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Gunter Blank geht essenKolumne

Gunter Blank geht essen: Bratwurst – deutsche Identität, gegrillt

Wir brechen endlich eine Lanze für die Bratwurst, fränkisch oder thüringisch – das deutsche Kulturgut schlechthin.

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Vor ziemlich genau dreißig Jahren, am 18. März 1995, bezeichnete VfB-Stuttgart-Stürmer Fredi Bobic nach dem 2:2 bei der Frankfurter Eintracht vor laufenden Kameras Schiedsrichter Heinz-Dieter Casper vor laufenden Kameras als „blinde Bratwurst“, weil dieser ihm wegen Meckerns die Gelbe Karte gezeigt hatte.

Obwohl die Bratwurst zum Fußball gehört wie sonst nur das Bier, fand das Sportgericht des DFB das gar nicht witzig und sperrte ihn für ein Spiel. Zu gnädig, findet der Verfasser, nicht wegen der Beleidigung, sondern weil Bobic damit recht eigentlich eines unserer höchsten Kulturgüter in den Dreck gezogen hat.

Wenngleich die Bratwurst hierzulande ein eher bescheidenes Dasein zwischen Fußballstadien, Jahr- und Weihnachtsmärkten sowie dem heimischen Grill fristet, ist sie nicht nur ein alle Deutschen gleichermaßen entzückendes Nahrungsmittel, sondern auch, wenn von einem qualifizierten Metzger zubereitet, durchaus eine kulinarische Delikatesse. Und im Grunde auch Fleisch gewordener Ausdruck deutscher Identität, stammt sie doch aus dem Herzen Deutschlands, aus Franken und Thüringen, und hat sich von dort gleichmäßig nach Nord und Süd ausgebreitet.

Jeder verspeist im Schnitt 75 Bratwürste im Jahr

Statt vom entzweienden Weißwurstäquator sollte man deshalb besser vom Bratwurstgürtel sprechen, der sich von Thüringen bis in die Pfalz erstreckt und das Land quasi zusammenhält. Etwa 140.000 Tonnen verspeisen die Deutschen im Jahr, das entspricht etwa 75 Stück pro Person, wobei in der Hitparade der deutschen Lieblingswürste die sozusagen modernisierte Curry- die Nase knapp vor der klassischen Bratwurst hat.

Auf Platz drei folgen schon die Rostbratwürste aus Nürnberg. Dort wurde die Bratwurst vermutlich erfunden – zumindest wurde sie im Jahr 1313 vom Rat der Stadt erstmals definiert. Nur bestes Fleisch von der Lende durfte verwendet werden, und wer beim Strecken erwischt wurde, musste mit Turmhaft und Prügelstrafe rechnen.

Damals herrschte noch die größere Variante vor – die für Nürnberg typischen kleinen Würste entstanden erst um das Jahr 1555, als die Stadt den Metzgern die Halbierung der Wurst bei gleichem Verkaufspreis gestattete, die fortan immer weiter auf die heute gebräuchliche Größe schrumpfte. Gleichwohl lieben nicht nur die Franken ihre Drei im Weggla und Sechs auf Kraut – und sie kosten heute in etwa das Gleiche wie eine Currywurst in Berlin oder Dortmund.

Die Norm aber sind die etwa 110 Gramm schweren Fränkischen und Thüringer, bestehend aus gewolftem Schweinefleisch und Speck, wobei die Thüringer gemeinhin etwas feiner sind als die mittelgroben aus Franken. Manche geben auch Kalbfeisch oder Eiswasser dazu. Gewürzt wird mit Salz, Majoran oder Kümmel, dann wird das Brät in den Darm gepackt und gar gebrüht.

Natürlich hat jede Region, jeder Metzger sein eigenes Geheimrezept. In Nürnberg verfeinert man mit Piment, Macisblüte und Zitrone, in Hessen mit Ingwer und Kardamom, und in Schweinfurt liebt man die mit Silvaner veredelte Winzerwurst.


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Inzwischen findet man die Bratwurst in allen möglichen Variationen nicht mehr nur im Wirtshaus, sondern durchaus auch in der Spitzengastronomie. Selbst Deutschlands Gourmetpapst Jürgen Dollase experimentierte schon durchaus erfolgreich mit der Kreation einer Feinschmeckerbratwurst, nicht zuletzt weil auch der kulinarische Feingeist sich vom verführerischen Duft der Bratwurstbuden immer wieder mal angezogen fühlte, nur um allzu oft von der minderwertigen Qualität bitter enttäuscht zu werden.

Mit Dollases Ausfug in die kulinarische Popkultur schließt sich gewissermaßen der Kreis. Denn sein Ansatz, musikalische
Gestaltungselemente für die Kulinarik fruchtbar zu machen, sowie seine Mission, den Menschen die Sterneküche nahezubringen, war vor mehr als zehn Jahren auch Inspiration für diese Kolumne, die mit einem Einblick in die spanische Avantgardeküche begann und nun mit der Erkenntnis endet, dass man heute auch in Deutschland auf einem Niveau essen kann, das dem spanischen in nichts mehr nachsteht.