Exklusiv: Touré über D’Angelo -„Wollte kein Sexsymbol sein“

Nachruf auf D’Angelo: Von „Brown Sugar“ über „Voodoo“ und „Untitled“ bis „Black Messiah“. James Brown, Prince und Questlove als Einflüsse. Jetzt lesen.

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D’Angelo und Questlove saßen auf einer Couch in einem schicken Hotel und sahen sich ein Video von James Brown aus dem Jahr 1964 an – oder besser gesagt: Sie analysierten es bis ins Detail. D und Quest beobachteten jede Geste, jeden Tanzschritt und jedes Lichtsignal, jedes Mal, wenn der Godfather of Soul seiner Band subtil signalisierte, was sie tun sollte. Diese Szene spielte sich vor 25 Jahren ab. Ich war in dem Raum und berichtete für ROLLING STONE über D’Angelo.

Er war zu diesem Zeitpunkt einer der angesagtesten Künstler der Welt. Sein zweites Album, „Voodoo“, hatte ihn als unbestreitbares musikalisches Genie etabliert. Ein Höhepunkt des modernen Soul: tiefgründig, kraftvoll, sexuell, sinnlich und intim. Genau das faszinierte so viele Menschen an Soul-Musik – ein Album mit langen, dreckigen Grooves, Falsett-Serenaden und basslastigen Klängen, die das Herz schneller schlagen ließen. Und es war nicht nur Musik. Es war D’Angelos Kriegserklärung an die Zukunft der Musik. D’Angelo erklärte mir damals, er sehe es so: Die Musik sei zu kommerziell geworden, und „Voodoo“ sei ein Versuch, die Künstler davon abzubringen und sie zu ermutigen, ihrer inneren Stimme zu folgen – wohin auch immer sie sie führen würde.

„Voodoo“ sollte außerdem Princes Aufmerksamkeit wecken, in der Hoffnung, den Purple One zu überzeugen, gemeinsam mit D und Quest an einem Album zu arbeiten. Gewissermaßen als Vorsingen für Prince. Doch das ist eine andere Geschichte. D befand sich auf dem Gipfel des Erfolgs – ein echter Superstar – und dennoch saß er da und studierte die Großen wie ein ehrgeiziger Schüler. James Brown, Stevie Wonder, Prince, Al Green, Aretha Franklin, Marvin Gaye – die Kanoniker des Soul. Sie nannten diese Vorgänger „Yodas“ und die Videos „Treats“. An jenem Tag fragte Questlove D: „Wie würde dein Leben aussehen, wenn du diesen George-Clinton-Treat nicht gesehen hättest?“ D antwortete: „Ganz anders.“

Der Schüler der Großen

Als ich sah, wie er ältere Musiker hyperanalytisch betrachtete, verstand ich besser, woher Ds Größe kam. Er war ein ernsthafter Schüler seines Handwerks und ein fleißiger Arbeiter, obwohl er außergewöhnlich begabt war. Schon als Kind war er so talentiert, dass sein älterer Bruder mir erzählte, sie hätten nie gedacht, D könnte etwas anderes als Musiker werden.

Er wuchs in einer Pfingstgemeinde in Virginia auf und zog als Teenager mit einem Trio nach New York City, um einen Plattenvertrag zu bekommen. Das Label wollte jedoch nur ihn. Sein Debütalbum „Brown Sugar“ machte ihn sofort bekannt – es gab einen neuen Soul-Giganten in der Stadt. Die gleichnamige Single, ein freches Hin und Her über seine Liebe zu Marihuana, gehörte zu den Top-Songs des Sommers 1995. Einige empfanden das Album allerdings als unvollendet, als wären die Songs eher Skizzen. Fünf Jahre später machte D mit seinem zweiten Album „Voodoo“ alles vergessen.

Es war eine herausragende Leistung, die zeigte, dass er nicht nur ein Schüler der Soul-Legenden war, sondern ihnen ebenbürtig.

Das Problem mit „Voodoo“

Doch „Voodoo“ brachte auch ein Problem mit sich. Der Song „Untitled (How Does It Feel)“ war D’Angelos Meisterwerk. Ein wirbelnder, erotischer Funk-Groove, so intensiv, dass man allein vom Zuhören schwanger werden konnte. Sein Manager Dominique Trenier stellte sich ein Video vor, in dem D allein auf einer Bühne stand, während die Kamera Nahaufnahmen seines Körpers zeigte – von den Cornrows bis knapp unter den Bauchnabel.

Einfach, sexuell, kraftvoll. Es sollte der Höhepunkt jahrelanger körperlicher Arbeit sein. Als D „Brown Sugar“ veröffentlichte, war er übergewichtig. In den fünf Jahren danach, während er an „Voodoo“ arbeitete, änderte er seine Ernährung und trainierte wie besessen. Als das Video zu „Untitled“ anstand, war er in absoluter Bestform. Doch er wollte das Video nicht drehen. Seine Limousine hielt vor dem Set, und er weigerte sich, auszusteigen. Er war nervös. Trenier setzte sich zu ihm, bis er schließlich zustimmte. Sie gingen hinein und schufen eines der ikonischsten Musikvideos aller Zeiten. Es schlug in der Kultur ein wie eine Neutronenbombe.

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War dies der bestaussehende Mann der Welt? Vielleicht. Das Video machte D’Angelo noch berühmter. Doch es hatte einen Preis. Nach „Untitled“ begannen die Menschen, ihn anders zu sehen. Bei Konzerten schrien Fans, er solle sein Hemd ausziehen. Für ihn, der als Musiker wahrgenommen werden wollte, war das ein Problem.

Vom Genie zum Sexsymbol – und wieder zurück

D hatte Musik wie ein Doktorand studiert und fünf Jahre lang an „Voodoo“ gearbeitet. Er wollte, dass es um die Songs ging – darum, als Musiker ernst genommen zu werden. Doch die Fans schrien so laut nach seinen Bauchmuskeln, dass man die Musik kaum noch hörte.

Er fühlte sich, als sei er vom Genie zum Sexsymbol degradiert worden. Aus Protest verschwand er. Jahrelang hörte man nichts von ihm. Sein drittes und letztes Album, „Black Messiah“, erschien erst 2014 – mehr als ein Jahrzehnt später.

Das Vermächtnis

„Voodoo“ bleibt eine herausragende Leistung. Es wird als kraftvolle Inspirationsquelle in Erinnerung bleiben – der Beweis, dass D’Angelo in dem Krieg, den er so mutig führte, letztlich standhielt. Er zeigte, dass man erfolgreich sein kann, wenn man seiner Muse folgt, Branchentrends ignoriert und den Menschen ehrliche, innovative Musik bietet. Jetzt ist D’Angelo nicht mehr da.

Wenn ich seine Nachkommen höre – Künstler wie Frank Ocean, HER und SZA –, ist es, als würde ich Blumen aus den musikalischen Samen blühen sehen, die er einst säte. Am Ende hat er gewonnen.