Kate Bush

The Kick Inside

Inspiration und Selbstermächtigung: Wie aus Kate Bush eine der bedeutendsten Sängerinnen unserer Zeit wurde.

Rick Rubin hätte vielleicht sofort zugegriffen und gesagt: Das Material ist gut so, müssen wir nichts mehr daran ändern, Klavier alleine, Gitarre alleine reicht auch. So verfuhr der Produzent jüngst bei Billy Corgan. Der Smashing-Pumpkins-Sänger hatte ihm Demos geschickt, Rubin wollte sie kaum umarrangieren, daraus wurde schlicht „Ogilala“.

Kate Bush nahm, bevor 1978 ihr Debüt „The Kick Inside“ erschien, fast 200 Songs in Demo-Form auf. Die ersten schrieb sie mit 13, und als das Album veröffentlicht wurde, war sie auch erst 19. Die als „Phoenix Demos“ bekannt gewordenen, auf Bootlegs gesammelten Stücke sind fast schon auskomponiertes Plattenmaterial. Das Piano ist da, die Stimme ist da, nur der Klang rauscht ein wenig. Und doch: würdig eines vollständigen Erstlingswerks.

Später kam zusammen, was „The Kick Inside“ sein würde. Das Orchester, die Band. Die Lieder wurden in üppiger Fassung noch besser – aus einer Erzählung in 13 Liedern entstand ein Roman. Prominentester Gast darin war David Gilmour. Der Pink-Floyd-Gitarrist unterstützte Bush schon seit fünf Jahren. Heute ein nicht vorstellbares Ereignis: eine Musikergröße, die über ein halbes Jahrzehnt ein Talent begleitet, ohne den Erfolg abschätzen zu können.

Hier zeichnete Gilmour allein für die Produktion verantwortlich. Eine erstaunliche Zurückhaltung. Das Gitarrensolo in „Wuthering Heights“ spielte  ein anderer, Ian Bairnson vom Alan Parsons Project. Es spricht für die Gelassenheit Bushs und Gilmours, dass dieses Solo gar das Stück beendet, die Sängerin es sich im Fade-Out nicht zurückerobert.

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„The Kick Inside“ war natürlich Pop, vielleicht noch Art-Rock, sicher Ausdruckstanz, aber auch britische Literatur- und Geschichtsstunde; „Wuthering Heights“ basierte auf dem Roman von Emily Brontë. Und doch verwundert es nicht, dass sich 1978 gerade Punkmusiker für die Britin begeisterten. Bushs Musik war Grenzüberschreitung. Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten verehrt sie, sagte später: „Sie musste anfangs durch dieselbe Scheiße wie wir: ‚Oh, das ist kein Gesang‘ (…) Ihre Stimme war extrem herausfordernd, fast hysterisch, so hoch, aber absolut faszinierend.“

Tonlage und Ausdruck waren vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber die Qualität („das ist kein Gesang“) von Kate Bushs Stimme, da hat Lydon sich vielleicht nicht richtig erinnert, stand damals nicht zur Diskussion (heute durchaus, denn von den Höhen hat sie sich ab „The Sensual World“ von 1989 langsam verabschiedet).

Fast schon übermütig

Das Album-Intro mit Walgesang bedient vielleicht die Sehnsüchte junger Menschen, die den Planeten retten möchten. Themen und Lyrik von „The Kick Inside“  aber waren komplex und wunderschön. „I’ll send your love to Zeus“, heißt es im Titelsong, „Oh, by the time you read this, I’ll be well in touch“, womit Richtung und Endpunkt ihrer spirituellen Reise vorgegeben war.

Allein der Titel der Single „The Man With The Child In His Eyes“ erschien fast übermütig, war Bush bei der Komposition doch selbst erst 13 Jahre alt. „I realize he’s there/ When I turn the light off / And turn over / Nobody knows about my man / They think he’s lost on some horizon“. War er unerreichbarer Traumprinz, oder war er ein Verstorbener? Ausdruck von Trauer und Tragik, die sich Heranwachsende gerne aneignen, weil das Leben ja so hart ist. Dies hier aber wirkte tatsächlich wie gelebt.

