
Das Glück des Plattensammlers
RS-Kolumnistin Ina Simone Mautz über Platten im Keller und Autogramme von Bruce Springsteen.
Im Haus sind noch mehr Platten, magst du mitkommen?“, fragte ein Mann mit Barry-White-Stimme. Ich dachte daran, wie mir als Kind eingebläut wurde, schnellstens das Weite zu suchen, falls jemand süße Katzenbabys oder ein Miniatur-Disneyland aus Nougatschokolade in Aussicht stellen sollte. Aber es ging ja bloß um Vinyl, und ein anderer Hofflohmarkt-Besucher, nennen wir ihn Thorsten, wurde schließlich auch eingeladen.
Barry White schloss die Haustür auf und deutete wortlos auf die beige geflieste Kellertreppe. Thorsten und ich sollten vorgehen, und mein ungutes Gefühl war sogar noch schneller: Wer wohl in der Tiefkühltruhe lag, auf die wir direkt zusteuerten? Barry ließ ihren Deckel geschlossen und öffnete dafür eine Tür mit „Thriller“-Gruselquietschen.
Ein sonderbarer Anblick bot sich uns: drei Spaghettipackungen und zwei Gläser Pesto Genovese, vollkommen deplatziert inmitten von 6000 Schallplatten! Thorsten und ich konnten unser Glück kaum fassen. Wir wühlten uns durch die Kallax-Regalreihen, und Barrys Schwester rief aus Richtung Tiefkühltruhe aufgeregt: „Aber nicht die Beatles-LPs!“
„Hallo Schatz! Du, es wird später…“
Während Thorsten über Status Quo lästerte, fand ich eine Erstpressung von „Scott 4“, die mich weniger kosten sollte als ein Stück Butter! Ich kaufte sie nicht für meinen Laden Villa Hansa Schallplatten, obwohl die Gewinnmarge enorm gewesen wäre, sondern für meine private Sammlung.
Thorsten schickte eine Sprachmitteilung nach Hause: „Hallo Schatz! Du, es wird später, ich bin hier in einem Keller, äh, mit einer Frau, also, äh, in dem Haus sind ganz viele Platten!“ Die Verwirrung, die Thorsten damit bei seiner Frau stiftete, dürfte der Irritation entsprechen, die sich nach dem Lauschen von Scott Walkers irrem Spätwerk einstellt.
Betörend anstatt verstörend: „Longtime Friend“ von The Wildmans, einem amerikanischen Geschwisterpaar aus den Appalachen – Americana inklusive Fiddle, Mandoline und Heldenhuldigung (Gram-Parsons-Cover!). Mein Stammkunde Konstantin Zobel, bekannt aus der Juli-Kolumne, brachte mir die frisch erschienene Platte zur Ansicht in den Laden. Top-Album!
Arno kam dazu, kaufte Metallica und schwärmte vom Springsteen-Konzert in Frankfurt, von drei Stunden Mitsingen und dabei Rotz-und-Wasser-Heulen, weil er so viel mit diesen Liedern verbindet. Und er berichtete, dass Springsteens politische Ansage immer auch in der jeweiligen Landessprache eingeblendet wird, damit wirklich alle seine Worte verstehen. Zumindest alle, die hinsehen wollen. Das ist ja ohnehin wichtig im Leben: hinsehen wollen.
Ein anderer Kunde, Michael, lauerte Springsteen vor dessen Hotel auf. Der Boss signierte bereitwillig Tonträger, absolvierte Selfies mit Fans und sagte zu jedem: „My pleasure!“ Obwohl das Vergnügen der Autogrammjäger vermutlich ungleich größer war.
Vor demselben Hotel hatte Michael letztes Jahr vergeblich auf Peter Maffay gewartet. Völlig überraschend war stattdessen Dave Stewart erschienen, der zufällig auch in der Gegend konzertiert hatte. Sweet dreams are made of this! Das gemeinsame Foto verriet: Der üppig tätowierte Stewart sieht mittlerweile aus, als
wäre er Mitglied in einer Nu-Metal-Band.
Ob Crazy Town ihn schon als Nachfolger für ihren verstorbenen Frontmann Shifty angefragt haben? Annie Lennox, glücklicherweise quicklebendig, wird auf Dave Stewarts Eurythmics-Konzerten trotzdem von der australischen Sängerin Vanessa Amorosi ersetzt, die vor einem Vierteljahrhundert mal einen Hit hatte („Absolutely Everybody“). Dave und Vanessa waren auch schon bei der „Helene Fischer Show“ zu Gast, YouTube hat den Beweis.
Aber man muss ja auch nicht immer hinsehen wollen.