BABO – Die Haftbefehl-Story: „Lügen will ich nicht, die Realität ist das“

Die Netflix-Dokumentation über Haftbefehl zeigt einen Künstler im Kampf mit seinen Dämonen.

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Wer einen Gangsterrapper zwischen Champagnerflaschen und nackten Frauen erwartet, der sich im eigenen Ruhm sonnt, wird enttäuscht. Stattdessen zeigt „BABO – Die Haftbefehl-Story“ die Realität einer der schillerndsten Musiker der HipHop-Szene, die dieses Land in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Es geht um Traumata die von der Kindheit bis heute reichen, um eine Biografie, die wirkt wie aus einem Gangsterfilm, Drogenexzesse die nicht immer vor der Öffentlichkeit versteckt geblieben sind, um ein zerbrochenes Familienleben und den langsamen Weg in den Abgrund durch die eigene Sucht.

„Lügen will ich nicht, Die Realität ist das“

„Lügen will ich nicht, Die Realität ist das“, sagt Haftbefehl am Ende der Doku. Ein Satz, der hängen bleibt – schlicht, aber mit voller Wucht. Haftbefehl hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. In seiner Musik ist er ehrlich, brutal, exzessiv. Auf seinem Song „1999 Pt. 5 (Mainpark Baby)“ rappt er: „Deepe Message in die Fresse, Diggi, enjoy.“ Genau das macht auch diese Dokumentation. Künstler-Dokus sind heikel, meist funktionieren sie wie Imagekampagnen, die Widersprüche glätten und Geschichten ordnen. Bei Haftbefehl ist das anders. Diese Doku will nichts geradebiegen, nichts erklären. Sie zeigt einfach, nicht mehr und nicht weniger. Genau darin liegt ihre Kraft.

„Chabos wissen wer der Babo ist“

Mit „Chabos wissen, wer der Babo ist“ schrieb Haftbefehl 2013 ein Stück Popgeschichte. Der Song löste ein kulturelles Erdbeben aus. Auf einmal rappte halb Deutschland in einer Sprache, die zuvor unsichtbar war. „Babo“ wurde Jugendwort des Jahres, und Haftbefehl zum Symbol für eine neue Ära des Deutschrap.

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Netflix

Dennoch steht in der Doku kein Pop-Produkt im Mittelpunkt, sondern ein Mensch, der sich selbst immer wieder verliert. Aykut Anhan – so heißt Haftbefehl mit bürgerlichem Namen – ist der Sohn kurdisch-türkischer Einwanderer aus Offenbach, aufgewachsen zwischen den Blocks und kulturellen Barrieren. Ein Mann, der sich mit derselben Intensität zerstört, mit der er Musik erschafft. Jemand der mit 13 angefangen hat, Koks zu ziehen, mit dem Dealen groß wurde und seinen Vater verlor, weil er sich das Leben nahm. Dann kam die Musik. Sie war in jungen Jahren Zuflucht – und ist es bis heute. „Wenn es um die Kunst geht, ist mir alles egal“, sagt Haftbefehl in der Doku.

Stimmen aus der Szene

Musiker wie Peter Fox, Moses Pelham, Marteria, Kool Savas, Bausa und viele andere kommen in dem Film zu Wort und erklären, unter welchen außergewöhnlichen Umständen Haftbefehl Musik macht. Peter Fox:„ Die Energie Stimmt halt total und das finde ich halt als Künstler extrem krass.“

Denkwürdig wird es, wenn Haftbefehls Freund Xatar zu Wort kommt. Er spielte eine wichtige Rolle in seinem Leben. Er verstarb Anfang des Jahres, dennoch ist er hier zu hören. Xatar sagt: „Egal, was er macht – es sieht immer so aus, als wäre das der Moment, in dem er alles verkackt. Das Ding ist aber: Er macht seinen fucking Job brillant. Und das macht einen Rockstar aus.“

 

Erinnerungen an Xatar

Auf der Bühne der Premiere der Netflix-Doku in Berlin am 24. Oktober spricht Haftbefehl zum ersten Mal öffentlich über Xatar und über die letzten Monate:

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ZUR XATAR-COVER-STORY

Doch das Rockstarleben hält nicht ewig. Wer mit 13 Jahren anfängt zu koksen, spürt irgendwann die Spuren der Sucht. In der Doku sieht man die Veränderung – den Unterschied zwischen Haftbefehl, dem Star, und Aykut Anhan, dem Menschen dahinter. Der Körper gibt irgendwann nach, die Fassade bröckelt. Haftbefehl steht am Rand seines eigenen Abgrunds.

