Gunter Blank geht essen: Es gibt Reis, Baby!

Reis spielte in deutschen Haushalten lange allenfalls eine Nebenrolle. Das sollte sich ändern.

Der Satz „Die Chinesen sind arm und kommen nicht voran, weil Mao ihnen nur ein Schälchen Reis am Tag zuteilt“ galt den Deutschen noch bis tief in die 70er-Jahre als unanfechtbarer Ausweis ihrer China-Kennerschaft und auf verquere Weise auch nicht selten als Begründung, selbst keinen Reis zu essen, weil der ja nicht satt mache.

Von der Vielfalt der chinesischen Küche oder gar von den mit Dutzenden verschiedener Speisen veranstalteten Gelagen, bei denen man am Schluss ein Schälchen Reis stehen lässt, um zu zeigen, dass man satt ist, wusste hierzulande niemand. Von den auf Reis basierenden Kochgewohnheiten der anderen asiatischen Länder von Persien bis Indonesien natürlich auch nicht. Es war nicht einmal aufgefallen, dass die Norditaliener, deren Küsten die Deutschen ab den späten Fünfzigern heimsuchten, nicht nur Spaghetti kochten, sondern auch schmackhaftes Risotto zubereiteten. Erst als die Urlaubsreisen nach Spanien führten, machten sie mit der Paella Bekanntschaft.

Parallel dazu schossen überall China-Restaurants aus dem Boden, in denen Reis die Standardbeilage war. Dennoch dominierten in den Haushalten, wenn denn einmal mit Reis gekocht wurde, ziemlich schräge Wirtschaftswunderkreationen wie Hühnerfrikassee, mit einem Hack-Reis-Mix gefüllte Paprika (die übrigens sehr gut schmeckten) oder auch Reis mit Haschee, einer Art Spaghettisauce, die nur aus Hackfleisch und ein bisschen gehackter Zwiebel bestand und mit etwas Brühe angereichert wurde. Alles schnell zu kochende Mahlzeiten, die die halbtags arbeitende Mutter dem nach Hause kommenden Schulkind hinstellen konnte.

Darüber hinaus kam Reis eher selten vor. Daran änderte auch die Sushi-Mode in den Achtzigern nichts. Allenfalls das Risotto tauchte durch Vermittlung der Toskana-Fraktion seit den Neunzigern öfters mal auf den genussbürgerlichen Speisezetteln auf. Vielleicht liegt es daran, dass der Reis nur allzu oft kleben blieb, anbrannte und die damals gebräuchlichen Emailletöpfe ruinierte, während der in den 70er-Jahren in den Markt gedrückte Uncle-Ben’s-Beutelreis zwar problemlos zuzubereiten war, aber eine derart lieblose Aura verströmte, dass kein kulinarischer Funke daraus zu
schlagen war.

Dabei hat der Reis eine faszinierende Geschichte, und er bietet eine komplexe Sortenvielfalt. Millionen Jahre älter als der Mensch, wurde er von diesem vor etwa 4500 Jahren zunächst in Indonesien und Malaysia kultiviert, von wo aus er ganz Asien eroberte. Griechenland und Rom erreichte er um 400 v. Chr., die Römer betrachteten ihn jedoch jahrhundertelang als schickes Arzneimittel. Erst um 1450, nach der Beulenpest in Norditalien, erkannte man in der Lombardei und im Piemont seinen Nährwert, der Export wurde verboten, die Methode des Anbaus wie ein Staatsgeheimnis gehütet.

Alles wurde einverleibt, nur Reis nicht

Was indes nicht der Grund sein kann, weshalb die Deutschen den Reis so stiefmütterlich behandeln. Denn von der Kartofel über die Tomate und die Zitrone bis hin zur Muskatnuss hat sich die deutsche Küche schon im vorletzten Jahrhundert buchstäblich fast alles und durchaus kreativ einverleibt, was die Welt zu bieten hat. In jüngster Zeit kamen Kiwis, Algen und Hummus dazu. Nur der Reis blieb ein Exot, der einfach nicht ins Geschmacksbild deutscher Gerichte passen wollte.

Nicht einmal der Fusion-Spezialist Christian Bau, der die asiatische Küche mit der europäischen vermählt, bietet in seinem sieben Menüs mit insgesamt 56 Gängen umfassenden Kochbuch ein Reisgericht an. Auch „Die Kochlegende Harald Wohlfahrt“ oferiert lediglich zu einer Jakobsmuschel-Variation ein eindeutig italienisch-französisches Kafrlimetten-Risotto.


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In der gutbürgerlichen Küche sieht es nicht besser aus: Weder das durchaus als Standardwerk anzusehende Buch „Die deutsche Küche“ (Gräfe und Unzer 1993) noch Tim Mälzers emotional-subjektives „Heimat“ findet außer zum banalen Kalbs- bzw. Hühnerfrikassee eine Verwendung für den Reis. Oder doch: Mälzer erwähnt als eine seiner liebsten Kindheitserinnerungen den Milchreis. Für den Verfasser dieser Kolumne allerdings war das ein klebriger, nach verkochter Milch schmeckender Nachtisch-Ersatz, vor dem er als Kind stets schreiend davonlief.

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