Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wenn die Mamba spielt

Wie ich ein Buch über die schlechtesten Songs schreiben wollte – und an Billy Ray Cyrus scheiterte.

Folge 266

Vor etwa einem Jahr hatte ich eine Idee, die war gar nicht mal so gut: Ich wollte ein Buch über die schlechteste Musik der Welt schreiben, 100 Songs plante ich aus im Internet kursierenden „Worst of Pop“-Listen zu diesem Behuf auszuwählen. Doch bestand mein Trachten keineswegs darin, mir billigen Applaus für das Abwatschen viel gehasster Stücke abzuholen, von wegen: „Höhöhö, ‚Live Is Life‘, allein der Titel, hihihi!“

Mir ging es darum, zu schauen, welche Lehren aus all den eher geringgeschätzten Hervorbringungen der Popmusik zu ziehen und welche Erbaulichkeiten im Schaffen von eher karg talentierten Musikschaffenden aufzustöbern wären. Davon abgesehen ist „Live Is Life“ alles, nur kein schlechter Song.

Anfangs ging es beim Schreiben noch recht flott voran. Eines der ersten Stücke, die ich mir vornahm, war „Achy Breaky Heart“, ein selten tumber Trampel von einem Countrysong, 1992 von keinem Geringeren als Miley Cyrus’ Vater, Billy Ray, an die Spitze der amerikanischen Charts geführt. Ein Lied, auf dessen lallende Schlichtheit man sich beim Anschauen des dazugehörigen Videos kaum konzentrieren kann, weil man vollständig von Billy Ray Cyrus’ Frisur abgelenkt wird. Wobei: In vielen deutschen Großstädten sehen junge Menschen heute wieder so aus! Ich glaube, das ist Nihilismus.

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Zum Lied selbst ist zu sagen, dass es in seiner arglosen Deutung von Country-Manierismen das Schaffen von Truck Stop geradezu streetwise erscheinen lässt. Es ist Musik wie diese, die uns in Momenten des Hochmuts daran erinnert, dass der Mensch nicht unentwegt nach Größe und Unsterblichkeit streben kann. Billy Ray, um Selbstironie nicht verlegen, veröffentlichte 2006 übrigens einen Song namens „I Want My Mullet Back“. Sein Hit war besser.

Auch über Chris de Burghs „Lady In Red“ ließ sich sonnigen Herzens schreiben. Wie sich der Paganini der Motivpullover-Musik hier am Konzept der erotisch umflorten Donnerballade versucht und dabei lyrisch das spiegelglatte Parkett des verunglückten Kompliments betänzelt, ist eigentlich total süß. Es ist das Lied eines amourös Unaufmerksamen, der plötzliche Erleuchtung erfährt. Und es muss irgendwie mit diesem roten Kleid zu tun haben, das der Trägerin einen Glanz zu verleihen scheint, den sie in des Ich-Erzählers Wahrnehmung bislang nicht hatte. Im Jahrzehnt der käsigen Balladen ist der Song die totale Scheiblette. Etwas Böseres würde ich allein deswegen nicht schreiben, weil de Burgh im Laufe seiner Karriere sechzehn Verleumdungsklagen auf den Weg gebracht hat.

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Ähnlich viel Vergnügen hatte ich bei der Wiederbegegnung mit Starships „We Built This City“, einem Stück, das Reagenzglas-Rocksongs geißelt – im Gewand eines Reagenzglas-Rocksongs. Genial! Ein Lied, das auch von der bezwingenden Lyrik von Elton Johns Stammtexter Bernie Taupin lebt. Taupin dichtete etliche Zeilen, die von der Band zwar bereitwillig gesungen, laut Eigenaussage aber nie verstanden wurden. Als das Stück auf Platz 1 der US-Charts stand, fragte Starship-Mitglied Mickey Thomas den Texter, was eigentlich die Zeile „Marconi plays the mamba/Listen to the radio“ zu bedeuten habe. Taupins Antwort: „I have no fucking idea, mate.“

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Sie fragen sich nun womöglich, warum das Buchprojekt beerdigt werden musste. Nun, es lässt sich kurz und bündig beantworten: Nickelback. Die Antwort auf vieles, was im Unerfreulichen endet, lautet im Grunde „Nickelback“. Hier aber erscheint diese Antwort geradezu sargnagelartig. Sosehr ich der Überzeugung bin, dass missglückte Kunst viel über die menschliche Natur verrät und dem kreativen Scheitern oft etwas Liebenswertes innewohnt, so wenig habe ich Lust, mich mit zu Tode komprimierten Gitarren-Missetaten humorlosester Rock-Verweser zu beschäftigen. Und über Insane Clown Posse, 3 Doors Down usw. haben wir noch gar nicht gesprochen.

Immerhin, für eins war die Erfahrung gut: Wann immer mir jemand eine schlechte Idee aufquatschen will, beende ich alle Diskussionen mit nur einem Wort: „Nickelback.“

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