Timothy Ferris im Gespräch

Interview zur „Voyager Golden Record“: Rock’n’Roll für Aliens

Vor 46 Jahren schickte die NASA zwei Voyager Golden Records ins All. Darauf enthalten: die Klänge der Erde. Timothy Ferris erklärt, warum Außerirdische lieber Bach als Beatles hören. Ist da draußen jemand?

Am 31. Juli 2023 meldete die NASA, dass der Kontakt zur „Voyager 2“ aufgrund eines falschen Befehls abgebrochen war – die Antenne der Sonde hat sich nun von der Erde weggedreht. Mittlerweile sei wieder ein Signal angekommen. Doch was ist die „Voyager 2“ eigentlich, und was hat die „Voyager Golden Record“ mit ihr zu tun? Aus aktuellem Anlass – unser Interview mit dem Co-Schöpfer der Schallplatte:

Timothy Ferris, 77, ist Wissenschafts-Autor, Journalist und emeritierter Professor an der Universität von Kalifornien, Berkeley. Als ehemaliger ROLLING-STONE-Redakteur wurde er 1977 beauftragt, die Voyager Golden Record zusammenzustellen: Jene zwei identischen Schallplatten, die vor 46 Jahren mit den beiden Voyager-Sonden ins All geschickt wurden, und die Musik, Sprache und Geräusche der Erde enthalten – und irgendwann hoffentlich von Außerirdischen entdeckt werden.

Voyager 1 und Voyager 2 haben inzwischen die Planeten unseres Sonnensystems passiert und entfernen sich mit 17 Kilometern pro Sekunde von der Sonne – nichts, was der Mensch je ins All schoss, kam bislang weiter als die knapp eine Tonne schweren Weltraumsonden. Seit 2012 durchkreuzt Voyager 1 den so genannten interstellaren Raum, das sternferne Gebiet noch innerhalb unserer Galaxie, Voyager 2 hat es im November 2017 erreicht. Sonde eins ist jedoch schon 20,5 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt, Voyager 2 rund 17 Milliarden Kilometer. Und noch immer, bis voraussichtlich 2025, erreichen nun zumindest noch die Daten von „Voyager 1“ die Erde. Hier gibt es eine aktuelle Übersicht der Flugbahn.

Zum 40. Jubiläum des Starts wurde 2017 die Voyager Golden Record erstmals für die Menschheit aufgelegt, als Dreifach-LP in einem Boxset, produziert und gestaltet von „Boing Boing“-Redakteur David Pescovitz, Timothy Dailey von „Amoeba Music“ und dem Coverdesigner Lawrence Azerrad. Timothy Ferris überblickte den Neu-Transfer der Master-Bänder. Das Set wurde für den Grammy nominiert – für das „Best Boxed Or Special Limited Edition Package.“

Ein Gespräch über Mixtapes für Aliens, Rock’n’Roll als Testament der Menschheit und warum die Beatles nichts ins All durften.

Timothy Ferris

ROLLING STONE: Die 90 Minuten lange Schallplatte enthält neben Sprachbegrüßungen und Geräuschen der Erde auch 26 Musikstücke aus verschiedenen Kulturen. Warum hatten Sie für einen Beitrag Amerikas gerade Chuck Berry ausgesucht?
Ferris: Wir wollten nichts auswählen, das nur „typisch Rock’n’Roll“ war, mir ging es um Exzellenz und Vielfalt, und das innerhalb nur eines Lieds. „Johnny B. Goode“ erfüllt dieses Kriterium. Berry war im Gegensatz zu Hit-Musikern seiner Zeit nicht nur Interpret, sondern auch Songwriter. Fast alles, was wir heute als Rock bezeichnen, wurde von ihm erfunden.

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ROLLING STONE: Und die Außerirdischen sollen heraushören können, dass der Interpret sein eigenes Werk vorträgt?
Ferris: Natürlich hätten wir auch andere Sänger auf das Album packen können, Elvis Presley läge auf der Hand. Das Kriterium hätte auch sein können: Klangfarbe, die Schönheit einer Stimme. Aber ich glaube daran, dass Authentizität universal spürbar ist. Rock’n’Roll ist Roots, wie Folk, wie Rap. Eine Art der Musik, die nur von Leuten erfunden worden sein kann, die eben keine ausgebildeten Musiker sind. Songs, die Intuition und wahrer Kreativität entspringen.

