Review: Hurricane 2017, der Freitag – „Walls Of Love“

Glanzvoller Auftakt: Imagine-Dragons-Sänger Dan Reynolds sagt, dass Festivals wie das „Hurricane“ ein Manifest des Widerstands in Zeiten des Terrors seien und dass die Musik siegen werde. Trey Cool von Green Day wiederum bekennt: „Ick habe eine große Schniedelwutz“

Schietwetter vorerst überstanden: Nachdem am Donnerstag Regen und Sturmwarnungen die Anreise und das Warm-up auf dem Eichenring in Scheeßel schwierig gemacht haben, ist am Freitag alles wieder gut. Nicht zu heiß, nicht zu kalt, meistens trocken – über dem mit 78.000 Menschen ausverkauften Festival liegt eine Gelassenheit, die man sonst vor allem bei kleineren Festivals erlebt.

Gemeinschaftlichkeit ist das Gebot der Stunde. Ein Großteil der gut dreißig Künstler des ersten Tages ruft ein Fest der Liebe und des Miteinanders in Zeiten von Hass und Gewalt aus – auch wenn das Hurricane zuvorderst eine riesige Party-Sause ist, mischt sich ein Gefühl von trotziger Freiheitlichkeit in den Freitag. Frank Turner organisiert statt der obligatorischen wall of death eine wall of love – dreitausend Menschen rasen ineinander und umarmen sich hemmungslos.

Frank Turner beim Hurricane Festival 2017.

Ein paar Minuten später singen Klaas Heufer-Umlauf und Gloria im Zelt „Was muss uns noch passieren, damit wir uns endlich kombinieren“ – das ist vielleicht anders gemeint, passt aber zum Moment. Die ansonsten sanft verinnerlichten OK Kid lassen uns den Mittelfinger gegen Homophobie und Fremdenfeindlichkeit zeigen – bei dem Lied „Gute Menschen“ schwingt jemand im Publikum ein Banner, auf dem „Hass ist krass, Liebe ist krasser“ steht. Ein paar Stunden später liegt Green Days Billie Joe Armstrong auf dem Boden der Green Stage, sinniert ausgiebig über die Wahrheit und nennt uns alle Brüder und Schwestern.

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Nach Mitternacht findet Imagine-Dragons-Sänger Dan Reynolds die deutlichsten Worte und sagt, dass Festivals dieser Art ein Manifest des Widerstands in Zeiten des Terrors seien und dass die Musik siegen werde. Die US-Amerikaner haben natürlich die Songs, um solch große Worte zu unterstreichen. Es folgt „It’s Time“ mit dem Satz „I’m never changing who I am“, tausend Arme strecken peace signs in den Nachthimmel. Man weiß ja, wie mächtig die Sounds der Band aus Las Vegas sind – live spürt man aber auch die sensible Eleganz, die unter den big beats verborgen ist.

Poesie!

Bands am laufenden Band: Der bereits erwähnte Frank Turner spielt mit den Sleeping Souls ein fabelhaftes, musikalisch enormes und lauter klassische Werte hochhaltendes Set. Genauso gut sind Boy: Valeska Steiner und Sonja Glass haben wundervolle Songs und ebensolche Musiker, die mit einer tollen Energie spielen; „Little Numbers“ beschert dem Hurricane einen der besten Momente des ersten Tages. Poesie! Die gibt es auch bei OK Kid, deren weich reflektierter HipHop-Pop auch auf Festivalgröße gut gelingt.

Flogging Mollybeim Hurricane Festival 2017.

Auf der Green Stage gibt es Punk- und Folkrock: Skinny Lister und Danko Jones eröffnen, auf Frank Turner folgen Flogging Molly mit einem derben Irish-Folk-Set, die tiefen Wurzeln erden das Hurricane. Rancid spielen ihren arrivierten East-Bay-Punk und machen den Weg frei für die Kollegen von Green Day, die ein konzertlanges Set mit fast allen Hits spielen. So geht Entertainment: Billie Joe Armstrong lässt Fans von der Bühne springen und seine Lieder singen, bei „Revolution Radio“ tanzen Flammen ein Feuerballett. In einem irgendwie final wirkenden Moment spielen die Kalifornier ihre übliche Polka, Trommler Trey Cool sagt „Ick habe eine große Schniedelwutz“, während Clueso eine Bühne weiter sein trauriges „Gewinner“ singt. „Ich bin dabei, bist du dabei, wir sind dabei uns zu verlieren“: Das Hurricane ist ein Haus mit vielen Zimmern.

Clueso
Foto: Malte Schmidt Photography

Überhaupt, Clueso. Dessen Auftritt ist von einer angenehmen Ruhe durchzogen, alle Farben passen zu allen Tönen, die Leuchtwände auf der Bühne illustrieren eine warm emotionale Produktion, die die Persönlichkeit des Sängers ja vielleicht gut widerspiegelt.

Apropos, Alle Farben: DJ Frans Zimmer spielt im Zelt ein Set wie ein ruhiger Fluss, aus dem immer wieder etwas Neues auftaucht und fast dann unmerklich wieder verschwindet. Der Hit „She Moves (Far Away)“ ist nur noch eine Möglichkeit, die sich dem Moment unterordnet: hier sein, ausatmen, mitschwimmen.

Der Auftritt von Haftbefehl fällt aus, weil der Künstler – so teilt jemand auf der Bühne mit – in eine Polizeikontrolle geraten sei.

Heiko Sehrsam Heiko Sehrsam
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