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Ein Höhepunkt unter den 13 Liedern ist „The Saxophone Song“ der wirklich alles enthält, was Kate Bush ausmacht. Dunkelheit und Verführung („You’ll find me in a Berlin bar / In a corner brooding“), Transzendenz des Instruments („The candle burning over your shoulder is throwing / Shadows on your saxophone, a surly lady in tremor“). Nicht zuletzt die Balance aus Inspiration und Selbstermächtigung, die Bush zu einer der bedeutendsten Sängerinnen machte: „You’ll never know that you had all of me / You’ll never know the poetry you’ve stirred in me“. „The Saxophone Song“ war ihr Statement als Künstlerin, auf Position zwei der Platte fast verschenkt und mittlerweile nur Randnotiz ihres Back-Katalogs.

Als Bush im Jahr 2014 mit ihren „Before The Dawn“-Auftritten ein Livecomeback nach 35 Jahren Tournee-Abstinenz anging, erschien die Zusammenstellung ihrer Setlist brutal. Das älteste dargebotene Material stammte von ihrem 1985er-Opus „The Hounds Of Love“. Die Frühphase mit vier Alben, Singles wie „Breathing“, „Babooshka“ und eben alles von „The Kick Inside“ fehlten. Dieser mutige Ausschluss bewies, dass die damals 56-Jährige ihre Konzerte nach einem erzählerischen Konzept statt nach „Greatest Hits“ ausrichtete.

Es ging ihr um eine Show, in der Älterwerden und sich-jung-fühlen, Familientradition und die Vererbung von Wissen im Mittelpunkt standen. Es ging um Werke wie „Aerial“ von 2005, in dem sie über ihren Sohn singt und den verlockenden Schleuderklang ihrer Waschmaschine. Ob Bush auf der Bühne die Stimmhöhen ihrer Anfangsjahre wieder gemeistert hätte, steht auf einem anderen Blatt (die Neuaufnahme von „Wuthering Heights“ 1986 zeigte, dass sie damals schon anders singen wollte).

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Nach „The Kick Inside“ war das Musikjahr für Kate Bush noch nicht vorbei. So wie David Bowie mit „Low“ und „Heroes“ im Jahr zuvor, veröffentlichte sie innerhalb eines Kalenderjahres nach dem Winteralbum „The Kick Inside“ noch ein Herbstalbum mit zehn weiteren Stücken: „Lionheart“. Es wurde deutlich zwiespältiger aufgenommen, enthielt in der Summe wohl auch weniger herausragende Songs. Mut und Risiko führten nicht immer zu glücklichen Ergebnissen. „In The Warm Room“ hatte zwar jene fast schon quälende Langsamkeit und Stille, die sie sich auf ihrem Erstling noch nicht gönnte, und in denen Pausen eine wichtige Rolle spielen. „Symphony In Blue“ hingegen ist komisch. Bush versucht Sexualität zu huldigen, indem sie Spiritualität, Motivationspsychologie und Lehrbuchbiologie vermengt: „The more I think about sex, the better it gets / Here we have a purpose in life / Good for the blood circulation / Good for releasing the tension / The root of our reincarnations.“

In „Oh England My Lionheart“ wiederum versucht sie sich an einer britishness, die ihr normalerweise gut zu Gesicht steht, hier aber über Postkartenbeschreibungen nicht hinausgeht: „Oh! England, my Lionheart! Peter Pan steals the kids in Kensington Park / You read me Shakespeare on the rolling Thames.“

Nur sie und Björk

Insgesamt waren es also 23 Songs, die Kate Bush allein in ihrem ersten Jahr herausbrachte. Darunter eben das Material eines der aufregendsten Debüts der Musikgeschichte. Bis heute streiten Fans und Kritiker darüber, ob „The Kick Inside“ ihr bestes Werk darstellt oder doch das sieben Jahre später veröffentlichte „The Hounds Of Love“. Über eines dürften sich alle einig sein: Eine Stimme wie in „Wuthering Heights“, das nun 40. Jubiläum feiert, hatte man zuvor und danach nie wieder gehört. Mit Blick auf den Boxset-Wahn unserer Zeit ist es ein Rätsel, warum ausgerechnet „The Kick Inside“ zum Geburtstag kein Reissue erhält, noch nie eine Deluxe-Version erhalten hat (etwa mit der „Tour Of Life“ von 1979 als Live-Beilage, was wäre das für ein Knaller).

Mit welchem Attribut sollte man Kate Bush damals, sollte man sie heute bloß beschreiben? Zum Glück ist keines an ihr haften geblieben, nicht mal die schlimme „Pop-Elfe“. Eine Tragik, der die zweite große lebende Sängerin des Pop nicht ausweichen konnte: Björk, nur sieben Jahre jünger und doch wie aus einem anderen Zeitalter stammend, die für viele immer noch die „Eis-Fee“ oder „Schneekönigin aus Island“ ist.