Die Rolling Stones waren zu gefährlich

ROLLING STONE: Der Musikhistoriker und Folk-Forscher Alan Lomax beteiligte sich an der Tracklist. Mit Chuck Berry war er nicht einverstanden. Das sei ja „Musik für Heranwachsende“, die dürfe man keiner außerirdischen Lebensform verkaufen.
Ferris: Ja, und unser Projektleiter und mein Freund, Carl Sagan (legendärer Astronom und Astrophysiker, verstorben 1996), antwortete ihm: „Es gibt ja auch viele Heranwachsende auf diesem Planeten!“. Brillant! Ich machte mir aber eher Sorgen, ob jemand bei der Weltraumbehörde NASA, oder irgendein Beamter uns beim Rock’n’Roll reinreden würde. Aber es war ihnen völlig egal, und das hatte mich nicht gewundert.

Voyager 1

ROLLING STONE: Warum nicht?
Ferris: Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, aber 1977 war eine Zeit, in der die Rolling Stones nach New York City kommen konnten, mehrmals im Madison Square Garden spielten – und in der „New York Times“ gab es dazu keine einzige Besprechung. Journalistische Stücke über Rockmusik konnten damals Kontroversen entfachen, das Thema wurde viel heißer und eben vorsichtiger angepackt als heute. In der jetzigen Zeit gibt es diese Brennpunkte höchstens noch in der Diskussion über Rap. Es geht dann um den Vorwurf der Gewaltverherrlichung, um „sperrt eure Töchter weg“.

ROLLING STONE: Und die Aliens sollen ja keine Angst vor uns bekommen, sondern uns besuchen.
Ferris: Die Kulturen unserer Welt sind weitestgehend erforscht. Aber blicken wir 100 Jahre zurück. Wie verlief damals der Erstkontakt mit einer fremden Kultur, mit wem nahmen Entdecker als erstes eine Bindung auf? In der Regel mit Kindern und Jugendlichen. Weil es am einfachsten ist. Dabei wird immer darüber gesprochen, wie schwer es sei, die Sprache oder den Geist der Jüngeren zu verstehen.

Mit Glenn Goulds Einspielung des ‘Wohltemperierten Klaviers‘ lagen wir richtig

ROLLING STONE: Aus Deutschland und Österreich stammen sechs Stücke der Voyager Golden Record, allesamt Klassik.
Ferris: Hier hatten wir ja gar keine andere Wahl als auf Musik zurückzugreifen, die nicht von den Komponisten auf Tonträger erstveröffentlicht, sondern von anderen nachgespielt wurde. Etwa einen deutschen Beitrag, Beethovens 5. Symphonie, oder Mozart aus Österreich mit „Die Zauberflöte“. Es existierten ja zu deren Zeit bekanntlich keine Tonaufnahmen. Mit Glenn Goulds Einspielung von J.S. Bachs „Das Wohltemperierte Klavier“ hatten wir sicherlich eine der besten heutigen hinzugefügt.

Voyager 1

ROLLING STONE: Rock, Klassik, Panflöten aus Peru, Stammesgesänge der Navajo-Indianer – die Auswahl erfolgte nach dem Kriterium Diversität. Was sprach gegen Homogenität und dem Anspruch, darzulegen, wie unterschiedlich gut Kulturen in derselben Musik miteinander konkurrieren?
Ferris: Bei der Musik ging es um Diversität, aber schauen Sie sich doch die Schallplatten der zwei Voyager-Sonden an. Sie sind das Ergebnis der Arbeit vieler Nationen, die im All als eine Nation auftritt. Eine Platte nur mit Rock’n’Roll unterschiedlicher oder eben exakt gleicher Güte – welchen Reiz hätte das schon gehabt? In der geometrischen Wissenschaft spricht man von Selbstähnlichkeit, also etwa zwei Dinge mit gleicher Struktur, aber das war nicht unser Anliegen. Vielmehr verlief unsere Musikauswahl auch danach, ob sie eine mathematische Aussage hat.

