Klänge des Konflikts: Das musikalische Erbe des Nordirlandkonflikt

U2, John Lennon und Sinead O'Connor: Wie 30 Jahre Bürgerkrieg durch Musik verarbeitet wurde

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„And the battle’s just begun / There’s many lost, but tell me who has won?“. U2s Sunday Bloody Sunday brachte den Schmerz des Nordirlandkonflikts in das Bewusstsein der ganzen Welt. Doch so wichtig dieser Song auch ist, das musikalische Erbe dieses Konflikts reicht weiter, als es scheint.

Der Nordirlandkonflikt, auch als die „Troubles“ bekannt, hat wie viele Konflikte seinen Ursprung in tiefer Historie. Er begann mit der Besetzung Irlands durch Großbritannien im 16. Jahrhundert. In den folgenden Jahrhunderten blieb Irland eine feste britische Kolonie – aber auch ein Land des Widerstands: gegen Kolonisierung, Diskriminierung und Gewalt. 1922 kam es schließlich zur irischen Unabhängigkeit. Der Süden wurde zur heutigen Republik, doch der Norden blieb Teil des Vereinigten Königreichs, zumindest auf dem Papier.

Denn dort lebte eine katholische Minderheit, die in den darauffolgenden Jahren systematisch diskriminiert wurde und oft als Bürger zweiter Klasse galt. Eingeschränktes Wohnrecht, Wahlrecht und Zugang zum Arbeitsmarkt waren die Folge. Proteste gegen diese soziale Ungleichheit wurden häufig brutal niedergeschlagen.

Als die Hoffnung auf eine friedliche Lösung schwand, eskalierte der Konflikt in den 1960er-Jahren endgültig. Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) war dabei ein zentraler Akteur als der gewaltsame Arm der Unabhängigkeitsbewegung. Beide Seiten griffen zur Gewalt: Bomben, Paramilitärs, Straßenkämpfe – über 3.300 Menschen verloren im Zuge des Konflikts ihr Leben. 1998 folgte schließlich das Friedensabkommen. Doch die Narben bleiben, nicht zuletzt in der Musik.

Politische Songs als Waffe: Wie Irland seine Wut äußerte

Irische Protestlieder sind so alt wie der Widerstand selbst. Irish Rebel Music begleitete Bauernaufstände ebenso wie Bürgerrechtsmärsche. Wenn in Belfasts Pubs der 1970er „Come out, ye Black and Tans, come out and fight me like a man!“ erschallte, tangirte das Lied zwar eigentlich britische Paramilitärs der 1920er, doch die Wut war zeitlos.

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Historische Balladen wie „The Rising of the Moon“ oder „The Minstrel Boy“ wurden von den Dubliners und Clancy Brothers neu aufgelegt und zu Hymnen der Nationalisten. Zeitgenossen wie The Barleycorn stürmten 1971 mit „The Men Behind the Wire“ die irischen Charts – ein dreiminütiger Aufschrei gegen Massenverhaftungen, der bewies, dass Protestkultur fester teil der irischen Identität ist.

Musik aus Großbritannien: Irische Stimmen im Exil

Doch solche Lieder kamen nicht nur aus Irland, sondern auch von Seiten des eigentlichen Gegners: Großbritannien. Wenngleich oft von Musikern mit irischen Wurzeln. 1972 reagierten Paul McCartney & Wings fast reflexhaft auf das Derry-Massaker: „Give Ireland Back to the Irish“ wurde von der BBC verbannt, aber erreichte Platz 1 in Dublin. McCartney selbst gestand später: „Ich war nicht wirklich an Protestsongs interessiert […] aber dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass ich etwas schreiben musste.“

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Im selben Jahr schleuderte John Lennon der Downing Street noch härtere Worte entgegen: „All you Anglo pigs and Scotties sent to colonize the North“, heißt es in seinem Track „Sunday Bloody Sunday“. Der Song war radikal, provokativ und wurde in Großbritannien scharf kritisiert. Lennon spendete die Einnahmen des Songs an die Bürgerrechtsbewegung in Nordirland.

Zurück in Irland erschien das wohl bekannteste musikalische Echo des Konflikts 1983 mit U2s „Sunday Bloody Sunday“.Aus der Sicht eines Beobachters beschreiben Bono und Kollegen hier die Szenen der Gewalt und bringen vor allem die emotionale Ebene in den Vordergrund. „How long? How long must we sing this song?“ fragt Bono, während das Schlagzeug wie ein Marsch donnert.

Die Macht der Subkulturen: Wie Punk eine Flucht aus der Realität bot

Während Folkmusiker und Protestsänger sich oft klar positionierten, nahm der nordirische Punk der 1970er und 80er eine andere Haltung ein. Bands wie Stiff Little Fingers und The Undertones schufen Musik, die Jugendliche aus beiden konfessionellen Lagern zusammenbrachte. In einer von Gewalt geprägten Umgebung war Punk eine Möglichkeit, dem politischen Stillstand zu entkommen.

Stiff Little Fingers veröffentlichten 1979 eine wütende Kampfansage an die politische Sackgassen und den Wunsch nach einem anderen Nordirland. „There’s nothin‘ for us in Belfast / The Pound’s old and that’s a pity“, heißt es in „Alternative Ulster“. Auch die Undertones waren ein fester Bestandteil dieser Zeit, obwohl sie einen weniger politischen Ansatz verfolgten. In ihrem großen Hit „Teenage Kicks“ geht es um Liebe aus Sicht eines Teenagers – nicht um Gewalt, Angst und Trauer.

Musik als Therapie und Erinnerung

In den 1990ern kehrte Erschöpfung ein. Vier Jahre vor dem Friedensabkommen schrieb Dolores O’Riordan den Weltschmerz in Großbuchstaben: „Zombie, zombie, zombie – eh, eh!“ Das Lied klagte einen IRA-Bombenanschlag an, bei dem zwei Kinder starben, und richtete sich gegen das ewige Gestern: „Es ist nicht Irland, es sind ein paar Idioten, die in der Vergangenheit leben,“ erklärte die Cranberries-Sängerin damals.

Sinéad O’Connor antwortete 1994 mit „Famine“ – einem Song, der fast klingt, als würde sie rappen: rhythmisch gesprochen, roh, direkt. Es ist eine Art irische Geschichtsstunde, erzählt aus ihrer Perspektive. Vom kolonialen Trauma bis zur Gegenwart. Dabei spart sie nicht mit klaren Worten: „Now look at what we’re doing to each other / We’ve even made killers of ourselves.“

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Ein Vierteljahrhundert Frieden ist nicht genug, um die Vergangenheit abzuschütteln. Das beweist Kneecap, ein Rap-Trio aus Belfast. In einem Mix aus Englisch und Gälisch rappen sie über das Leben im Norden Irlands. Dabei muss man manchmal nicht weiter als den Titel gehen, wie ihr Song „Get Your Brits Out“ zeigt.