
Kevin Kühnert: Diese Serie hat die Demokratie nicht verdient
Serien wie „Hostage“, die vorgeben, den Politikbetrieb abzubilden, haben eine Verantwortung
Wenn verrückte Dinge in unserem Leben passieren, dann sagen wir manchmal Sätze wie: „Hätte sowas in einem Drehbuch gestanden, dann wäre das als zu unrealistisch abgelehnt worden“. Doch wer Polit-Serien beim Streamingdienst des Vertrauens schaut, dem bleibt dieser Satz im Hals stecken. Denn offenkundig geht in manchen Drehbüchern selbst der gröbste Unfug unbeanstandet durch, wie mich die Netflix-Serie „Hostage“ mal wieder gelehrt hat. Ist das Desinteresse oder Absicht?
Man stelle sich vor: Frankreichs Präsident Emanuel Macron beehrt den britischen Premier Keir Starmer mit einem Staatsbesuch. Der Besuch dauert mehrere Tage, umfasst aber außer einem Empfang und einem Show-Basketballtraining keinerlei Termine.
Die beiden Spitzenpolitiker haben üppige Tagesfreizeit, müssen aber eigentlich verhandeln. Macron erpresst Starmer mit dem Zurückhalten lebenswichtiger französischer Medikamente und will damit eine stärkere Grenzsicherung erzwingen. Die Gespräche darüber? Eher eine Plauderei. Bis Kofi dann auch schon zum Mittagessen ruft. Kofi, das ist nicht etwa ein Butler, sondern der Chief of Staff: Starmers wichtigster Mitarbeiter.
Zuschauer verdienen Mitgefühl
Starmers Frau wird währenddessen im südamerikanischen Urwald entführt. Die Verhandlungen mit den Geiselnehmern führt der Premier selbst per Zoom-Call aus 10 Downing Street. Mit im Raum: Macrons Stabchefin, die mit den Entführern verschworen ist und den Situation Room verlässt, um vor der Tür unbürokratisch mit ihnen nächste Schritte am Telefon zu besprechen. Ihr Präsident ordnet derweil in London seine bunten Familienverhältnisse und sinniert darüber, ob er für seine Wiederwahlkampagne mit einem liberalen oder einem rechtspopulistischen Programm antreten soll. Auf Reisen kann man mal die Gedanken schweifen lassen.
Zugabe? Kurz darauf verliert Starmer erst seinen betagten Vater per Mordanschlag im Krankenhaus und danach ein spontanes Misstrauensvotum seiner Parteifreunde, die er übrigens alle siezt. Er ist entmachtet. Blöderweise ist er aber noch in seinem Amtssitz, als dort eine Bombe detoniert und Macron tötet. Starmer wird verletzt, aber nicht etwa evakuiert, sondern hockt mutterseelenallein in einem spartanischen Kellerraum, während sein offenbar vom Himmel gefallener Nachfolger Minuten später vor die Presse tritt und den Ausnahmezustand unter Kontrolle des Militärs ausruft.
Puh. Mitgefühl verdient hier nicht der Premier, sondern ausschließlich das Publikum, dem diese Kost geboten wird.
Wir sind hier nicht bei Benjamin Blümchen
Klar, in Polit-Thrillern geht es so wenig um dröge Sitzungen, wie es in Krankenhausserien um das Leeren von Bettpfannen oder in Polizeiserien und Anzeigen wegen Ruhestörung geht. Auch ich will unterhalten und nicht belehrt werden. Und weil ich nicht wochenlang Zeit habe, bin ich als Zuschauer auch mit der Straffung von Abläufen und Mut zur erzählerischen Lücke einverstanden. Aber der Deal mit dem Publikum ist doch, dass die Serie gewordene Essenz einer Geschichte bei näherer Betrachtung nicht wie ein Kartenhaus zusammenbricht, sondern konsistent bleibt. In „Hostage“, wo Starmer eine Abigail Dalton und Macron eine Vivienne Toussaint sind, ist jedoch das Gegenteil der Fall.
Das Problem an dieser Story ist nicht, dass sie ausgedacht ist. Das Problem ist, dass sie vorgibt, sich an der Wirklichkeit anzulehnen, ohne diese Wirklichkeit zu kennen.
Bei „Benjamin Blümchen“ darf der Bürgermeister selbstverständlich ein selbstsüchtiger Alleinherrscher sein, schließlich hat er es auch mit einem sprechenden Elefanten zu tun. Ihre Welt ist eine Fantasiewelt. Törööö! Aber wer eine Serie in der realen Welt verortet und deren echte Schauplätze verwendet, der hat eine Sorgfaltspflicht.
Logik-Lücken mit gänzlich unglaubwürdigen Abläufen und ihre Kompetenz weit überschreitenden Figuren zu überbrücken, ist nicht smart, sondern denkfaules Cheating. Serien wie „Borgen“ haben gezeigt, dass es besser geht, wenn man Fachexpertise einbezieht. Das Publikum hat mehr verdient – und die altehrwürdigen Institutionen der britischen Demokratie übrigens auch.