Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
Bob Dylan, U2, The Cure, Smashing Pumpkins, U2, Beatles. Dies sind die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
Guns N’ Roses: „Use Your Illusion I & II“ (1991)

Es ist etwas geschummelt, hier einfach „Use Your Illusion I & II“ hinzuschreiben, denn es sind ja zwei Doppelalben. Aber wie sollte man sich für eins davon entscheiden? Sie erschienen zeitgleich im September 1991 (eine Woche vor „Nevermind“), und die Spannung hätte nicht größer sein können, denn mit „Appetite For Destruction“ hatten Guns N’ Roses 1987 eins der größten Rock-Debüts aller Zeiten hingelegt, und dann gab es lauter Chaos und Streit und Verzögerungen und Gerüchte und natürlich zu viele Drogen, zu viel Alkohol, zu viel von allem. Die Leute, denen Axl Rose, Slash, Izzy und Duff mit ihrem ungenierten Rock’n’Roll-Gebaren sowieso schon auf die Nerven gingen, hatten sie längst als gestrig abgeschrieben, doch die beiden Doppelalben waren ein Triumph – kommerziell, vor allem aber künstlerisch: Auf „Use Your Illusion“ gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Außer Genügsamkeit.
Wie bei den meisten Doppelalben ist auch hier nicht jeder Song unverzichtbar, doch die 30 Stücke gehen in so viele verschiedene Richtungen, dass die Schwächen fast nötig sind, um das Gesamtwerk auszuhalten. Axl brachte die Klavier-Epen mit, Slash die Hardrock-Wucht, Izzy den trockenen Blues und Duff den rattigen Punk (oder was wir damals gerade dafür hielten). Zwischen der Wut von „Don’t Damn Me“ und dem Psychotrip von „The Garden“, der Gnadenlosigkeit von „Civil War“ und der Traurigkeit von „Don’t Cry“, der Resignation von „Dead Horse“ und dem Trotz von „Breakdown“ liegen Welten, und da sind die Großwerke „Estranged“, „November Rain“ und vor allem „Coma“ noch gar nicht dabei.
Es ist anrührend zu sehen, dass Axl, Slash und Duff überhaupt noch leben und relativ fit auf der Bühne stehen
Wie Axl Rose in „Coma“ in zehn Minuten einen Drogensuizid durchspielt, eine Nahtoderfahrung greifbar macht und dann ins Leben zurückdrängt: Das sorgt auch nach 29 Jahren noch für Herzrhythmusstörungen. Natürlich kann man „Back Off Bitch“ als misogyn abtun, aber wie all die anderen Liebeshasslieder würde es andersrum genauso funktionieren – und manchmal ist der Gram der gebeutelten, halt doch gar nicht so harten Männer auch putzig, bei der Ihr-seid-alle-so-gemein-Journalistenschelte „Get In The Ring“ etwa oder beim patzigen Schunkler „You Ain’t The First“: „You was just a temporary lover, honey/ You ain’t the first/ Lots of others came before you/ But you’ve been the worst.“ Gut, der Schluss-Rap „My World“ wäre vielleicht nicht nötig gewesen, obwohl der Satz „You ain’t been mindfucked yet“ das komplette GN’R-Erlebnis eigentlich recht gut zusammenfasst.
Keine zwei Monate nachdem „Use Your Illusion I & II“ erschienen waren, verließ Izzy Stradlin die Band, dem verschlossenen Gitarristen war die Aufregung zu viel. Die Welttournee ging weiter, es gab noch mehr Chaos und noch mehr Streit, 2008 dann Axls Auferstehung mit „Chinese Democracy“ und 2016 die unwahrscheinliche Wiedervereinigung. Im Sommer touren Guns N’ Roses unter dem Motto „Not In This Lifetime“ noch einmal durch Deutschland. Es ist anrührend zu sehen, dass Axl, Slash und Duff überhaupt noch leben und relativ fit auf der Bühne stehen. Doch ohne Izzy war es nie mehr dasselbe.
Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
Es gibt nicht viele Stimmen, die aus dem Meer der Stimmen auftauchen und die Oberfläche durchdringen. 1997 gehörte diese Stimme Erykah Badu, ihr erstes kreatives Lebenszeichen hieß „On & On“. Badus Stimme wand sich um einfaches Geklöppel und eine rudimentäre Melodie, sie sang unfassbar viele Wörter, wie man es sonst nur von akrobatischen Rappern kannte, und man hatte keine Ahnung, wovon sie sang (von wie Steine rollenden mystischen Zahlen und der Fütterung des Geistes zum Beispiel).
Badus Debütalbum, natürlich „Baduizm“ betitelt, führte den Neosoul aus der Aseptik der Endneunziger in die jazzy Rhythmik der Roots. Deren Schlagzeuger, Questlove, war einer der Produzenten (und brachte Ron Carter mit), und er sollte auch drei Jahre später wieder dabei sein (und diesmal Roy Ayers mitbringen), als Erykah Badu das schwierige zweite Album aufnahm.
Schwierig, weil zweite Alben, die auf große Debüts folgen, keine leichte Aufgabe sind, und schwierig, weil ein neues Millennium anbrach
Schwierig, weil zweite Alben, die auf große Debüts folgen, keine leichte Aufgabe sind, und schwierig, weil ein neues Millennium anbrach und Badu ihren Punkt bereits im alten gesetzt hatte. Eine gute Idee also, ein Sequel zu ihrem allerersten Track einzubetten. „… & On“ reflektiert auf lässige Weise die Einwände gegen ihre afrozentristische Mystik (die sie allerdings erst in den Folgejahren richtig ausleben sollte): „What good do your words do / If they can’t understand you/ Don’t go talkin’ that shit, Badu, Badu.“ Dazu benötigt sie nicht weniger Wörter als zuvor, aber auf „Mama’s Gun“ sind sie klarer. „Bag Lady“ erzählt von der Selbstermächtigung einer Afroamerikanerin, „Didn’t Cha Know?“ vom Fehlermachen und -verzeihen. Nicht weniger als 14 Stücke bietet Badu auf, alle toll, alle unterschiedlich und alle die Tradition des 70er-Jahre-Soul aufgreifend, von Sly Stone bis Stevie Wonder, die ganze Breite und Fülle.
All you must hold on to/ Is you, is you, is you
Erykah Badu eröffnet „Mama’s Gun“ mit einer genuschelten To-do-Liste („I have to write a song, warm up the apartment, I need to take my vitamin“), die sie dem musikalisch retrospektivsten Moment des Albums voranstellt, der ausladenden Funk-Rock-Nummer „Penitentiary Philosophy“. Ein Opener, der einen dicken Schlussstrich unter den Minimalismus von „Baduizm“ zieht. Danach wird es smoother. Ein anderer Vergleichspunkt ist D’Angelos im selben Jahr im Electric-Lady-Studio aufgenommenes Album „Voodoo“, das sich ebenfalls der antiken Analogtechnik des berühmten New Yorker Produktionsraums bedient. Selten stand Retro deutlicher im Hier und Jetzt als auf diesen beiden Doppelalben.
Es ist, als hätte sich uralte Musik über eine lange Traditionslinie ins neue Millennium hinein verändert und verästelt wie das ihr Werk grundierende Thema Rassismus, das, obwohl verästelt und erforscht, noch immer als ungelöste Frage in Amerikas Gegenwart steht. Und Amerikas Mythos und Gegenwart sind Badus Lebensthema. Nie wieder wird sie sich ihm so konkret und hoffnungsvoll widmen wie hier, mit dem meist ungetrübten Blick einer Feministin und Worten der Ermutigung: „I guess nobody ever told you/ All you must hold on to/ Is you, is you, is you.“
Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
DJ Shadow: „Endtroducing …..“ (1996)