Immer wieder Bach, nonstop

ROLLING STONE: Inwiefern?
Ferris: Die Musik J.S. Bachs folgt oft Symmetrien, später aufgegriffen von Beethoven, eine mehr oder weniger codierte Sprache, die vielleicht nicht nur von Menschen entschlüsselt werden kann. Dass unsere Album-Tracklist eine Kontextualisierung derer Stücke beinhaltet, war ebenfalls eine Botschaft. Ich erinnere an den großen Physiker Lewis Thomas: Wenn wir Musik ins All senden, als diejenige Sprache, die noch die geringste Ambivalenz aufweist, dann sollte es Bach sein. Immer wieder Bach, nonstop.

Die EMI untersagte uns ‘Here Comes The Sun‘

ROLLING STONE: Dabei haben uns die Aliens doch bereits eine Antwort auf die Voyager Golden Record gegeben: Schickt uns mehr Chuck Berry! Behauptete damals zumindest Steve Martin, in einem „Saturday Night Live“-Sketch.
Ferris: Nun, vielleicht war Berry damals auch der einzige Musiker, der das Interesse vieler Amerikaner an dem Voyager-Projekt wecken konnte. Natürlich stellte uns die Auswahl der Stücke vor Schwierigkeiten. Nicht nur in der Beschaffung, sondern auch im Einholen der Rechte. Die Plattenfirma EMI untersagte uns die Verwendung des Beatles-Songs „Here Comes The Sun“.

Das heliozentrische Diagramm soll die Austrittsbahnen der Voyager-Sonden aus unserem Sonnensystem anzeigen

ROLLING STONE: Neben Chuck Berry zählen noch Blind Willie Johnson sowie Louis Armstrong and His Hot Seven zur von Ihnen ausgewählten Musik, die der westlichen Populärkultur des 20. Jahrhunderts zugehörig ist.
Ferris: Das von Armstrong gesungene „Melancholy Blues“ ist einfach ein wunderschönes Beispiel für die Frühform des Jazz. Im Grunde ist es Blues, der zu Jazz gemacht wurde, eine tolle Transposition. Blind Willie Johnsons „Dark Was The Night, Cold Was The Ground“ war das allererste Stück, das ich für die Platte ausgesucht hatte. Nicht wenige bezeichnen das Lied von 1927 als die wichtigste Aufnahme des 20. Jahrhunderts. Es bewegt Menschen auf der ganzen Welt, und es kommt ganz ohne richtigen Gesang aus. Es vermittelt ein Gefühl, das universell spürbar ist. Für mich ist es so wichtig wie Beethoven.

Nichts geht über die Schallplatte als Datenträger

ROLLING STONE: Sie waren damals Reporter des ROLLING STONE und durften mit der Voyager Golden Record quasi ein Mixtape für Unbekannt zusammenstellen. Eigentlich macht man so etwas für Menschen, deren Herz man erobern und dabei eine persönliche Geschichte vermitteln will.
Ferris: Natürlich war ich glücklich wegen dieses Auftrags, der genau mein Forschungsgebiet abdeckte. Die Beziehung zwischen Astronomie, Mathematik und Musik ist ja eine alte, die aber immer wieder neue Erkenntnisse bringt. Würden wir die LP heutzutage kompilieren, könnte man natürlich andere Musik hinzufügen, Rap, Elektronisches. Wovon ich auch heute aber nicht abweichen würde, wäre die damals verwendete Technologie: Radierung von Rillen in eine metallene Schallplatte. Die Voyager Golden Record ist dazu geschaffen, Daten für eine richtig lange Zeit zu konservieren. Mit richtig lang meine ich: Milliarden von Jahre.