Ein Offenbacher mit dem Spiegel der Realität

Genau dieses Leben, das ihn fast umgebracht hat, hat ihn auch geformt. Es hat Haftbefehl zu dem gemacht, was er heute ist: ein Rapper, ein Offenbacher, ein Kind der Straße. Aber vor allem ein Spiegel einer Realität, die viele lieber ausblenden, weil sie unbequem ist. Haftbefehl ist ein Sprachrohr für all jene, die nie eine Bühne bekommen haben. Einer, der Wunden offenlegt, statt sie zu kaschieren. Er zeigt, was Drogen, Trauma und Überleben mit einem Menschen machen – und zwingt uns, hinzusehen.

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Netflix

Im Grunde tut er das, was er schon immer getan hat: Er zeigt uns kompromisslos seine Welt. Genau deshalb hat Hafti, wie ihn seine Fans nennen, wohl auch nichts an der Doku ändern lassen – obwohl man ihm aus PR-Sicht sicher davon abgeraten hätte. Doch die Regisseure hatten von Anfang an eine Vision. Sie wollten nichts nichts inszenieren. Wichtig war: Diese Geschichte muss erzählt werden, egal wohin sie führt.

Die Radikale Ehrlichkeit der Doku-Macher

Im Gespräch mit den Regisseuren Juan Moreno und Sinan Sevinc wird zudem klar: Die Idee radikaler Ehrlichkeit stand von Anfang an fest. Sie wollten keine Doku, die ihre Protagonisten glorifiziert oder weichzeichnet, sondern ein unverstelltes Bild zeigen – auch dann, wenn es kompliziert und rätselhaft wird.

ZUM VIDEO-INTERVIEW mit Juan Moreno und Sinan Sevinc

Juan Moreno machte sich einen Namen, als er beim „Spiegel“ den gefeierten Reporter Claas Relotius entlarvte, dessen preisgekrönte Geschichten sich später als zum Teil frei erfunden herausstellten. Sinan Sevinc kommt aus einer ganz anderen Richtung. Er ist bekannt für seine auf Hochglanz produzierten Werbefilme, unter anderem für den Deutschen Fußball-Bund. Eine ungewöhnliche Kombination, die vielleicht gerade deshalb funktioniert.

Produzent Elyas M’Barek über die Entstehung

Auf dem roten Teppich der Premiere erzählt uns auch unter anderem Elyas M’Barek, der die Doku gemeinsam mit Pacco-Luca Nitsche produziert hat, wie das Projekt zustande kam – und welche Szene ihm besonders im Gedächtnis geblieben ist.

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Zwischen Größenwahn und Verletzlichkeit

„BABO – Die Haftbefehl-Story“ ist das Porträt eines Musikers, der eben kein glattpolierter Entertainer ist, sondern jemand, der zu spät zu einem Millionen-Deal bei Universal kommt, den CEO in den Schwitzkasten nimmt und den Vertrag im Rausch mit dem Stift im Mund unterschreibt. Einer, der seine Frau zum Weinen bringt, weil er sich nicht unter Kontrolle hat. Der zehn Gramm Koks zieht, weil er nicht mehr leben will. Der sich eine Infusion legt, bevor er auf die Bühne geht. All das sind Geschichten und Bilder aus der Doku.

Die Doku ist eine ungeschönte Geschichte des Überlebens, eines Dramas zwischen Größenwahn und Depression, Ruhm und Absturz, Kontrolle und Kontrollverlust. Der Film wird beiden gerecht: dem Künstler Haftbefehl und dem Menschen Aykut Anhan. Das Drama eines Lebens, das sich in seiner Musik längst angekündigt hat. Diese Doku will nichts beschönigen und nichts verdammen. Sie zeigt uns einfach die Realität. Am Ende bleibt Ehrfurcht. Nicht vor dem Star, sondern vor dem Menschen.

„BABO – Die Haftbefehl-Story“ ist ab 28. Oktober auf Netflix zu sehen.