragen derzeit oft hören. Ihr Debütalbum „Replace Why With Funny“ erscheint international, man ist interessiert. Den toll arrangierten, zwischen Freigeist und kompetentem Songwriting changierenden Indie-Pop hat Brent Knopf von Menomena produziert, obwohl Dear Reader es selbst gekonnt hätten – Bassist und Keyboarder Torr hat einen Grammy im Schrank stehen, den er für eine Produktion mit dem Soweto Gospel Choir bekam. „Er hat uns unseren Perfektionismus ausgetrieben, mit dem wir unsere Musik wahrscheinlich erschlagen hätten“, sagt McNeil über Knopf. „Durch seine Anwesenheit entstand viel Freiheit und Intuition. Genau deshalb wollten wir ihn dabei haben.“ Seither waren Dear Reader viel im Ausland, haben gespielt, geredet, Erfahrungen gesammelt. Weggehen oder dableiben? Irgendwie dreht sich alles um diese Frage.

KAPSTADT ODER JOHANNESBURG?

Natürlich J’Burg! Kapstadt ist hübscher, es gibt mehr Künstler, alles ist ein bisschen arty. Aber die Leute sind schläfrig, sie wollen nicht wirklich was bewegen und finden sich ziemlich cool. In Johannesburg ist nichts, du musst alles selbst machen. Das macht dich kreativer. Außerdem hat die Stadt trotz – oder wegen – der ständigen Gewalt und des unendlichen Elends einen extrem freundlichen Geist. Die Leute rücken auf eine störrische Art zusammen, kümmern sich um einander.

JOHANNESBURG ODER LONDON?

London war früher dieser idealisierte Ort meiner Träume. Doch dann habe ich dort für einige Zeit gelebt – und habe es gehasst. Klar waren einige Sachen für mich unglaublich – zum Beispiel, wie frei man sich bewegen kann und dass man nicht immer Angst haben muss. In J’Burg leben wir in verbarrikadierten Festungen. Du kannst nicht zu Fuß irgendwo hingehen, es ist viel zu gefährlich. Es gibt keinen, der nicht ein Familienmitglied hat, das schon mal eine Pistole am Kopf hatte, ausgeraubt oder sogar ermordet wurde. Die Angst ist überall. Und trotzdem habe ich London gehasst – weil du keine Freunde findest, weil jeder nur sich selbst sieht.

WEGGEHEN ODER DABLEIBEN?

Eine sehr schwierige Frage, gerade jetzt, wo sich uns so viele Möglichkeiten bieten. Ich kenne viele, die J’Burg verlassen haben und zum Beispiel nach London gegangen sind. Sobald sie weg sind, wollen sie zurück und träumen von Südafrika. Aber die Möglichkeiten für eine Indie-Band sind bei uns halt extrem begrenzt… Ich kämpfe sehr mit dieser Entscheidung.

STADT ODER LAND?

Alles in mir ächzt nach Gemeinschaft und Freundschaft, deshalb bin ich gern in der Stadt. Aber das Land… Ihr könnt euch natürlich nicht vorstellen, wie es ist, einen Nationalpark vor der Nase zu haben, mit Löwen und Giraffen und so. Oder den Drakensberg! Den liebe ich besonders. Man fühlt sich gleichzeitig winzig klein und riesig groß.

HERBST ODER FRÜHLING?

Frühling. Ich liebe es, wenn der Jasmin sprießt, wenn alles neu beginnt. Wenn ich in meinem Leben etwas angefangen habe, gibt es kein Zurück – ich muss alles auf diese eine Karte setzen.

SCHICKSAL ODER ZUFALL?

Was passiert, macht man selbst. Ich muss in meinem Leben immer wissen, dass ich die Möglichkeit habe, Dinge zu verändern. Die Vorstellung, der Gnade eines Schicksals ausgeliefert zu sein, ist furchtbar.

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