Klassik sollte auf Schallplatten von innen nach außen abgespielt werden

ROLLING STONE: Das hören Vinyl-Liebhaber jetzt aber richtig gerne.
Ferris: Aber diese Platte ist keine, die Sie so im Laden finden würden. Sie besteht aus vergoldetem Kupfer. Digitalisierte Musik, auf CDs, oder etwa akustische Schwingungen wie in Wave-Dateien, haben mehr Speicherplatz – aber es gibt ja jetzt schon Probleme beim Abspielen von CDs, die 30 Jahre oder älter sind. Die Radierungen in der Schallplatte sind für mich von ähnlichem Wert wie die aus nassem Ton. Jene zählen zu den ältesten vermittelten Dokumenten der Menschheit, und sie halten jetzt schon tausende von Jahren, und das unter den irdischen Bedingungen, also Einflüsse durch Wetter. Auf den Voyager-Sonden haben wir eine Anleitung platziert, nach welcher Geschwindigkeit die Platten abzuspielen bzw. zu dekodieren sind, damit sie ihre Information optimal preisgeben.

ROLLING STONE: Erfolgt das Abspielen nicht intuitiv, wie bei uns Menschen, wenn wir Platten auflegen?
Ferris: Keineswegs. Die frühesten Scheiben wurden von innen nach außen abgespielt. Von diesem Prinzip würde übrigens gerade die Klassik heute noch profitieren. Denn klassische Stücke beginnen selten laut, werden aber oft lauter – und dann benötigen die Töne mehr Raum auf dem Vinyl. Der große, kräftige, dynamische Schluss findet oft am Ende einer Aufnahme statt, was heute ja dem Innenbereich der Platte entspricht. Wir mussten das berücksichtigen in der Titelfolge: Klassik wenn möglich weiter vorne. Unsere Bedienungsanleitung enthielt eine kreisrunde Darstellung und wies an: Die Nadel außen ansetzen. Auf Pfeile als Richtungsanzeiger mussten wir verzichten – denn der Pfeil ist eine Konstruktion des Menschen, die vielleicht nur wir verstehen.

Wie an die Schätze der UDSSR gelangen?

ROLLING STONE: Außerdem hatten Sie eine richtige Super-Schallplatte: Mehr als 90 Minuten passten drauf, 45 pro Seite. Der Erdenmensch muss dafür zum Doppel-Album greifen.
Ferris: Aber die Inhalte zu besorgen, in der Ära vor dem Internet? Geräusche aus den entferntesten Winkeln der Erde, gar nicht erst zu reden von der Musik bestimmter Völker? Das war Arbeit. Wir benötigten haptische Aufnahmen. Zum Glück stellte uns die Produktionsfirma von Warner Bros. ihr Archiv an Effekten und Naturgeräuschen zur Verfügung, das konnten wir für unsere „Sounds Of Earth“-Sequenz durchstöbern. Allerdings fanden wir darin auch viele Fake-Geräusche. Das Wiehern der Pferde war nicht echt, das entdeckten wir, als wir den Klang in der Studioanlage von CBS Records abspielten. Und einige der obskuren Musik-Titel waren richtig schwer zu beschaffen.

Borat machte vor: Wir bejubeln Dinge, die wir gar nicht kennen

ROLLING STONE: Welche denn?
Ferris: Schwer aufzutreiben war „Jaat Kahan Ho“, ein Raga-Stück des indischen Klassik-Sängers Kesarbei Kerkar. Wir suchten überall und fanden es dann doch in New York. Noch schwieriger: Der Georgische Staats-Chor mit seiner Aufnahme von „Tchakrulo“, aufgenommen und gesendet von Radio Moskau. Das Stück stand für polyphone Musik, ich entnahm es einem Acetat-Demo, wahrscheinlich die einzige Aufnahme, die außerhalb der Sowjetunion existierte. Wie ich in meinem Buch über die Arbeit am Voyager Golden Record schrieb, „Murmurs Of The Earth“, hatten wir bei der Übersetzung des Textes die Befürchtung, es ginge darin um Bärenjagd. Das hätten wir nicht ins All schicken wollen. Eine georgische Freundin half uns aus: „Tchakrulo“ kann auch „hart“ bedeuten, und in dem Lied geht es schlussendlich um den Protest eines Bauern gegen den Großgrundbesitzer. Kennen Sie den Song von Sacha Baron Cohen alias Borat, „In My Country There Is A Problem“, auch bekannt als „Throw The Jew Down The Well“?

