Lemonheads in Berlin: Can’t beat the Feeling, oder?
Evan Dando und die Lemonheads live: Zwischen Chaos, Charme und Klassikern – Gefühl ersetzt Perfektion und das Publikum singt mit
Von Andi Möller ist die viel verlachte, aber nicht unkluge Weisheit bekannt: „Vom Feeling her hatte ich ein gutes Gefühl“. So muss man die Musik Evan Dandos, Kopf der Lemonheads, verstehen. Feeling und Gefühl sind dasselbe, also addiert sich das, und damit wird das wichtiger als Perfektion. Wer die Lemonheads live sehen will, muss ertragen, dass kein einziger Song auch nur ansatzweise so klingt wie auf Platte. Aber das Gefühl stimmt eben. Die Leute singen mit, was Dando, 58, stimmgeschädigt nach jahrelangem Drogenkonsum, nicht mehr schafft. Das Publikum ist sein Background-Chor. Das Publikum singt auch auch die zweite Gitarre mit, jenen zweiten Gitarristen, den Dando sich unbedingt auf der Bühne zulegen sollte, damit jemand die Parts spielt, die ihm nicht mehr gelingen.
So, wie am Donnerstagabend (11. September) im Berliner Frannz Club. Zirka 400 Leute, rappelvoller Laden, ausverkauft. Stimmung ist gut. Dando ist eine Legende, der „Posterboy des Grunge“, in den Jahren 1992 und 1993 der hotteste Typ neben Kurt und Eddie. „Come on feel the deep End“ heißt nun die Tournee. Ein humorvolles Statement, weil Dando zwar das „Come On Feel“-Album aufführt (abgesehen von der zweiten „Style“-Version und ausgerechnet der grandiosen Survivalist-Fantasie „You Can Take It With You“), aber eben „The Deep End“, die neue Lemonheads-Single, genauso wenig wie auch nur einen einzigen Song des neuen Albums „Love Chant“. So etwas – also das Album-Motto der Konzertreise voranstellen und dann das Album komplett ignorieren – hatten sonst eigentlich nur Kiss gewagt.
„Come on Feel“ von 1993 hat einige Klassiker, „The Great Big No“, „It’s about Time“, „Dawn Can’t Decide“, flankiert werden sie von einem Bassist plus Schlagzeuger, dazu gibt es einige wenige weitere Lemonheads-Songs von „It’s as Shame about Ray“, „Rudderless“, „My Drug Buddy“, „A Bit Part“.
Evan Dando live: Pop-Ikone zwischen Chaos und Charme
Manche sagen, Evan Dando ähnelt zunehmend dem mittlerweile verstorbenen Ozzy Osbourne. Die Tattrigkeit, fahrige Ansagen, die keiner versteht und im besten Fall als Stream of Consciousness gedeutet werden. Aber die Klasse seiner Pop-Songs äußert sich darin, dass sie erkennbar bleiben, selbst wenn live drumherum eigentlich alles fehlt, Dynamik, Stimme, korrekte Töne.
Am Ende seines leider nur einstündigen Auftritts intoniert Dando ein paar Stücke allein auf der Akustikgitarre. „If I Can’t Have You“ der Bee Gees, „How Will I Know“ von Whitney Houston. Sie klingen wie Lemonheads-Lieder. Was alle Seiten ehrt. Dando intoniert auch „Landslide“ von Stevie Nicks. Niemand hat die Verzweiflung, sein Leben nicht aufhalten zu können, egal, wie gesegnet man sich fühlt, oder „im Moment lebt“, besser aufgeschrieben als Nicks: „Time makes you bolder / even children get older / and I ‚m gettin‘ older too“.
Vor 30 Jahren hat Evan Dando gedacht, Zeit spielt keine Rolle. Er wird immer der bleiben, der er gerade ist. Er ist es auch noch irgendwie, man spürt das, aber sein Geist und der Körper seufzen.