Karen Dalton

„In My Own Time“ – Zwei Wunder

Light In The Attic (VÖ: 25.3.)

Deluxe-Edition des zweiten Albums der enigmatischen Sängerin

Sogar sie kam dann runter nach Montreux, nur ein halbes Jahr bevor der Rauch über dem Wasser des Genfer Sees Deep Purple inspirieren sollte. Karen Dalton kam nicht, um eine Platte zu machen. Vier Songs aus ihrem Auftritt beim Golden Rose Pop Festival am 1. Mai 1971 werden nun in der auf 2000 Exemplare limitierten Anniversary-Super-Deluxe-Edition von „In My Own Time“ erstmals veröffentlicht, ebenso wie zwei Tracks aus ihrem „Beat-Club“ Gig zehn Tage zuvor. Es ist schmückendes Beiwerk zu einem Wunderwerk.

Wenn Dalton Musik ihrer Zeit singt, darf man Verborgenes in Songs entdecken, die man in- und auswendig zu kennen glaubte

Ein solches ist diese Platte auch als Standardversion gleich zweifach. Wunder Nummer eins war, dass Bassist/Produzent Harvey Brooks (Dylan, Miles Davis) die hyperskeptische Texanerin mit dem Long-Neck-Banjo überhaupt zu einer regulären Session mit Fachpersonal (Amos Garrett, Richard Bell) animieren konnte, in der auch mehrere wunderbare Takes desselben Stücks drin waren (wie jetzt die Alternativ-Version von „Something On Your Mind“ zeigt).

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Wunder Nummer zwei hält an, wenn Dalton sich auf ihrem zweiten (und schon letzten) Album von den kargen Geister-Traditionals ihres Debüts, „It’s So Hard To Tell Who’s Going To Love You The Best“, löst, hier mit „Katie Cruel“ oder „Same Old Man“ vertreten. Denn wenn Dalton Musik ihrer Zeit singt, etwa Richard Manuels „In A Station“, darf man Verborgenes in Songs entdecken, die man in- und auswendig zu kennen glaubte bzw. eigentlich nicht mehr hören mag.

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Dann segelt sie in lupenreiner Jazz-Manier dem Motown-Korsett von „How Sweet It Is“ davon. Wie sie sich überhaupt Songs völlig zu eigen macht, in denen sonst ein Mann der Frau zu Füßen liegt. In ihren Interpretationen von „When A Man Loves A Woman“ oder auch von George Jones’ „Take Me“ scheint ein seiner Zeit voraus und sehr modern wirkendes Gender-Fluidum auf – und zugleich eine erschreckende Konsequenz in der Emotion. Karen Dalton starb 1993 im 56. Lebensjahr nahe Woodstock, wo sie in einem Camper lebte. Drei Dekaden später gibt es nun einen Online-Store in ihrem Namen. Das Geld daraus wird nie so gute, wundersame Dinge tun können wie ihre Stimme.