Blick auf den Jupiter von Voyager 1

ROLLING STONE: Nein.
Ferris: Einer der entlarvendsten Sketche, die ich kenne. Die Texaner singen Borats Text mit, und es war unklar, ob sie verstanden, was da vorgetragen wurde. Das war der beste Beweis dafür, dass man immer wissen sollte, was man auf seine Schallplatte packt, dass man den Text immer verstehen sollte, bevor man ihn singt.

ROLLING STONE: Wie wichtig war es Ihnen, dass außerirdische Lebensformen ein positives Bild von uns vermittelt bekommen? Die Geräusche von Donner und Wind, aber auch das Weinen eines Babys können einem Angst machen. Gastfreundschaft klingt doch anders!
Ferris: Wir müssen uns so zeigen, wie wir sind. Es ist eine paradoxe Situation: Wir legen unsere Welt dar, mit den Klängen, die sich in den letzten 40 Jahren kaum verändert haben. Und doch belegt unsere Spezies lediglich einen Wimpernschlag der Erdgeschichte. Für die Sequenzierung der Geräusche war es uns natürlich wichtig, harmonische Übergänge zu finden, beispielsweise beim Klang des Wetters, wir wollten niemanden erschrecken.

Jimmy Carter 1977

ROLLING STONE: Auch der damalige US-Präsident Jimmy Carter hat mitgemischt, hinterließ an die Außerirdischen eine Nachricht von unserer „kleinen, entfernten Welt“. Mit der Voyager Golden Record wolle man „die Zeit überdauern um in eurer weiterzuleben“. Solch hochtrabende Worte hat seitdem kein Präsident mehr ins All geschickt.
Ferris: Dafür kann Obama singen, Carter nicht.

ROLLING STONE: Wie stark war Carter im Voyager-Projekt involviert?
Ferris: Bestimmt ein toller Kerl, aber seltsam, dass er Präsident wurde. Ich glaube, es gibt keine Einzelperson, die mehr Exemplare der Voyager Golden Record zur Verfügung hatte. So weit ich weiß, hat keiner, der wirklich mit der Produktion der Scheibe zu tun hatte, überhaupt ein Exemplar davon erhalten. Mit Kostengründen konnte diese Zurückhaltung nichts zu tun haben, schließlich war Voyager ein Regierungsprojekt, die hatten das Geld. Ich schätze, dass es noch sechs Voyager Golden Records auf der Erde gibt, eine davon hängt, glaube ich, im Museum der Jimmy Carter Library in Atlanta, Georgia.

Habt ihr schon gegessen?

ROLLING STONE: Das Museum für Kommunikation in Frankfurt hat auch ein Duplikat. Die Grußbotschaften zeichnen ja ein friedliches Bild der Nationen. „Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal!“, heißt es auf Indonesisch, „Wir wünschen euch ein langes Leben“, hören wir im afrikanischen Nguni, „Wollt ihr vorbeikommen?“, fragen die Chinesen, „Habt ihr schon gegessen?“, will jemand in der Sprache Min Nan wissen.  Eine Harmonie, die man etwa in der UN-Generalversammlung vergeblich suchen würde …
Ferris: Einige der Grüße wurden sogar um UN-Gebäude in New York aufgenommen. Wir benötigten zwei Sessions, die Politiker sprachen in den Vereinten Nationen, die normalen Bürger nahmen wir in der Cornell University in New York auf. Der damalige Generalsekretär der UNO, der Österreicher Kurt Waldheim, sprach zu Beginn der Platte seine Grußbotschaft an die Außerirdischen, in seinem eigenen Englisch.

Küssen nachzuahmen klingt so, als würde jemand ertrinken

ROLLING STONE: Dafür kam Ihnen selbst die Ehre zuteil, den allerersten Kuss in den Weltraum gesendet zu haben – als Audioaufnahme.
Ferris: Es war eines der schwierigsten Unterfangen, das zeichnete sich bereits ab, als wir in unserem Sound-Archiv nichts Authentisches finden konnten. Probieren Sie es selbst aus: Halten Sie die Augen zu, wenn sie im Fernsehen eine Liebesszene sehen. Küssen klingt so, als würde jemand Ertrinken oder mit einer Tauchausrüstung herumexperimentieren. Ich halte das Kuss-Problem im Bereich der Soundeffekte noch immer für ungelöst. Zunächst hatte unser Produzent Jimmy Iovine seinen Arm geküsst. Auf Platte landete dann der Schmatzer, den ich Ann Druyan auf die Wange gab, der Ehefrau von Carl Sagan.

