Warum Trumps Angriff auf den Iran die Nuklearkrise verschärft haben könnte
Trump gibt sich weiterhin siegessicher – doch es könnte weniger Grund zum Optimismus geben, als er der Öffentlichkeit glauben machen will

Nach den Luftangriffen auf iranische Atomanlagen, die US-Präsident Donald Trump befohlen hatte, verfügt der Iran weiterhin über die notwendigen Komponenten zum Bau einer Atomwaffe. Zugleich scheinen militärische Hardliner, die mit der als schwach empfundenen Haltung der geistlichen Führung unzufrieden sind, in Teheran zunehmend an Einfluss zu gewinnen, wie mehrere Quellen ROLLING STONE berichten.
Trump behauptete, die US-Angriffe hätten eine „vollständige Auslöschung“ bewirkt, und griff die Medien an, weil sie diese Darstellung nach einem durchgesickerten Bericht der Defense Intelligence Agency (DIA), der den Behauptungen der Regierung widerspricht, in Frage stellten.
Wegen ungeklärter Fragen zu den verdeckten Aspekten des iranischen Atomprogramms lassen sich kaum definitive Aussagen über einen Zeitrahmen zum Bau einer Bombe treffen – oder darüber, ob sich der Iran nun tatsächlich dazu entschließen wird.
Ideologischer Wandel im iranischen System
Die Angriffe der USA und Israels lösten jedoch eine ideologische Neuausrichtung innerhalb der iranischen Regierung aus, die auf Persisch als „das System“ bezeichnet wird. Besonders bedeutsam ist, dass die Eliten, die bisher eine Politik der „strategischen Geduld“ verfolgten – ein Kernbestandteil davon war der Verzicht auf ein Atomwaffenprogramm zur Vermeidung eines direkten Konflikts mit dem Westen – nun diskreditiert wurden.
„Die Hardliner im System könnten nun im Aufwind sein, da viele ihrer Kritiken an diplomatischen Bemühungen und einer verhandelten Lösung des Atomstreits im Wesentlichen bestätigt wurden“, sagt Nicole Grajewski, Expertin für Iran beim Carnegie Endowment for International Peace. „Das System steht unter Druck und extremen Zwängen, da es militärisch geschwächt ist – ganz zu schweigen von Israels bewiesener Fähigkeit, den iranischen Luftraum zu dominieren. Es könnte das Ende der strategischen Geduld bedeuten oder den Übergang zu einer viel paranoideren, härteren und geheimniskrämerischen politischen Phase.“
„Es gibt eine Grenze dessen, was Israel und die Vereinigten Staaten wirklich über die Auswirkungen ihrer Angriffe wissen“, sagt Ali Vaez, Iran-Direktor der International Crisis Group. „Die Krise ist dadurch erheblich komplizierter geworden – gelöst ist sie mitnichten.“
Uneinigkeit über das Ziel
Die Konfliktparteien zeigen kaum Anzeichen dafür, sich darüber einig zu sein, was sie als Nächstes erreichen wollen. Israel erklärte, das primäre Ziel seines Angriffs sei gewesen, den Iran am Erwerb einer Atomwaffe zu hindern, und rief zugleich die iranische Bevölkerung zum Sturz ihrer Regierung auf. Auch Trump sprach von einem „Regimewechsel“ als endgültiger Lösung – ebenso wie republikanische Hardliner – doch nun gibt seine Regierung an, sie wolle zu Verhandlungen zurückkehren.
Für die Herstellung einer Atomwaffe braucht es Zugang zu Uran; die Fähigkeit, das Erz zu einem Gas zu verarbeiten; den Bau und Betrieb von Zentrifugen zur Anreicherung auf hohen Reinheitsgrad; sowie das technische Know-how zum Bau eines Sprengkörpers.
Spaltmaterial für zivile Zwecke wird auf etwa fünf Prozent angereichert – für Waffen wird jedoch hochangereichertes Uran mit mindestens 90 Prozent Reinheit benötigt.
„Ich bin mir nicht sicher, wie gut die Angriffe wirklich geplant waren, um sämtliche Elemente des iranischen Kapazitätsaufbaus zur Produktion von waffenfähigem Uran schnell auszuschalten“, sagt Farzan Sabet, Forscher am Global Governance Center und Betreiber des Blogs Iran Wonk. „Ich bin da eher skeptisch, solange wir keine weiteren Daten haben.“
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags (NPT) überwacht, veröffentlichte am 31. Mai einen Bericht, laut dem der Iran hochangereichertes Uran hortet und weitere „illegale“ Aktivitäten durchführt.
Angereichertes Uran in Reichweite zur Waffenproduktion
„Der Iran kann seinen aktuellen Bestand an 60 Prozent angereichertem Uran innerhalb von drei Wochen in 233 Kilogramm [513 Pfund] waffenfähiges Uran umwandeln – genug für neun Atombomben“, schrieben Analysten des Institute for Science and International Security (ISIS) in ihrer Bewertung des IAEA-Berichts.