Als das Debüt von Joshua Davis alias DJ Shadow 1996 in die Läden kam, waren DJs die Lead-Gitarristen der HipHop- und Club-Kultur: „DJ Shadow is the Jimi Hendrix or Jimmy Page of the sampler“, zitiert ein Sticker auf dem Cover den „NME“. Gratedigger nannte man damals Typen wie Davis, die sich durch obskurste Plattenläden wühlten, um längst vergessene Schätze zutage zu fördern. Aus Hunderten von Quellen unterschiedlichster musikalischer Genres entstanden eklektisch tobende Groove-Monster und eine neue abstrakte Sound-Ästhetik. Heute ist „Endtroducing“ eine Art „Citizen -Kane“ des instrumentalen HipHop. Und wie Orson Welles muss sich DJ Shadow seitdem daran messen lassen.
Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten
Wilco: „Being There“ (1996)

Die Kreativität von Wilco explodierte bei den Aufnahmen für ihr zweites Album nach dem noch etwas hüftsteifen Debüt, „A.M.“, geradezu. Heraus kamen 19 höchst unterschiedliche Songs, die allesamt eine Frische und Rohheit ausstrahlen, dass man meint, direkt im Studio zu stehen, während sie live eingespielt werden. „Misunderstood“, diese Mischung aus Ballade und Noise-Rock, öffnete das Kapitel für alle zukünftigen Sound-Experimente – die „No Depression“-Anhänger waren geschockt. Kaum einer wollte die Platte kaufen, dabei schlossen sich hier launischer Songwriter-Pop („Far, Far Away“, „Someone Else’s Song“) mit üppigen, lärmigen Rock-Nummern („I Got You“, „Hotel Arizona“) kurz.
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Outkast: „Speakerboxx/The Love Below“ (2003)

Big Boi und André 3000, die Mitglieder von OutKast, waren Polaritäten, in deren Spannungsfeld der aufregendste HipHop der Jahrtausendwende entstand. Hier konnten sie schon nicht mehr zusammenarbeiten, teilten sich das Album auf: Auf der einen Seite („Speakerboxxx“) der sprachmächtige Traditionalist Big Boi, auf der anderen („The Love Below“) der anarchische, androgyne André. Wer entschied das Duell für sich? Am Ende gewann die Kunstform selbst. Die beiden zeigten die Möglichkeiten des HipHop auf, setzten Atlanta auf die Landkarte, bereiteten der Trap-Explosion den Boden. Hier hört man sie zum letzten Mal gemeinsam, wenngleich getrennt, auf der Höhe ihrer Fähigkeiten.