ROLLING STONE: Wie groß schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Außerirdische auf die Voyager-Botschaften antworten?
Ferris: Das wird während unser beider Lebensspanne ganz sicher nicht passieren. Voyager 1 fliegt in Richtung des Sterns Gliese 445, der 17 Lichtjahre von der Sonne entfernt ist …

Die Monde des Saturn

ROLLING STONE: Diese Dimensionen!
Ferris: … und in 40.000 Jahren erreicht wird. Wissenschaftler stellen sich die Frage, ob auf diesem Planeten Leben existieren kann. Aber Voyager wird dort ja nicht landen, sondern daran vorbeifliegen. Wären Sie Passagier auf der Sonde, würden Sie den Stern lediglich als etwas heller als andere wahrnehmen. Derzeit gleitet Voyager 1 im All durch eine Gegend, die wir eher als langweilig und ereignislos beschreiben würden. Aber wir konzipierten Voyager ja auch als Zeitkapsel, von der wir wussten, dass auf sie eine lange Zeit nicht geantwortet werden würde. Unabhängig davon, was aus uns Menschen wird, ob wir eine Antwort erhalten, soll die Sonde Informationen über uns erhalten – dass es uns überhaupt gegeben hat.

ROLLING STONE: Glauben Sie an intelligentes außerirdisches Leben?
Ferris: Ich bin ein Gegner des Glaubens. Ich tue nichts aus reinem Glauben heraus, so etwas kann nur Ärger bringen. Aber es würde mich doch überraschen, wenn wir alleine im All wären. Die Chemie, die Biochemie des Lebens enthält keine Mysterien, es ist nichts, das es nicht auch woanders geben könnte. Auf der anderen Seite muss ich gestehen: Ich habe keine Ahnung, wie intelligentes Leben an anderen Orten im Universum aussehen könnte. Es gibt damit ein Dilemma, wir sprechen vom Problem eines Paralogismus, von einem Fehlschluss. Denn man könnte ja sagen: Hier auf der Erde existiert intelligentes Leben, also muss es das woanders auch geben. Aber: Gäbe es uns hier auf der Erde nicht – könnten wir diese Schlussfolgerung ja auch nicht ziehen. Bis zur Entwicklung intelligenten Lebens auf unserem Planeten hat es drei Milliarden Jahre gedauert …

ROLLING STONE: !!!!
Ferris: … aber das muss uns nicht beunruhigen, denn: Die Voyager-Sonden erreichen damit vielleicht irgendwann eine Spezies, die es jetzt noch gar nicht gibt. Genug Zeit haben sie ja.

Der Jupiter

ROLLING STONE: Ist es nicht traurig: Während des so genannten Zeitalter des Space Age in den Spätsechzigern, mit der Mondlandung, Popkultur und Major Tom und „Life On Mars?“, Kubricks „2001“, da dachte man, wir schaffen das All. Als die Sonden 1977 in den Weltraum geschickt wurden, nach Ende des Apollo-Programms, war der Traum schon fast begraben.
Ferris: Der Mars ist halt sehr weit weg. Private Finanziers wollen die bemannte Reise ja innerhalb der nächsten Jahrzehnte stemmen, aber stellen Sie sich eine Mission dahin vor, im Rahmen eines Apollo-Programms der Regierung. Noch viel zu unsicher, von den Kosten gar nicht zu sprechen. Es muss ja auch geplant werden, was wir uns überhaupt von einer Landung dort versprechen. Einfach nur eine Flagge dort platzieren und ein wenig Boden mitnehmen? Ein Flug zum Mars kann nur einen Zweck haben: Die Reisenden müssen dort bleiben.

