Tell A Vision: Einmal Amerika und zurück

Fee Kürten tourte als Tell A Vision über die größten US-Showcase-Festivals, wo Scouts neue Bands suchen

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Nach zehn Jahren darf ich mal wieder in die USA reisen. Ich kenne das Land schon seit meiner Kindheit gut, habe hier mehrere Jahre an Ost- und Westküste gelebt, ging auf High-school und Kunsthochschule. Jetzt reise ich zuerst nach New York und danach zum ersten Mal nach Texas. Ich bin eingeladen, zwei Festivals zu spielen: The New Colossus in NYC und das größte Showcase-Festival der Welt, SXSW in Austin.

Durch eine Förderung bietet sich mir jetzt die Chance. Also auf nach US flippin’ A! Mit meinem neuen, hart erarbeiteten Künstlervisum soll ich dieses Mal einreisen – politischer Titel: „Alien with Extraordinary Ability“. Jetzt ist es offiziell! Hat sich also nichts geändert: Alien im eigenen Land, Alien woanders – ich fühle mich wohlig, willkommen und zu Hause.

Willkommen mit Superheldenstimme

Die Nachrichten gehen rum, dass Besucher:innen in letzter Zeit des Öfteren abgewiesen wurden, also plante ich bereits ein, dass sie mich samt meinem Equipment und Merch besonders inspizieren. Nach zwölf Stunden Flug plus fünf Stunden Verspätung werden meine Papiere von zwei Officers gecheckt: „You know that you got to be extraordinary good to get this visa, so we respect that“, sagt der Officer mit tiefer Superheldenstimme und gibt mir meine Papiere zurück: „Welcome to the US!“ I like being an alien! Innerer Jubel. Wow.

The New Colossus ist ein kleines Indie-Festival, es findet in zwölf Venues in Soho/ Man-hattan statt. Tell A Vision ist einer von 300 Acts. Es spielen viele Indie-Post-Punk-Bands und nur ein paar elektronische Indie-Solo-Acts wie Tell A Vision. Am nächsten Tag hole ich mein VIP-Ticket fürs Festival ab. Die Veranstalter sind höchstpersönlich da, begrüßen die Künstler:innen. Sie sind verständlicherweise extrem nervös und aufgeregt, da gleich ihr sechstägi-ges Festival startet.

Die ersten Auftritte

Meine erste Show im legendären Pianos: Trotz Sound-Problemen ließ sich das Publikum begeistern. Für mich ist ein mangelhafter Sound immer ein Downer, weil ich mich dann nicht gut fallen lassen kann, aber die gute Laune des Publikums macht das wieder wett. Ich verkaufe ein paar T-Shirts, alte und neue Freund:innen waren da. Wir tanzen die ganze Nacht und gucken uns weitere Shows auf dem Festival an, unter anderem in dem gehypten Laden namens Berlin.

Ich treffe den Produzenten Martin Bisi. Er kommt gerade von einer antifaschistischen Demo, er war schon bei meiner ersten Show im Pianos. Zusammen mit Church Hills gehen wir an diesem Abend zum Genre-Is-Death-Konzert und treffen dort Pat-rick Wagner von Gewalt.

Levin Goes Lightly und Laura Lee & The Jettes sind deutsche Bands, die auch parallel von Deutschland über NYC nach Austin und noch weiter reisen, wir besuchen gegenseitig unsere Konzerte.

Meine zweite Show findet in einem Laden namens Sour Mouse statt, einer Spielhalle mit durch Vorhänge abgetrenntem Bühnenbereich. Wie immer fünfzehn Minuten Changeover, kein Soundcheck. Das hat mich schon auf früheren Touren abgehärtet. Dieses Mal ist der Sound phänomenal, und mehr Zuschauer sind da. Amp-Ausfall: Ich improvisiere und spiele andere Songs. Es war eine supergeile letzte NYC-Abriss-Show!

Der größte Showcase der Welt

Trotz Cappuccino für sieben Dollar liebe ich NYC jeden Tag mehr. Der gesellschaftliche Struggle scheint jedoch härter. Wie sagt Fran Lebowitz: „It’s a phenomenon – eight million people in this bloody city and nobody can afford it.“ Und wie ein Song von Gewalt schon sagt: Leer stehende Skyscrapers, aber viele Homeless People. Ich ernähre mich hauptsächlich von Tacos und Bagels, habe nebenbei Dauerdruck auf den Ohren und einen chronischen Husten wegen der Klimaanlage. Freue mich auf den Sommer in Austin und bin gespannt auf das größte Showcase-Festival der Welt!

SXSW ist das Mega-Festival, hundertmal größer als The New Colossus. Der helle Wahn-sinn – Sound aus allen Ecken. Film und Tech hatten schon eine Woche vorher angefangen, jetzt vermischt es sich mit tausend Konzerten internationaler Acts, von Cumbia über Rap bis Rock. Bands schleppen ihre Instrumente durch die Straßen zum nächsten Gig. Shows auf Booten, Bussen, im Garten, in Hotellobbys, auf Dächern und natürlich in den Venues der Stadt.

