Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Preziosen im Ramsch

Schlendern über einen Flohmarkt – zwischen Hugo Egon Balder und Wolf Maahn, Al Bano & Romina Power und Wurst-Heidi

Folge 260

Der Flohmarkt ist der letzte Ort, der die Menschen in Zeiten zunehmenden gesellschaftlichen Auseinanderdriftens über soziale und kulturelle Grenzen hinaus noch zusammenzuführen in der Lage ist. Das stimmt zwar nicht, aber erbauliche Gedanken sind dieser Tage gefragter denn je, zumal wenn sie als steile Thesen formuliert werden.

Auch Ihr Chronist trieb sich vor einigen Tagen mal wieder auf einem Flohmarkt herum. Vorab hatte ich den unumstößlichen Entschluss gefasst, diesmal keine Plattenkisten zu durchwühlen.

Stattdessen, so der Plan, wollte ich mich inmitten all des Krempels, den fröhliche Menschen aus ihren Kellern auf die Straße geschleppt hatten, auf die Suche nach einem prähistorischen Weinkühler machen. Kaum hatte ich den Fuß auf das Gelände gesetzt, bog ich auch schon zur ersten Plattenkiste ab. Schon zu diesem Zeitpunkt vermochte das Konzept „Weinkühler“ keinen rechten Zauber mehr zu entfalten.

Als ich drei Plattenstände weiter gerade fassungslos das Cover von Hugo Egon Balders Frühwerk „Elvira, hol’ dein Strumpfband ab“ betrachtete, bekam die junge Frau, die soeben die Kiste nebenan durchgrub, einen veritablen Lachanfall: „Ahahahaha- hahaha!“, schüttelte sie sich und lieferte auch sogleich den Grund für die Zwerchfellkontraktion: „Wolf Maahn, „Rosen im Asphalt“, ahahahahahaha, unfassbar!“ Es war wohl weniger der Name des sendungsbewussten Deutschrockers als vielmehr der 80er-Jahre-stämmige, schimanskieske Albumtitel, der die Dame erbeben ließ. Ich überlegte kurz, ob ich mich zu einem Vortrag darüber hinreißen lassen sollte, dass „Elvira, hol’ dein Strumpfband ab“ der deutlich schlechter gealterte Albumtitel und Maahns todernstes 80er-Jahre-Neonpfützen-Pathos letztlich eine zwangsläufige Reaktion auf Blödel-Auswüchse wie die von Balder sei, zum Glück ließ ich es aber bleiben.

Ich schlenderte weiter und dachte dabei daran, wie ich Wolf Maahn vor rund zehn Jahren mal für ein (gescheitertes) Buchprojekt interviewt hatte. Das Gespräch hatte in seinem Auto stattgefunden. Bei laufender Standheizung. Ich hatte den Eindruck, dass Maahn vielleicht ein wenig hypochondrisch veranlagt sein könnte. Er war mir sympathisch. Ein weiterer Pop-Hotspot lauerte an der nächsten Ecke, wo zwischen lauter Ständen mit Kinderkleidung „Wurst-Heidi“ die beste Wurst der Stadt anpries. Ihre „Lecker, lecker Wurst!“-Rufe wurden nur übertönt von der Musik, die aus der neben ihrem Grill platzierten Box drang. Irritierenderweise umfasste Wurst-Heidis Playlist nur einen einzigen Song, nämlich „Felicità“ von Al Bano & Romina Power.

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Kaum war das Lied vorbei, begann es von vorn. „Felicità“ und Wurst: die Verschränkung dieser beiden vermeintlich gegensätzlichen Welten war mir bislang nicht in den Sinn gekommen. Dies war entweder genial oder irgendetwas anderes. Das sahen viele der Flohmarktbesucherinnen und -besucher auch so, denn vor Wurst- Heidis kleinem Stand standen mehr Leute als vor allen Schallplattenkisten zusammen. Trotz oder wegen „Felicità“. „Wie oft hintereinander kann man denn ‚Felicità‘ hören, ohne so mürbe zu werden, dass man unter irrem Kichern seine Augen- brauen verspeisen möchte?“, werden meine Leserinnen vielleicht fragen. Wurst-Heidi würde wohl sagen: Unendlich oft. Ich hingegen musste nach drei Durchgängen dann doch weiter.

Ich habe mir am Ende keine Schallplatte gekauft. Dafür barg ich aus einer 1-Euro-Kiste etwas, von dem ich fand, dass es in punkto Strahlkraft genau zwischen einer Hugo-Egon-Balder-Platte und einem Weinkühler anzusiedeln sei, nämlich das Buch „Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard“ von Kurt Hofmann, in dem der Suada-Virtuose in bewährter Manier herumgrantelt. Noch am Stand schlage ich eine zufällige Seite auf und lese den ersten Satz des Kapitels „Es ändert sich kein Mensch“: „Um Katastrophen braucht man sich eigentlich eh nicht zu sorgen, die kommen schon.“ Zufrieden gehe ich nach Hause. Die Asphaltrosen flüstern meinen Namen. „Felicità“ ist eine warme Waffe.

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