
Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Gelegentlich ein Ozean
Kann Jazz-Fusion in vorgerücktem Alter ein Lebenselixier sein? Oder tut es auch eine Platte aus dem Jahr 2024? Ein Experiment.
Folge 280
Die Popmusik schläft nicht, unentwegt warten neue Aventüren, es ist ein einziges Kommen und Gehen. Entsprechend aufreibende Wochen liegen hinter Ihrem Autor. Kürzlich habe ich mir endlich das Album „Diamond Jubilee“ von Cindy Lee gekauft. Die beste Platte des Jahres 2025, wäre sie nicht schon 2024 erschienen.
60 Euro habe ich für das Stück bezahlt, das sind mehr Euro, als Löcher in die Royal Albert Hall passen. Für ungefähr denselben Preis bekäme man vier solide erhaltene Jazz-Fusion-Platten. Das weiß ich, weil ich auf diesem Gebiet zuletzt eine gewisse Expertise erworben habe.
Unlängst nämlich hielt ich es für an der Zeit, mich endlich für Jazz-Fusion zu interessieren, das vielleicht letzte musikalische Genre, in dem es mir bislang nicht gelungen war, Anmut aufzustöbern. Nun aber, mit fast 100 Jahren, schien der Zeitpunkt gekommen.
Die schönen Plattencover des Fusion-Jazz
Der Fusion-Musik, so meine plötzlich neu gewonnene Überzeugung, war von Anbeginn der Schöpfung eine Kraft beigegeben, dem Menschen den schattigen Weg der Wahrheit zu erhellen. Frischauf, rief ich, man gebe mir Vertracktheit und Polyfonie! Weather Report und Chick Corea, empfangt einen neuen Gläubigen in euren Tempeln!
Es waren ehrlicherweise vor allem die Plattencover, die es mir angetan hatten. Vielleicht hat es mit dem Stoffwechsel im Alter zu tun, aber ich fand diese Hüllen plötzlich ungemein verheißungsvoll: Vögel, Himmel, Wolken, noch mehr Vögel, gelegentlich ein Ozean.
Was bitte konnte dem sensiblen Musikfreund hier nicht gefallen? Manche Cover des Genres dünkten mir zugegebenermaßen äußerst unverheißungsvoll, was sie ab einem gewissen Grad der Begeisterung wieder ungemein verheißungsvoll wirken ließ – wie in jeder Parallelwelt sind die Gesetze der Logik im Kontext der Jazz-Fusion ausgehebelt.
Ich verbrachte nun auch ganze Nächte mit der Sichtung selten besuchter YouTube-Kanäle weißhaariger Männer, die über diese Werke extemporierten. Die Pforten zu einer neuen Welt schienen sich zu öffnen, einer Welt, deren Regeln und Sitten ich oft verlacht hatte, die mir nun aber Labsal in schlaraffenlandartigem Ausmaß zu bieten schien.
Das Problem war: Mir gefiel die Musik überhaupt nicht. Es ließ sich nicht drum herumreden. Die Rhythmen klangen wie das Musik gewordene Gegenstück zu Menschen, die sich beim Yoga unglücklich die Beine verknäult hatten. Mir schien, als würde an allem Eigentlichen vorbeimusiziert. Zudem hielt es ständig irgendjemand für angeraten, Querflöte zu spielen. Man muss das so sagen: Es herrscht ein regelrechter Querflötenfuror in diesem Genre.
Ich brach das Experiment ab. Jazz-Fusion, so die schmerzliche Erkenntnis, würde mir nicht das erhoffte Pflaster auf meine 2025er Seelenwunden pappen. Bevor sich nun aber erboste Mitglieder des hiesigen Weather-Report-Fanclubs an meinem Fahrrad festketten, sei gesagt: Es liegt nicht an der Jazz-Fusion, es liegt allein an mir.
Mehr Texte von Eric Pfeil
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„Diamond Jubilee“ von Cindy Lee
Aus dem Cindy-Lee-Album hingegen lässt sich reichlich Nektar saugen: „Diamond Jubilee“ ist im Grunde das Gegenteil von Jazz-Fusion, aber letztlich ist alles das Gegenteil von Jazz-Fusion. Erstehen auch Sie zwecks Steigerung Ihres Lebensglücks dieses Wunderwerk: ein Amalgam aus Brill Building, Girlgroup-Hits und Torch Songs, mit Homerecording-Mitteln ins Werk gesetzt von einem blassen Gespenst. Psychedelia, Synth-Pop und etwas Morricone.
Wenn Stephin Merritts Projekt The Magnetic Fields von Außerirdischen gekapert würde, das Ergebnis klänge wie „Diamond Jubilee“. Eine Platte, so gut wie lange nichts mehr. Nur das Cover berührt mich nicht. Aber das ist nicht schlimm, ich kann beim Hören ja meine Jazz-Fusion-Alben betrachten. Vögel, Himmel, Wolken, gelegentlich ein Ozean.