The Lemonheads

„It’s A Shame About Ray“ – Gute Laune statt Grunge

Fire (VÖ: 4.3.)

Indie-Folk-Meisterwerk als Jubiläumsausgabe mit Extras

Zum Glück erschien „It’s A Shame About Ray“ im Juni 1992 und nicht früher. 1991 war das von Thurston Moore proklamierte „year that punk broke“, und Nirvana und Pearl Jam regierten über den „Grunge“ getauften neuen Punk-Rock. Er war laut und die Sänger übel gelaunt. Evan Dando nicht. Er kam ein halbes Jahr später und liebte, wenn auch nur für kurze Zeit, das Leben. Optimismus, Zelturlaube, auch Drogen, aber nicht um Dämonen zu bekämpfen, sondern weil es ihm gut ging. Und er liebte Americana. Mit „Brass Buttons“ war auf dem Vorgängeralbum, „Lovey“, bereits ein Tribute an sein Idol Gram Parsons enthalten. Was Dando ausblendete: Parsons ging in die Joshua-Tree-Wüste, nahm eine Überdosis und starb nach der Rückkehr im Hotel.

Die Platte enthält ausschließlich Klassiker

Das fünfte Album der Lemonheads enthält zwölf Songs und dauert 29:48 Minuten, eine Länge irgendwo zwischen James Browns „Live At The Apollo“ und „Surfer Rosa“ von den Pixies. Dieses Selbstbewusstsein muss man sich leisten können. Konnte Dando. Die Platte enthält ausschließlich Klassiker. Top Strophen, top Bridges, top Refrains, top Gitarrensoli, und Song-Enden, die irgendwie zu früh, irgendwie aber auch goldrichtig kamen.

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Das Werk lässt sich auch von hinten nach vorn hören und bleibt genauso gut. Lieder über die Freundin als Crack-Kurier („My Drug Buddy“), die Backstube als Flirtzone („Kitchen“), Fahrt ins Grüne („The Turnpike Down“), ein Song aus dem Musical „Hair“ („Frank Mills“) sowie mit „Hannah & Gabi“ ein Lied, dessen Schönheit sich allein schon durch den Titel erschloss. Nur einmal, in „Bit Part“, lässt Dando sich anschreien, weil er einen anderen Menschen wie Luft behandelt. Die wütende Stimme gehört wahrscheinlich der damaligen Lemonheads-Bassistin Juliana Hatfield.

Dando konnte nicht vom Alternative Rock lassen und doppelte nahezu jede Akustikgitarre mit einer E‑Gitarre

Dando konnte nicht vom Alternative Rock lassen und doppelte nahezu jede Akustikgitarre mit einer E‑Gitarre. Zum Hit wurde das der Zweitauflage hinzugefügte Cover von Simon & Garfunkel, „Mrs. Robinson“. Die Leute liebten den Gassenhauer, aber er brachte es nicht gern live. Auch auf dieser Deluxe-Edition ist es enthalten, wie einige Demoversionen und Outtakes. Der 1993er-Nachfolger, „Come On Feel The Lemonheads“, wäre ebenso prächtig wie „Ray“, enthielte er nur zehn der 15 Songs. Grunge ging, und der Einfluss von Dandos Pop-Folk könnte nicht überschätzt werden.

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Soul Asylum fehlte die Klasse, sie machten aber auch Pop-Folk und hatten noch größeren Erfolg. Mit ihnen ging Dando auf Tour. Danach standen für langhaarige Sänger mit traurigen Augen alle Türen offen. Die Crash Test Dummies, die Rüdiger Hoffmanns der Rockmusik, brachten „Mmm Mmm Mmm Mmm“ heraus. Nach „’74–’75“ von den Connells war man auf Dando fast schon sauer, obwohl er für solche Epigonen nichts konnte – und als Crack-Abhängiger verlor er allmählich die Kraft zum Songwriting.

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Evan Dando hatte gegen seine Druggy-Posterboy-Rolle nichts einzuwenden, auch nichts gegen die anschließende Rolle als gefallener Engel. Aber das Jahr 1993 hinterließ seine Spuren. Bis heute hat er, neben zwei Coverplatten, lediglich drei weitere Studioalben mit Eigenkompositionen veröffentlicht. Ein Comeback-Album hieß „Baby I’m Bored“. Auf der Netzplattform Cameo bietet er personalisierte Grüße aus seiner Garage an, für 176 Dollar. Mit 55 sieht Dando noch so schön aus wie mit 25, vielleicht gibt es deshalb weiterhin Hoffnung, dass noch wenigstens ein einziges gutes Album in ihm steckt. Auf Konzertreise spielt er „It’s A Shame About Ray“ in kompletter Länge. Weil es nur eine halbe Stunde einnimmt. Auch dafür sind kurze – und natürlich perfekte – Alben gut.