„Spotify Wrapped“ unwrapped: Was kann 2023?

Auch dieses Jahr kann man aus dem Spotify-Jahresrückblick lernen. Manches will man aber gar nicht so genau wissen.

So wie alljährlich die Weihnachtsschleckereien bereits Monate vor dem Fest in den Discounter-Regalen platziert werden, wird man auch viel zu früh mit Jahresrückblicken behelligt. Längst ist es schon im November soweit. Der Dezember wird einfach nur noch hingenommen als Resterampe des Jahres. Nun ist also auch Spotify Wrapped an der Reihe. Die schmerzlich persönliche Rückschau auf das eigene Streamingverhalten.

Spotify erinnert daran, wie viele Stunden mit dem Hören von Musik verbracht wurden, welche Musikerinnen und Musiker, Alben und Songs sowie natürlich Podcasts am meisten gehört wurden. Der eine schaut sich das höchstens kurz an und senkt verschämt den Blick (Väter und Mütter wissen, was gemeint ist), der andere drückt sofort den Teilen-Button, um der Welt stolz zu präsentieren, dass er eine unwiderstehlich individuelle Melange an Genres angetestet hat (Pirate Metal, Vaporwave).

Taylor Swift, Rap und dann lange nichts

Applaus ist eigentlich nicht zu erwarten, es sei denn Depeche-Mode-Fans gratulieren Depeche-Mode-Fans dazu, dieses Jahr so viel Depeche Mode gehört zu haben. Es bleibt natürlich der überall anzutreffende Distinktionsgewinn. Der Beleg, zur richtigen Bubble zu gehören. Schwamm drüber, so ist eben unsere heutige Zeit.

Ein wenig gruselig ist natürlich, zu sehen, was Deutschland und die Welt sonst so hört. Spoiler: Das, was man der Jugend so empfehlen würde oder glaubt, empfehlen zu sollen, wird garantiert nicht mal mit der Kneifzange angefasst. Klar, Taylor Swift ist überall, auch die üblichen Verdächtigen Drake, Bad Bunny und Lana Del Rey. Wobei das mit der tranquilisierenden Schwerblüterin dann doch spektakulär ist. Ihr neues Album heißt „Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd“, klingt auch genau so, hat eine Laufzeit von fast 80 Minuten und beinahe ein etwas zu aufregendes Cover spendiert bekommen. Da sage noch einmal jemand, dass die Menschen sich nicht mehr konzentrieren können!

Das Artwork zu „Did you know that there’s a tunnel under Ocean Blvd“ von Lana Del Rey

Viel innere Einkehr benötigen die erfolgreichsten deutschen Acts nicht. Apache 207 ist ja längst auch schon ein Fall fürs Feuilleton, Taylor Swift hört man nun einmal überall, so wie es eben Coca Cola auch rund um den Globus zu trinken gibt. Besonders oft gehört wird eine junge türkischstämmige Musikerin aus Recklinghausen: Elif Akar. Kennen Sie nicht? Das liegt vielleicht daran, dass sie vor allem unter dem Namen Ayliva unterwegs ist – und in der Liste der zehn am meisten gestreamten Alben in diesem Jahr dank cleverer Marketingstrategie gleich zweimal vertreten ist („Schwarzes Herz“/„Weißes Herz“).

Auf Udo Lindenberg ist Verlass

Puristen trösten sich immerhin damit, dass Udo Lindenberg noch weiß, wie man mit den richtigen Leuten gemeinsame Sache macht, um oben dran zu bleiben („Komet“, mit Apache 207, Platz eins der meistgestreamten Songs in Deutschland) und dass Neuzeit-Hippie Miley Cyrus mit ihrem wundervollen „Flowers“-Song das gruselige „Friesenjung“-Update auf Distanz hält.

Miley Cyrus wird gerne von Vampirinnen gehört

Der Spotify-Knaller mag allerdings in diesem Jahr sein, dass es endlich Avatare fürs eigene Hörverhalten gibt. Tenor: Du bist ein Held – und diesen Namen haben wir für dich. Der Autor dieser Zeilen darf sich nun für ein Jahr lang „Hypnotiseur“ nennen. Nicht weil er so viel gehört hat, sondern weil er es, so die Erklärung, konzentriert tat. Also Alben von vorn bis hinten gehört hat. Das war früher einmal normal, nun ist es ein spiritueller Akt. Wie schön! Andere Helden-Bezeichnungen sind übrigens „Zyklop”, „Mastermind” oder „Vampir”.

Immerhin beweist uns Spotify, dass Musikhören auch 2023 noch gleichzeitig eine zutiefst individuelle und kollektiv geteilte Erfahrung sein kann. Auch wenn es dafür nicht unbedingt einen Jahresrückblick braucht. Zumindest nicht schon Ende November. Aber jetzt wissen wir auch, warum Peter Gabriel fast alle Songs seines neuen Albums „i/o“ mondmäßig früh übers Jahr verteilt hat. Denn die Platte ist mit Veröffentlichung am 01. Dezember einfach zu spät dran für Spotify.

Arturo Holmes Getty Images
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