Plattenfirmen zeigten kein Interesse

ROLLING STONE: Und die guten Nachrichten?
Ferris: Unsere Weltraumtechnik schreitet voran. Es ist uns gelungen, zwei gut funktionierende Satelliten zum Saturn zu schicken, der Jupiter wird von einer Sonde dauerhaft erforscht. Außerdem ist das James Webb Space Telescope  in Betrieb gegangen, der Nachfolger des legendären Hubble-Teleskops. Also, zumindest die Roboter werden uns Ergebnisse aus dem All bringen.

Voyager 2

ROLLING STONE: Die Voyager Golden Record ist als Boxset erschienen. War das Interesse derart gering, dass ein Kickstarter-Projekt dafür notwendig war? Immerhin hat Sony Music mittlerweile die Rechte am Original, und das Remaster wurde im Studio des renommierten Produzenten Bernie Grundman angefertigt.
Ferris: Zur Nachfrage kann ich nichts sagen, ich stieß das Projekt nicht an. Es war toll, für das Reissue wieder ins Studio zu gehen, und die Masterbänder zum ersten Mal seit 40 Jahren zu hören. Ich erinnerte mich wieder daran, wie wir die Montage aller Geräusche erstellt hatten. Mehrere Leute hatten ihre Hände gleichzeitig an den Reglern der Mischpulte, ich kam mir fast vor wie ein Dirigent. Carl Sagan wollte die Voyager Golden Record zeit seines Lebens herausbringen, mehrmals trat er erfolglos mit Plattenfirmen in Verbindung. Umso erfreuter war ich über den Support des Kickstarter-Projekts, das für die Produktion nötige Budget wurde locker erreicht.

Als Hörprodukt wird die Voyager Golden Record wohl nicht ausgewertet

ROLLING STONE: Ist es nicht ironisch: Das beste Hörerlebnis der Voyager Golden Record erzielen Sie auf der Erde in einem schalldichten, abgeschlossenen Studioraum – ohne zu wissen, wo genau die Klänge unseres Planeten erstmals von anderen Lebensformen gehört werden?
Ferris: Außerirdische hören womöglich auch ganz andere Frequenzen, ja. Aber das hatten wir bedacht. Die Platte wird vermutlich eher als Datenträger denn als Hör-Produkt ausgewertet werden. Auf der Platte ist deshalb auch die einstündige Aufzeichnung von Gehirnwellen enthalten, als Repräsentation menschlicher Gedanken. Es wäre schon ein ziemlicher Zufall, wenn eine außerirdische Spezies die exakten Töne wahrnehmen kann wie wir, in einer Hörfläche von 16 bis 19.000 Hertz. Aber Klang ist doch universell. Wenn ein Baum zu Boden fällt, macht das auf jedem Planeten mit Atmosphäre ein Geräusch. Wir können ja nur darüber spekulieren, was ein Außerirdischer tatsächlich wahrnehmen kann – unser Fokus lag deshalb auf der Frage, wie viel an Information wir auf der Platte liefern können. Da hielten wir die Aufzeichnung der Gehirnaktivität doch für aussagekräftiger als ein Kinderreim wie „Kleine Maus, komm aus dem Haus“.

Das Voyager Control Centre 1980

ROLLING STONE: Für 2025 wird die letzte Nachricht von Voyager 1 erwartet, die wir noch empfangen können. Werden Sie die Lebenszeichen der Sonden vermissen?
Ferris: Unlängst war ich noch in der Mission Control, die die Voyager-Signale auswertet. Ich weiß gar nicht, ob überhaupt noch jemand vom NASA-Team, das die Sonden vor 40 Jahren ins All schickte, dort arbeitet. Vielleicht hängen die Baupläne der beiden Raumschiffe deshalb dort an der Wand. Voyager 1 und 2 sind zu Kultur-Artefakten geworden. Die Antennen zum Abhören des Weltraums werden immer besser, vielleicht können wir noch ein paar Jahre draufschlagen. Zum Glück meint es das Weltraumwetter gut mit ihnen, sie scheinen unbeschädigt zu sein. Aber irgendwann werden die beiden Zeitkapseln auf sich allein gestellt sein.

Cal Zecca
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