Steven Tyler: Prozess wegen sexuellen Missbrauchs naht

Die Frau, die ihn verklagt, sagt, es wäre falsch, Tyler dafür zu „belohnen“, dass er sie in einen Bundesstaat mit niedrigerem Schutzalter gebracht habe.

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Die Frau, die Steven Tyler beschuldigt, sie in den Siebzigerjahren sexuell missbraucht zu haben, reagiert scharf auf seinen jüngsten Versuch, die Klage abzuweisen. Nur Wochen vor Prozessbeginn.

Öffentliches Interesse und verspätete Einwände

Laut neuen Gerichtsdokumenten, die ROLLING STONE vorliegen, fordert Julia Misley die Ablehnung von Tylers Antrag auf Klageabweisung. Der Aerosmith-Frontmann habe „entscheidende Fehler“ in seiner Argumentation, so Misley. Er, ein in Kalifornien lebender Musiker, habe sie damals in mehreren US-Bundesstaaten sexuell missbraucht – darunter Oregon, Washington, Massachusetts und Kalifornien – als sie noch minderjährig war. Tyler behauptet nun, dass sie gemeinsam in Massachusetts lebten, wo das Schutzalter bei 16 Jahren liegt, und er daher nicht unter Kaliforniens „Child Victims Act“ verklagt werden könne.

Misley argumentiert, Tyler habe diesen „Rechtswahl- und Anwendungsanspruch“ zu spät eingebracht. Außerdem widerspreche es der öffentlichen Ordnung, jemanden zu „belohnen“, der gezielt ein Kind in einen Bundesstaat mit niedrigerem Schutzalter bringe. In dem Schriftsatz, der auf eine Anhörung am 28. August abzielt, heißt es weiter, Tyler habe versäumt, rechtzeitig die Verjährungsfristen der anderen betroffenen Bundesstaaten geltend zu machen.

Sie führt aus, dass Tyler bereits bei seiner Klageerwiderung vom 4. April 2025 über alle Vorwürfe in mehreren Bundesstaaten informiert gewesen sei, aber keine spezifischen Gesetzesverweise zu Oregon, Washington oder Massachusetts angeführt habe. Deshalb dürfe er diese Argumente nun nicht nachträglich verwenden.

Tylers Verteidigung weist Vorwürfe zurück

Tyler-Anwalt David Long-Daniels betont hingegen gegenüber Rolling Stone, dass nichts versäumt worden sei. Die Verjährung sei bereits in der Klageerwiderung als fünfte Verteidigung aufgeführt worden. „Das ist ausreichend, um alle Argumente abzudecken“, sagt Long-Daniels.

In seinem Antrag auf summarisches Urteil argumentiert Tyler, dass Misley nicht in Kalifornien lebe und somit das kalifornische Gesetz zur Wiederaufnahme von Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht anwenden könne. Selbst wenn das Gericht dem nicht folge, solle die Klage zumindest auf Kalifornien beschränkt bleiben, da mögliche Ansprüche in anderen Bundesstaaten verjährt seien.

Langjährige Vorwürfe und emotionale Aussagen

Misley reichte ihre Klage erstmals im Dezember 2022 ein. Sie wirft Tyler vor, sie 1973 kurz nach ihrem 16. Geburtstag in Portland, Oregon, erstmals sexuell missbraucht zu haben. Es folgte eine dreijährige Beziehung, in der Tyler ihr gesetzlicher Vormund wurde. Während eines Aufenthalts im Beverly Hills Hotel habe er sie nackt in einen Aufzug gezerrt, um anschließend Sex mit ihr im Pool zu haben – ein Ereignis, das Teil ihrer Schadensersatzforderungen wegen seelischer Belastung ist.

„Ich wurde wie ein Sexspielzeug behandelt. Wie ein Haustier, wie ein Gegenstand – es war erniedrigend“, sagte Misley in einer eidesstattlichen Aussage, die ihrer neuesten Einreichung beigefügt ist. Sie beschreibt, dass Zeugen sie während dieses Vorfalls nackt sahen.

Tyler verweist auf angeblich einvernehmliche Beziehung

Tyler bestreitet jegliches Fehlverhalten und beschreibt die Beziehung als einvernehmlich und liebevoll. In seiner Autobiografie Does the Noise in My Head Bother You? (2011) schildert er das Verhältnis detailliert und erwähnt die Vormundschaft, die ihm von Misleys Eltern übertragen wurde. Er berichtet auch vom Sex im Flugzeug und dem Vorfall im Beverly Hills Hotel mit einem „staunenden Amish-Familienpublikum“.

In seiner ersten Klageerwiderung 2023 behauptete Tyler, dass er als „Vormund“ Immunität genieße – eine Verteidigung, die ein Rechtsexperte gegenüber Rolling Stone als „völlig irre“ bezeichnete. Diese Argumentation hat Tyler mittlerweile fallengelassen. In Misleys neuester Einreichung heißt es, Tyler könne sich heute nicht mehr an die Vormundschaft erinnern.

Entscheidung steht bevor

Die Anhörung zum Antrag auf Klageabweisung findet am 28. August in Inglewood, Kalifornien, statt. Misley und ihre Anwälte bestehen darauf, dass Kalifornien ein großes Interesse daran habe, sexuelle Übergriffe durch Bewohner des Bundesstaates zu ahnden. Eine Aufteilung in vier Einzelklagen sei „unmöglich“ und widerspreche dem öffentlichen Interesse.

„Die Schäden sind unteilbar, und der Beklagte nennt keine Rechtsgrundlage, wie diese aufgeteilt werden könnten“, heißt es in dem Schriftsatz. Kalifornien sei somit zuständig.

Tylers Anwalt kündigte an, dass der Musiker, mit bürgerlichem Namen Steven Tallarico, zum Prozess erscheinen werde. „Wir sind bereit“, sagte Long-Daniels. „Wir fühlen uns sehr sicher mit diesem Fall.“

Misley hatte zuvor öffentlich über ihre traumatische Familiengeschichte berichtet. Sie fühlte sich von ihren Eltern verlassen und fand Zuflucht in der Rockmusikszene. Nach einem Wohnungsbrand und einer Abtreibung trennte sie sich 1977 von Tyler, heiratete später und wurde Mutter von sieben Kindern.