Bon Iver

„SABLE, fABLE“ – Aus der Dunkelheit ins Licht

Jagjaguwar/Cargo (VÖ: 2.5.)

Songwriter Justin Vernon geht mit monumentalen Sounds durch den Leidenszyklus des Lebens.

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Das Wort „sable“ bedeutet verschiedene Dinge, vor allem aber „tiefes Schwarz“ oder, als Adjektiv, „finster“. Für Justin Vernon ist es die Beschreibung von etwas, das er an sich selbst beobachtet – nämlich dass sich ein bestimmter Leidenszyklus im Lauf seines Lebens regelmäßig zu wiederholen scheint. Passiert das, weil das Leben nun mal so ist? Vernon hat eher den Eindruck, dass er sich mit einer gewissen Absicht immer wieder ins Unglück steuert, weil er als Künstler dafür so viel Applaus bekommt.

Um diese Reflexion ging es auf der im letzten Herbst erschienenen EP „SABLE,“. Die drei Songs darauf sind ein Triptychon von Angst, Schuld und Hofnung – Vernon stellte sich den Gefühlen und vollzog einen Kehraus. Insbesondere der Song „Awards Season“ rührt in seiner Nacktheit an. Darin singt Vernon fast a-cappella von einer gescheiterten Beziehung und der Schönheit, die die Liebenden trotz des Zerbruchs erschaffen haben. Dann erhebt sich aus der Stille plötzlich ein Saxofon-Orchester – es ist so ergreifend, dass man fast erschrickt.

Es ist so ergreifend, dass man fast erschrickt

Man dachte wegen der akustischen Arrangements auf „SABLE,“, dass Vernon zu seinen Anfängen zurückgekehrt war, in die Hütte in Wisconsin, zumal er im dazugehörigen Video in einer ebensolchen steht. Aber es war keine Rückkehr; alle Errungenschaften der letzten fünfzehn Jahre schwingen in den drei Liedern mit. Sie stehen „SABLE, fABLE“ voran wie ein Prolog oder ein Vorhof. Erst wenn man ihn durchschritten hat, beginnt der aktuelle Bon Iver.

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Und der ist mitnichten klein und akustisch, sondern groß, manchmal sogar monumental. Vernon tritt nach der Introspektion ins Freie und streckt seine Hand aus, offenbar erfüllt von einer neuen Liebe. Bei „Everything Is Peaceful Love“ jubiliert die Kopfstimme, der Refrain führt in Gospel-Höhen, und Greg Leisz spielt eines seiner wolkigen Pedal-Steel-Soli. Das sinnliche „Walk Home“ steht auf einem tief gestimmten Beat, Vernon singt zum Soul-Piano ein Lied von Leidenschaft und vielleicht auch von Lust. Ein Höhepunkt ist das Duett mit Danielle Haim („If Only I Could Wait“), das bei einer eingeschneiten Session im Bon-Iver-Studio entstand. Sphärisches Flirren, gleißend helle Klangkulissen – und darin ein Moment der Nahbarkeit und Intimität.

Wohl stecken in den Arrangements der „fABLE“-Sektion die Insignien dieser Diskografie: die Eighties-DX7-Sounds, der Nineties-R&B, die HipHop-Produktionsweise der Nullerjahre. Aber Vernon verzichtet auf das Fragmentarische und Fremdelnde der letzten Alben, die der Soundtrack zur Metamoderne waren, und schaft lieber weit offene Playbacks. Sie geben den Themen Heilung, Verbundenheit und Neubeginn das musikalische Gefühl. Das finale „There’s A Rhythmn“ fließt aus den vorigen Liedern wie eine Entspannung nach all der schmetterlingshaften Aufregung, wie ein Versprechen auf ein Leben ohne Scham. Es ist aber auch das Bewusstsein darin, dass die Seele ihre lang geübten Mechanismen so schnell nicht verlernt. Das ist das kleine f in der Fabel vom Glück. Da ist ein Rhythmus, ein weiterer Zyklus. Vielleicht muss er nicht wieder ins Leid führen.

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Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 5/25.