Gunter Blank geht essen: Adiós Pintxos?

Ein Streifzug durch die Bars von San Sebastián: Der legendären Pintxos-Kultur droht zwar das Ende – aber schon tun sich Alternativen auf.

Luis, der Betreiber der am Eingang zur Altstadt von San Sebastián gelegenen Pension Joakina, hatte mich gewarnt: „Die Bars im Casco Antiguo kannst du vergessen. Die Pintxos dort taugen schon lange nichts mehr.“

Bereits vor der Pandemie, so erklärt er, seien die jungen Leute weggeblieben, weil die Pintxo-Tour am frühen Abend nicht mehr ihrem Lebensstil entsprach, während die Alten sich die gestiegenen Preise nicht mehr leisten können. Die Folge: Viele Bars gerieten in die Krise, befinden sich inzwischen in der Hand von Konzernen, die das eintönig gewordene Sortiment von Cateringfirmen anliefern lassen.

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„Damit kannst du nur noch die Touristen abfüttern“, beendet Luis seine Tirade. Ich hätte auf ihn hören sollen, schließlich ist der 61-Jährige im Viertel aufgewachsen, seine Mutter hat die Pension einst gegründet. Seitdem ist er mit den Entwicklungen rund um die Plaza de la Constitución innigst vertraut. Aber die Erinnerung an glückselige Streifzüge mit wunderbaren Köstlichkeiten wog schwerer.

Doch schon nach wenigen Schritten der erste Schock: An der altehrwürdigen Markthalle prangen die gelben Bögen. Dahinter liegen die vier mal vier Blocks, die einmal weit über 200 Bars beherbergten, einigermaßen ausgestorben da. Dabei ist es kurz nach sieben, Pintxo-Zeit. Immerhin aus dem Mendaur wehen spanische Wortfetzen, also hinein!

Vor fünfzehn Jahren war das Mendaur eine der ersten Bars, die die Pintxo-Klassiker mit den Rezepturen der Koch-Avantgarde verfeinerten. Und tatsächlich, die einst revolutionären Pintxos haben ihren Charme nicht verloren, auch wenn etwa Jakobsmuscheln mit glasiertem Knochenmark längst überall in Spanien zum Standard gehören. Auch die altehrwürdige Sportbar nebenan ist gut besucht, und die Gilda schmeckt so sauer-scharf, wie sie sein soll.

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Formlose Oliven

Also alles nicht so schlimm? Leider doch, denn direkt dahinter beginnt das Grauen: Grüppchen junger betrunkener Engländer torkeln durch die Gassen, erschrecken deutsche Senioren und herumirrende Franzosen. In den meisten Bars sind die einst elegant Rita Hayworths Kurven nachempfundenen Gildas aus Anchovis, Peperoni und Oliven so formlos zusammengesteckt, dass man sie lieber Pavarotti nennen möchte.

Dazu ist selbst in der über ein Jahrhundert alten Bodega Donostiarra der Aufenthalt an der Bar inzwischen verboten, man wird zum Platznehmen an einem der Tische genötigt, während der Kellner einem ein Formular in die Hand drückt, auf dem man die gewünschten Pintxos ankreuzen soll. Die allerdings sehen im fahlen Licht der Plastikvitrinen derart unappetitlich aus, dass der Gast entsetzt das Weite sucht.

„Ich hab ja gesagt, du sollst gleich über den Fluss nach Gros gehen!“, kommentiert Luis trocken meinen Ausflug ins Herz der Finsternis. Tatsächlich entwickelt sich das auf der anderen Flussseite gelegene, angenehm unpittoreske Viertel mehr und mehr zum Zentrum kulinarischer Innovation. Die neuen Etablissements dort sehen sich als Fusion von Pintxo-Bar und Restaurant, man wählt zwischen recht aufwendig komponierten Gerichten, die jedoch so portioniert sind, dass man leicht drei bis vier verzehren kann.

Ungenießbares Hipstergetränk Michelada

Wie immer an der Spitze der Entwicklung, hat hier Andoni Luis Aduriz das Undenkbare gewagt und die überaus nationalstolze baskische Küche mexikanischen Einflüssen geöffnet. Als Mentor der jungen Crew des Topa bietet er hausgemachte Mais-Tortillas zu Aguachile (mexikanisch für Ceviche) mit baskischen Anchovis oder einem konfierten Schweinebauch mit Schokoladensauce.


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Sein Beispiel macht Schule, ein paar Häuser weiter hält das Gatxupa ganz selbstverständlich Guacamole und Salmorejo (Tomatencreme aus Cordoba) bereit, während im San Francisco 33 gleich drei Sterneköche die Karte mit Basq-Mex-Kreationen bestücken.

Eins hätten sich die mexikobegeisterten Köche indes sparen können: Das aus San Luis Potosí stammende Hipstergetränk Michelada, angeblich der neue Aperol Spritz, ist in Wahrheit ein ungenießbares Radler aus Corona, Limettensaft, Worcestersauße, Chiliflocken und Kreuzkümmelrand.

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