Solche Erkenntnisse bilden die Grundlage für Behauptungen, dass der Iran kurz davor stehe, eine Atomwaffe zu erhalten – ob er dies tatsächlich anstrebt, ist jedoch ebenso eine Frage politischer Absicht wie technischer Fähigkeiten.
Weder israelische noch US-Beamte legten direkte Beweise dafür vor, dass der Iran nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 mit dem Bau einer Bombe begonnen habe. Tatsächlich erklärte die US-Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard im März, dass „der Iran nach wie vor keine Atomwaffe baut und Oberster Führer Khamenei das 2003 ausgesetzte Programm nicht wieder autorisiert hat.“
Kontrolle durch die IAEA geschwächt
Auf Druck von Trump und seiner MAGA-Basis hat Gabbard diese Position später revidiert und auf X gepostet, der Iran könne „innerhalb von Wochen bis Monaten eine Atomwaffe herstellen, wenn er sich für die Endmontage entscheidet.“
Vor den Angriffen war ein strenges Monitoring und Inspektionsregime entscheidend für die Kontrolle des iranischen Programms. Analysten des ISIS betonten: „Es ist nun dringend notwendig, IAEA-Inspektionen ins Zentrum der Beziehungen zum Iran zu stellen und zu bekräftigen, dass der Iran niemals eine Atomwaffe erhalten darf.“
Iranische Offizielle drohen nun damit, IAEA-Inspektoren auszuweisen. Ob dies als Druckmittel für künftige Verhandlungen gedacht ist, ist unklar – doch falls die IAEA tatsächlich ausgeschlossen wird, verliert die Weltgemeinschaft die Sicht auf das iranische Atomprogramm, während der interne Druck zur Herstellung einer Waffe wächst.
Die IAEA gab an, dass der Iran 900 Pfund hochangereichertes Uran besitzt. Experten vermuten, dass ein Teil dieses Materials vor den US-Angriffen von der Anlage in Fordow entfernt wurde – genaue Informationen fehlen jedoch.
„Wir wissen nicht, wo sich dieses Material befindet“, sagte IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi letzte Woche. „Der Iran teilte mir offiziell mit: ‚Wir werden Schutzmaßnahmen ergreifen‘ – was möglicherweise auch das Umverlagern des Materials einschließt.“
Versteckte Zentrifugen und mögliche Wiederaufnahme
Auch zu den bestehenden Zentrifugen gibt es offene Fragen. 2018 zog Trump die USA aus dem von Ex-Präsident Obama 2015 geschlossenen Atomdeal mit dem Iran zurück – dem „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA). Der Deal beschränkte unter anderem die Anzahl der erlaubten Zentrifugen. Und erlaubte der IAEA Zugang zur Überprüfung der NPT-Standards.
Nach Trumps Ausstieg blieb der Iran zunächst im Rahmen des Abkommens. Bis zu einer Reihe israelischer Angriffe 2020 und 2021 auf eine Zentrifugen-Produktionsstätte. Danach untersagte Teheran der IAEA weitere Inspektionen an diesem Ort.
„Wir wussten, dass sie Hunderte moderne Zentrifugen produziert hatten. Wir wussten nur nicht, wo“, sagt Vaez.
Zerstörung nicht vollständig – Bedrohung bleibt
In einer Analyse nach den Angriffen vom Dienstag stellte das ISIS fest: „Insgesamt haben Israels und Amerikas Angriffe Irans Zentrifugen-Programm effektiv zerstört.“ Dennoch heißt es weiter: „Es verbleiben jedoch Bestände an 60-, 20- und 3–5-prozentig angereichertem Uran. Sowie nicht installierte Zentrifugen in Natanz oder Fordow. Diese nicht zerstörten Teile stellen eine zukünftige Bedrohung dar.“
Eine vollständige Erfassung aller Zentrifugen durch Israel und die USA ist unwahrscheinlich. Trotz der Schäden in Fordow existieren weiterhin Produktions- und Anreicherungsanlagen in Natanz und Isfahan, die weitgehend unversehrt blieben.
„Man kann kein Programm ‚auslöschen‘, wenn sowohl Zentrifugen als auch 60-prozentig angereichertes Uran weiter existieren“, sagte Senator Chris Murphy am Donnerstag nach einer vertraulichen Unterrichtung.
Vaez merkt an, dass der technische Aufwand für eine Bombe kleiner sein könnte, als von Politikern dargestellt. „Ein paar Dutzend fortschrittliche Zentrifugen passen in einen kleinen Raum ohne auffällige Signaturen. Und können bei Einsatz von 60-Prozent-Material zur Anreicherung auf 90 Prozent genutzt werden.“
„Mit ihrem 60-Prozent-Bestand könnten sie in sechs Tagen genug spaltbares Material für eine Atombombe haben. Und in weniger als einem Monat genug für ein ganzes Arsenal“, so Vaez gegenüber ROLLING STONE.
