Kino-Sensation 2016: „Toni Erdmann“ ist ein guter Film – mehr aber nicht

„Toni Erdmann“ von Maren Ade hat für große Aufregung in der deutschen Kinobranche gesorgt. Doch der Film wird dem Hype nicht ganz gerecht.

Toni Erdmann, nicht viele wissen das, ist ein deutscher Vorname. Etwas alter­tümlich und nicht sehr gebräuchlich, aber man trifft noch auf Menschen, die so heißen. Zum Beispiel der Betreiber des besten Mannheimer Programmkinos: Im Atlantis lief natürlich auch „Toni Erdmann“, und weil das in ganz Deutschland so war, ist Maren Ades Film von einem Geheimtipp zu einer Pflichtveranstaltung mutiert.

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Er hat zwar in Cannes keine Palme bekommen, aber wenn dieser Text erscheint, wird er beim Europäischen Filmpreis gewonnen haben, so wie zuvor den Preis der Internationalen Filmkritik, den der deutschen Kinobetreiber und, wie im kommenden Jahr, bei den deutschen Kritikern, der deutschen Film­akademie, und, und, und. Über 750.000 Zuschauer haben den Film in Deutschland gesehen, und jetzt sind auch in Frankreich die Zuschauerzahlen schon sechsstellig. Was hat Maren Ade bloß falsch gemacht?

Überraschungserfolg in Cannes

Dieser Erfolg war keineswegs zu erwarten, aber weil hinterher immer alle klüger sind, kann man jetzt auch sagen: Es musste so kommen. „Toni Erdmann“ und sein Erfolg repräsentieren die deutsche Filmszene leider allzu perfekt, auch in ihren Schwächen. Zum Beispiel war schon klar, als am Abend bei der Cannes-Premiere die deutsche Delega­tion in zehn Limousinen vorfuhr und fünf von ihnen ausschließlich Förderer entstiegen, dass in den nächsten Jahren alle Regiestudenten gesagt bekommen: „Mach doch mal was wie ‚Toni Erdmann‘!“ So wie davor „Mach doch mal was wie ‚Oh Boy‘!“ Oder „Mach doch mal was wie ‚Gegen die Wand‘!“

Oder die taktlose Entscheidung der Kulturstaatsministerin, die zwar keine richtige Ministerin, aber immerhin für Film zuständig ist, ausgerechnet diesmal nicht nach ­Cannes zu kommen, wo erstmals nach über 20 Jahren, Wim Wenders nicht mitgezählt, ein deutscher Filmemacher im Wettbewerb vertreten war.

„Toni Erdmann“ war eigentlich gar nicht für den Wettbewerb in Cannes vorgesehen

Direkt nach der Premiere wussten natürlich alle, warum „Toni Erdmann“ genial, großartig, superlustig ist und die Goldene Palme gewinnen würde – darum muss man jetzt auch mal erzählen, dass das Festival von Cannes „Toni Erdmann“ gar nicht in den Wettbewerb einladen wollte und dies erst kurz vor Schluss dann doch tat, weil andere Filme­macher nicht fertig wurden. Und darum gehört unsere ganze Sympathie dem Pandora Film Verleih, der ihn schon vor Cannes gesehen hatte und dann nicht verleihen wollte, weil sie ihn nicht mochten. Jetzt beißen sich da einige bestimmt das Hinterteil wund. Aber nicht um Schadenfreude geht es, sondern um die Feststellung, dass es mit der Expertise der deutschen Verleiher in Fragen Qualität und Verleihchancen eben auch nicht weit her ist.

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Bezeichnend ist auch das Fan-Verhalten der ganzen Branche: Als ginge es um die deutsche Nationalmannschaft bei der EM, wurden nach jahrelangem dusseligen Cannes-mag-uns-eh-nicht-Gerede plötzlich die Applaussekunden gezählt und die sichere Goldene Palme verkündet. Als es dann doch nicht klappte, folgte Schmollen. Tatsächlich wäre ein Sieg eine Sensation gewesen. Ade hat nicht verloren, sondern viel erreicht: Respekt, auch neues internationales Interesse für das deutsche Kino, Sympathie, Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Ein guter Film – mehr aber nicht

Der Film selbst ist, seien wir ehrlich, keineswegs sensationell, sondern einfach gut. Nicht mehr und nicht weniger. Sehr kontrolliert und seriös, auch in seiner Albernheit, am Ende irgendwie auch sehr brav. Er hat Erfolg, weil er gutbürgerlich ist in seinem harmonischen Familienbild, nach dem die – falsche – Versöhnung von Vater und Tochter besser sein soll als der offene Bruch. In seiner subtilen Art, den anarchistischen (68er-)Daddy für seinen angeblichen Egoismus abzuwatschen und sich moralisch auf die Seite der frustrierten, kalten, hysterischen Tochter zu schlagen – aber dann trotzdem die Kurve zu kriegen und den Vater gut aussehen zu lassen. Das gefällt der Elterngeneration, die ins Kino stürmt und sich nicht zu viel ärgern will.

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Außerdem ist „Toni Erdmann“ zwar eine Komödie, aber Lichtjahre entfernt von allem, was in den letzten 15 Jahren als „deutsche Komödie“ ­firmierte. Kaum weniger weit entfernt ist sie aber auch von Lubitsch oder Wilder, dafür in ihrer Kunstverschwurbeltheit viel näher am modernen Theater. Worte, nicht Bilder, stehen hier im Zentrum.

Wenn das jetzt alles zu negativ klingt, dann zum Schluss noch mal was Positives: „Toni Erdmann“ ist natürlich besser als die allermeisten deutschen Filme der vergangenen Jahre. Nur, was heißt das? Der Film ist keine Offenbarung – er ist schlechter als zum Beispiel ein guter Autorenfilm aus Frankreich oder Japan. Nicht schlimm. Aber bitte auf dem (roten) Teppich bleiben!

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