Genaue Ziele sind von Vorteil – oder aber treiben lassen, alles andere ist überwälti-gend, denn überall blinkt und bounct es. Austin im Ausnahmezustand. Es geht vor allem ums Networken. Deals werden gemacht. Gleichzeitig höre ich von vielen Kennern, dass die Shows nicht mehr so gut besucht seien wie in den letzten Jahren, vielleicht werde es die Musiksparte in zehn Jahren nicht mehr geben und Tech werde überhandnehmen.

Margaritas mit der Heiterkeit

Ich wohne in einem Airbnb und nehme gern den Bus bis Downtown, weil da für 1,25 Dollar das echte Leben stattfindet. Meine erste Show ist im German Haus im SpeakEasy – ein beeindruckendes, riesiges, altes Stadt-Eventhaus. Das Programm German Music Export der Initiative Musik kuratiert unter anderem die Musikinhalte und die Showcases, die hier stattfinden.

Ich spiele um 20 Uhr. Die Show ist ein typischer Showcase: Es herrscht viel Bewegung, die Leute kommen und gehen, tanzen, bleiben stehen – am Ende eine kleine Dance-Crowd vor der Bühne. Danach werden Selfies mit der Künstlerin gemacht und Vinyls signiert. „Texas loves you!“ hört man nicht alle Tage. New York wirkt dagegen etwas unterkühlt.

Die Tage zwischen meinen Shows bin ich von 13 bis 24 Uhr auf dem Festival unterwegs, sehe mir Shows zum Beispiel im kanadischen Haus an, das qualitativ Extremes abliefert, und ich jage die besten Taco-Trucks. Der Deutsche mag sich in den USA über das gefilterte Wasser, gefüllt mit Chlor-Eiswürfeln, wundern – Stella Sommer von Die Heiterkeit und ich trinken währenddessen Margaritas in der Happy Hour bei Torchy’s. Ich gebe KOOP 91.7 FM und Bastian Günther alias Fuzzy Dunlop ein Interview für die Sendung „Autobahn“. Günther lebt seit Jahrzehnten als Filmemacher in Texas und widmet sich nebenbei der Radiosendung, mit Fokus auf die Krautz. Eines der besten Interviews für mich bisher!

Apocalpyse USA

Am letzten Tag leuchtet der Himmel über Austin in einem unheimlichen Gelb. „An eclipse“, sagt der Taxifahrer, „welcome to the desert“ ein Local auf der Straße. Es riecht verraucht. Asche fliegt durch die Luft. Als würde ein Wandel stattfinden. „It’s scary“, sagt ein moderner Stadtcowboy auf seinem Pferd. Der Wind ist stark, ging aber nicht in Richtung Stadt – sonst wäre hier das Gleiche wie vor Kurzem in L.A. passiert. Puh, Austin ist einem Brand entkommen. Die Sonne stand wie ein roter, glühender Feuerball am Himmel, eine große gelb-braune dusty-smoke Wolke über der Stadt. Apokalyptisch. Und wieder eine Erinnerung daran, wie stark dieser Wandel nicht nur in den USA ist – politisch, gesellschaftlich, kulturell.

An dem Tag spiele ich meine letzte Show, und sie ist der Hammer! Fünf Bands an dem Abend, ich als Zweites, das Backstage voll mit Equipment, man kriegt den Fuß nicht mehr auf den Boden. Die Leute sind am Start, tanzen und feiern Kreativität. Wieder: „AUSTIN LO-VES YOU!“ Und Fragen wie: „Wer inspiriert dich?“ Ich: „Prince, ESG, Devo, Santigold, The Krautz.“ – „Wooooohooo!“ Ich werde meinen ganzen Merch noch los – super, denn so muss ich ihn nicht wieder am Zoll vorbeischleppen. Danke! Das SXSW ist nicht, wie ich erwartet hatte, überfordernd und verlaufen, und ich bin nicht verloren, sondern völlig drüber, heiß und herzlich!

Raus aus der Schublade

Auf dem Flug nach Hause gehen mir die ganzen Menschen und Akteure durch den Kopf, die das auf die Beine stellen, die sich kulturell seit Jahrzehnten ins Zeug legen. Und es gibt eine interkulturelle Frage, die mich schon lange beschäftigt: Wie viele Bands mache auch ich die Erfahrung, mehr Verständnis und Ansehen in den USA zu erleben – Tell A Vision wird hier zum Beispiel als Pop-Act verstanden.

Die Frage des Genres oder der Interdisziplinarität stellt sich erfrischenderweise nicht. Musik ist interdisziplinär! In Deutschland hingegen wird gern und schnell die „experimentelle“ oder „Avantgarde“-Schublade aufgemacht, und dabei bleibt es – gäääähn! Wie kommt das, Germany? Begrenzen wir uns nicht ein wenig mit zu vielen Kategorien? Lasst es uns einfach neu benennen: Post-Pop!

Noch ein Fazit, das immer wichtig bleiben wird, ist: Kulturen ergänzen sich wunderbar. Wir können uns gegenseitig inspirieren und sehr viel voneinander lernen. Ich schlafe ein, habe einen Jetlag wie nie zuvor – und genieße ihn.

Text von Fee Kürten • Fotos von Griffin Lotz