Vom Material zur Abschreckung – ein weiter Weg
Obwohl der Iran Materialien zum Bau einer Atombombe besitzt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er sich dazu entschlossen hat. Und zwischen einer einzelnen funktionsfähigen Bombe und mehreren Sprengköpfen als glaubwürdige Abschreckung liegt ein weiter Weg.
„Ich weiß nicht, ob sie einen klaren Plan für Diplomatie haben“, sagt Sabet. „Ich weiß nicht, welches Endziel sie verfolgen. Oder welche Zugeständnisse sie zu machen bereit wären.“
„Die Quintessenz ist: Die nukleare Kapazität des Iran wurde reduziert. Aber der Wille, Atomwaffen zu erwerben, hat zugenommen“, sagt Vaez.
Repression statt Regimewechsel
Unabhängig davon, ob der Wille zugenommen hat – ein Regimewechsel fand jedenfalls nicht statt. Nach den US- und israelischen Angriffen hat die Islamische Revolutionsgarde (IRGC) ihre Kontrolle über das Land verstärkt. Sie richtete Kontrollpunkte ein. Durchsuchte Handys. Führte Massenverhaftungen durch. Und vollstreckte Hinrichtungen.
Trotz weitverbreiteter Unzufriedenheit mit dem System sammelten sich viele Iraner hinter der Regierung. Die auch nach Angriffen auf ihre Führung weiter funktionierte.
Nach der US-Invasion im Irak 2003 führte die IRGC die „Mosaik-Doktrin“ ein. Zur Sicherstellung der Überlebensfähigkeit des Regimes im Falle einer Invasion.
„Sie erwarteten eine Irak-ähnliche Invasion. Und verstanden, dass die Führung durch Attentate oder Präzisionsschläge ausgeschaltet werden könnte“, sagt Sabet. Deshalb erhielten regionale IRGC-Hauptquartiere Kompetenzen zur lokalen Sicherung im In- wie Ausland.
Israel tötete bei Beginn von „Operation Rising Lion“ im Juni zahlreiche IRGC-Kommandeure. Viele von ihnen waren Verfechter der strategischen Geduld seit der Ermordung von General Qasem Soleimani durch die USA 2020.
Parallelen zur Vergangenheit
„Sie wollten damals eine maßvolle Antwort und eine Eskalation vermeiden“, so Sabet. Eine Woche nach Soleimanis Tod griff Iran US-Stellungen im Irak mit abgestimmten, vorab angekündigten Raketenangriffen an.
Auch die Antwort am vergangenen Montag war moderat. Sechs iranische Kurzstreckenraketen auf den US-Stützpunkt al-Udeid in Katar wurden alle von Patriot-Systemen abgefangen.
Trump bedankte sich öffentlich. „Ich danke dem Iran für die frühe Warnung, die es ermöglichte, dass niemand verletzt wurde“, schrieb er in sozialen Medien.
Informationskrieg auf Social Media
Laut Matthew Ford, Professor für Kriegsstudien in Stockholm, ist auch Social Media ein entscheidendes Schlachtfeld. Israel präsentierte während „Operation Rising Lion“ gezielt seine militärischen Erfolge online. Trump soll seine Meinung zur Beteiligung am Konflikt nach der Fox-News-Berichterstattung über den israelischen Angriff geändert haben.
Zugleich ist Informationskontrolle schwerer denn je. Israel verhängte eine Nachrichtensperre. Streute aber gezielt Memes. Der Iran kappte landesweit das Internet.
Auch die USA setzten auf Täuschung. Während ein Sprecher ankündigte, Trump würde „innerhalb von zwei Wochen“ handeln, verfolgten Online-Beobachter öffentlich sichtbare B-2-Bomber auf dem Weg nach Westen. Tatsächlich fanden die Angriffe unbemerkt von Osten statt.
Öffentlichkeit vs. Realität
Medienberichte und Online-Debatten beeinflussen auch die Innenpolitik. Angesichts interner Konflikte unter MAGA-Anhängern reagiert das Weiße Haus empfindlich auf Berichterstattung.
„Wiederholt werden geheime Informationen geleakt, um dem Präsidenten zu schaden“, sagte Verteidigungsminister Pete Hegseth am Donnerstag.
Doch selbst wenn Trumps Darstellung einer „vollständigen Auslöschung“ Bestand haben sollte, bleibt die Kernfrage offen. Wird der Angriff den Iran tatsächlich vom Bau einer Atombombe abhalten? Diese Antwort wird nicht auf Social Media fallen. Und nicht bei einer Pressekonferenz.