Zum 50. Jahrestag des Mauerbau: Hallo, ist da wer?

Steine in den Köpfen, Revolution in Geheimsprache: Olaf Leitner erklärt, wie die musikalischen Ost-West-Beziehungen im Schatten der Mauer funktionierten.

Gegen die Wand: Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Seit 1989 ist sie Geschichte – was hat sie für die Popmusik bedeutet? Zum 50. Jahrestag: das Mauer-Special mit U2 und Bowie, Puhdys und Tresor.

Die Mauer gab es ungefähr so lange wie die Beat- und dann Rockszene der DDR. Deren Musiker hatten somit nie wirklich die Chance, sich mit ihren Westkollegen auszutauschen. Es sei denn über Schleichwege oder, später, über die raren offiziellen Kontakte. Im Westen, zumal in Westberlin, wo sich ebenfalls eine – nehmen wir mal den dritten Begriff – Popszene zu entwickeln begann, war die DDR so etwas wie Asien. Irgendwie nah dran und irgendwie sehr weit weg. Als 1961 die Mauer stand, war das empörend und traurig, aber letztlich ohne Bedeutung für das eigene Dasein. Man hatte mit sich selbst zu tun, war im Gründungsfieber. Die wenigen Berliner Bands, die schon zu Auftritten nach Westdeutschland reisen konnten, lernten die DDR nur als Verkehrshindernis kennen.

So auch die Team Beats Berlin, die – frisch gegründet – mich als Pianisten aufgenommen hatten, weil ich „In The Mood“ einigermaßen fehlerfrei spielen konnte. Gelegentlich durften wir im Hamburger Star Club auftreten und konnten so auf den Transitwegen unsere eigene DDR-Erfahrung sammeln („Haben Sie Funkgeräte oder Schusswaffen dabei?“). Eine politische Dimension wurde erst sichtbar, als im September 1965 das Konzert der Rolling Stones in der Westberliner Waldbühne stattfand, in dessen Verlauf das Terrain zu Bruch ging. Mein Auftritt mit den Team Beats im Vorprogramm war sicher nicht der Grund dafür, das Publikum geriet vielmehr wegen des äußerst kurzen Auftritts der Stars in Rage und konnte seine Wut fast ungehindert austoben. Mit erheblichen Folgen. Die Waldbühne wurde für 13 Jahre unbespielbar. Und die DDR geriet in Panik, weil sie befürchtete, auch in ihrem Land könnte es ähnliche Ausschreitungen geben. Im Dezember 1965 gab es jenes berüchtigte elfte Plenum des ZK, auf dem viele Kulturschaffende attackiert und sogar mit Berufsverboten belegt wurden.

Es folgte eine Zeit, die den Musikern viel Energie, stählerne Nerven, Fantasie und List abverlangte, um ihre Fachrichtung gegen bürokratisch-ideologische Widerstände am Leben zu halten. Bis sich die DDR-Administration später mit der Tatsache abfand, dass die Beat-, ach, sagen wir ab jetzt nur noch: Rockmusik als Kultur-Essential der Jugend unausrottbar war.

„Drüben“, in den staatlichen Westberliner Clubs, in Jugendheimen oder Tanzkneipen, fanden die jungen Beatbands Auftrittsmöglichkeiten. Was sich jenseits der Mauer musikalisch tat, war ihnen ziemlich schnuppe. Auch dort nahm die Zahl der sogenannten „Muggen“ zu, auf beiden Seiten saugte man sich die Vorgaben aus dem Radio (anfangs Radio Luxemburg oder AFN, später RIAS oder NDR), um sie im Übungskeller in eigene Versionen umzuarrangieren. In Berlin-West aber gab es keine Zensur, keine Observierung, allenfalls die Heimleitung, die um 22 Uhr das Trainingsgelände räumte. Dafür gab es allerdings auch keine Beratung oder Anleitung für die Musiker.

In den 80er-Jahren wurde die Mauer durchlässiger, die Star-Bands der DDR, von denen einige inzwischen ihre Platten auch im Westen veröffentlichen konnten und somit Devisenbringer waren, erhielten Pässe, oft erst Stunden vor der geplanten Abreise. Es entstanden Kontakte zwischen Rockbands Ost und Rockbands West. Die Gespräche drehten sich wohl weniger um Ideologie oder Musikästhetik als um Fragen der Technik, des Equipments. Die DDRocker nutzen Westkonzerte je nach eigener Devisenlage zu Einkäufen: Jeans, Gitarrensaiten, Trommelsticks oder größere Hardware.

Am deutlichsten hat das zaghafte deutsch-deutsche Zusammenwachsen via Popmusik Udo Lindenberg manifestiert. Ein von den Fans in „Mädchen aus Ostberlin“ umgetauftes Liebeslied traf die DDR-Jugend ins Mark, der „Sonderzug nach Pankow“ wurde mit einem Auftritt im Palast der Republik belohnt. Wenn auch David Bowie die Mauer in „Heroes“ erwähnte, so war sie dennoch selten ein Thema in westlichen Rocksongs. In einer Blödelnummer des Ensembles Lilli Berlin von 1982, „Ostberlin – Wahnsinn“, heißt es: „Wir fahren mit der S-Bahn hin/ Und freu’n uns auf Ostberlin/ Da leben nette Menschen drin – Wahnsinn!/ Westberlin ist abgeschrieb’n.“ „Ein wunderbares Stück musikalischer Zeitgeschichte und meiner Jugend in der DDR“, schrieb ein Kommentator bei YouTube, „als wir solche Musik noch heimlich bei RIAS aufgenommen haben.“ Die Satire war angekommen.

Die meisten DDR-Gruppen waren im Westen fast unbekannt: Mit ihren Reisebeschränkungen und den selbstverordneten Informationsdefiziten hatte sich die DDR selbst ins Abseits gestellt. Nach der Wende fielen die Protagonisten der „Unterhaltungskunst“ (DDR-Terminus) dann in ein tiefes Loch. Bis das zu DDR-Zeiten sozialisierte Publikum begriff, dass mit ihren Pop-Idolen ein Stück Identität und Heimat verbunden und erhalten bleibt. Bands wie Silly mit Anna Loos sind heute längst gesamtdeutscher Besitz. Deren Texter Werner Karma, gelernter Philosoph, vergleicht die alte mit der neuen Zeit: In der DDR wurde das Werk „nach seinem Inhalt betrachtet, nicht nach seinem Warenwert. Dieser Doppelcharakter hat mir sehr gefallen. Heute ist es nur noch Warenproduktion.“

Die schönste Pointe in der Geschichte des DDRock lieferte die Band Pankow. 1989 tourte sie mit der Big-Band der inzwischen auf Gorbatschow vereidig-ten Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte. Man spielte einige der Songs, die Jahre zuvor von den SED-Kulturdogmatikern wutschnaubend torpediert worden wären – mit eben diesen Soldaten als Drohpotenzial an der Seite.

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Olaf Leitner, 68, ist einer der wichtigsten Chronisten der Berliner Musikszene. Er war Redakteur bei RIAS und Radio Brandenburg, schrieb diverse Bücher. Heute arbeitet er u.a. für den SWR, verfasst Drehbücher und moderiert auf Byte.fm „Der West-Östliche Diwan“ (einmal im Monat, Sonntags, 12 Uhr).

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