Der verzweifelt romantische Schelm: Zum Tod von George Michael

Er hat uns alles Drama gegeben, das ein Popstar geben kann: ROLLING STONE-Redakteur Arne Willander über den Tod des britischen Sängers George Michael.

Er hat uns alles Drama gegeben, das ein Popstar geben kann. Und Gott, George Michael war ein Popstar. Er war ungefähr der devianteste Sänger, den England nach Freddie Mercury hervorbrachte, er war der begabteste Songschreiber für richtige Hits, er hatte erst den unwahrscheinlichsten Namen und dann den britischsten, er hatte einen unbegabten Partner und dann keinen mehr, er war erst heterosexuell, dann bisexuell und dann homosexuell, er verklagte seine Plattenfirma, dann verklagte seine Plattenfirma ihn, um schließlich wieder eine Platte von ihm zu veröffentlichen. Er schrieb ein Liebeslied, das er zunächst zu Ostern situierte und das zum beliebtesten Weihnachtslied der Neuzeit wurde, weil er es noch rechtzeitig in den Winter verlegte.

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Georgios Panagiotou, am 25. Juni 1963 in London geboren, trat seit 1981 mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley als Wham! auf. Zwei Jahre später kannte jeder, der sich für Pomusik interessierte, Wham!. Sie haben das Ausrufungszeichen im Bandnamen nicht erfunden, aber sie haben den absoluten Begriff für ein Pop-Duo mit einem Ausrufungszeichen erfunden. George Michael wirkte nicht wie ein junger Mann, der Hits schrieb – er wirkte wie eine Erfindung, die auf einer Luftmatratze in einem Swimmingpool liegt, Cocktails trinkt, den Frauen hinterherschaut und „Club Tropicana“ singt – was natürlich genau das war, was er machte.

George Michael konnte machen, was er wollte

„Club Tropicana“ ist ein Song, der darauf hinweist, dass so etwas wie das Meer fehlt, wenn auch sonst alles da ist. Es ist ein Song über Künstlichkeit. „Wake Me Up Before You Go-Go“ schien wie etwas von den Thompson Twins zu sein. Von da an dauerte es nur ein Jahr, bis „Careless Whisper“ erschien, die Kathedrale von Ballade, ein Monument der schwelgerischen, gewichtslosen Romantik, ein Monster des Sehnens, die später dem zweiten Album von Wham! hinzugefügt wurde, aber George Michaels Alleingang einleitete. „Faith“ (1987) war so erfolgreich, dass Michael alles machen konnte – und machte es sowieso schon. Die Platte kündet von Michaels Faible für Rock’n’Roll, für Disco und Funk, es ist eine gute Platte mit sehr gemischter Musik.

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„Listen Without Prejudice Vol. 1“ ist keine gute, aber eine außergewöhnliche Platte. Es war klar, dass niemand ohne Vorurteil hören würde, gerade weil das Album so heißt. Es war klar, dass die Kritiker das Album verreißen würden. Es war klar, dass Sony Music sich nicht darüber freute. Und es war klar, dass kein zweiter Teil folgen würde. Es war diese Art von Album. Aber diese Art von Album wird sonst nicht acht Millionen Mal verkauft. Der „New Musical Express“ schrieb: „Listen without speakers.“ Ein Kritiker in Deutschland bekam keine Platten mehr von Sony, nachdem er das Album rezensiert hatte. George Michael mochte Sony nicht mehr, er glaubte, dass sie das Album nicht richtig beworben hatten, strengte eine Gerichtsstreit an, ließ sich von Virgin aus dem Vertrag kaufen und veröffentlichte nach quälenden Jahren „Older“ (1996), und wieder verriet er mit dem Titel zuviel.

Im Frühjahr wurde Michael in einem Toilettenhäuschen im Will Rogers Park in Los Angeles bei einer sexuellen Handlung beobachtet und verhaftet. Er schrieb den Song „Outside“ und veröffentlichte ein Video, indem sich zwei Polizisten küssen, und so hatte der Polizist, der ihn festgenommen hatte, auch noch etwas davon, er verklagte Michael auf zehn Millionen Dollar wegen übler Nachrede, Verletzung der Privatsphäre und dergleichen. Mit der Best-of-Platte „Ladies And Gentleman“ hatte Michael 1998 ausgesorgt, wenn er nicht schon vorher ausgesorgt hatte. Aber er hatte keine Songs mehr in sich. „Songs From The Last Century“ erschien 1999, ein zugleich ambitioniertes und sinnloses Album mit Stücken, die Michael gut fand, in geblähten Orchester-Arrangements.

Depressionen und Drogenmissbrauch

George Michael war jetzt jemand, der komische Songs aufnahm: „Freeek!“ 2002, dann „Shoot The Dog“ als Protest gegen George W. Bush. Sein quietschender, hektischer, zickiger Irrsinns-Elektronik-Funk war INTERESSANT. Michael galt als DURCHGEKNALLT. Er hatte Depressionen. Er ärgerte sich. Er nahm Drogen. Er trauerte um seine Mutter, er trauerte um seinen Freund Anselmo. Er war untröstlich. Dann nahm er das majestätische Album „Patience“ (2004), „Amazing“, „My Mother Had A Brother“, „Flawless“ – nun erzählte er nur noch von sich selbst, und es war großartig.

Die Musik tanzte über dem Abgrund, manchmal kam sie fast zum Stillstand. Ein Jahr später wollte Michael aufhören, noch ein Jahr später unternahm er die größte Tournee, die er je gemacht hatte. Dann wurde er notorisch für bekifftes Autofahren, das Einschlafen am Steuer und das Rammen von Hauswänden. Er kam ins Gefängnis, wenn auch nicht für lange. Es gab Gerüchte. Er wurde zu Oscar Wilde. Er wurde in Wien krank, eine Lungenentzündung. Im Jahr 2014 erschien „Symphonica“ mit orchestral aufgerüschten Fassungen seiner Songs. Das Gespreizte hatte keine Grandezza. Metallica hatten es gemacht, Sting hatte es gemacht. George Michael war ein bisschen langweilig geworden. Er trat bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele in London auf, Madness und Mike Oldfield waren auch da.

Aber George Michael hatte noch eine bittere Pointe, die überdauern wird wie „Last Christmas“ und „Careless Whisper“. Er war ein verzweifelt romantischer Schelm.

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