Parole Brandi: Die Musikkrise nach Karl Marx

Wie schön wäre die neue Welt eigentlich, wenn beim Streaming-Dienst nur noch die KI musiziert?

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Hier folgt nun endlich die versprochene Folge zum Thema „Die Musikkrise mit Karl Marx gelesen“.

Ich möchte euch im Namen des Gedankenreisebüros „Parole Brandi“ auf eine Fahrt auf kommunistischen Gewässern durch das heutige Musikbusiness mitnehmen. Und zur allgemeinen Unterhaltung ein bisschen Schindluder damit treiben.

Los geht’s.

Wir erinnern uns, Marx hat alles vorhergesagt: Dass der Kapitalist einen Mehrwert schaffen muss, dass der leider nur durch Ausbeutung entstehen kann und damit folgerichtig Kapital immer jemanden braucht, den es ausbeutet.

Was heißt das jetzt für die Musik?

Karl Marx über Taylor Swift

Musik, die Geld bringen soll, muss jemand hören wollen. Eine Frage lautet also schonmal: Was will das Volk? Hierzu gibt es ein schönes Zitat von Marx: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken.“ Heißt: Das Volk will, was es wollen soll. 

Wenn sich der heutige Kapitalismus mit heteronormativen Geschlechterrollen, Reibungsärme und seichter Unterhaltung selbst vor subversiver Kritik schützt, erklärt sich zum Beispiel hiermit, tadaaa, die gesamte Taylor Swift.

Die Herrschenden verbreiten immer die Ideologie, mit der sie sich selbst legitimieren können. Früher hieß es, der König ist von Gott erwählt. Heute lautet die Devise: Jeder kann es schaffen. Beides ist gleichermaßen falsch. Über das mit den Königen will ich hier gar keine Zeit verlieren, aber so viel ist mal klar: Nicht jeder kann es schaffen. Nein, nur die Kapitalist:innen können „es“ schaffen. Und das auch nur, wenn sie beständig Wachstum generieren, also sehenden Auges irgendjemanden dafür ausbeuten. Nur – nicht jeder Mensch auf diesem Planeten ist qua Beruf auch Kapitalist:in. Manche machen zum Beispiel Kunst – in einem ausbeuterischen System.

 „Ein Kapitalist schlägt viele tot.“ (Karl Marx)

Wir erinnern uns an Spotify. Die Plattform zahlt hierzulande ca. 0,003 Euro pro Stream. Um 1.000€ zu verdienen, müsste ein Song etwa 333.333 Mal gestreamt werden. Ein Produkt, das damit fair bezahlt wäre, entstünde dann, wenn ich zum Beispiel zweimal sehr originell in mein Mikrofon spucke. Wenn ich aber Musiker:innen und Produzent:innen bezahle, um etwas aufzunehmen, kann ich unter diesen Bedingungen keinen Überschuss erwirtschaften und bin nach Marx keine materielle Kapitalistin, sondern eher sowas wie eine gescheiterte Kleinproduzentin. Damit sind alle Musiker:innen, die nicht vom Vertrieb ihrer Musik leben und keine Gewinne reinvestieren können im kapitalistischen Sinne gescheitert.

Spotify lockt damit, dass die Plattform die Musik der Künstler:innen bekannt macht, weil sie ja theoretisch jeder dort hören kann. Das wäre bei dieser Sammlung von weit über 100 Millionen Titeln selbst dann Quatsch wenn Spotify nicht selbst Gatekeeper seiner meistgehörten Playlists wäre, die immer öfter von „Ghost Artists“ bevölkert sind, also fiktiven Musiker:innen mit oft oft KI-generiert Tracks in Playlists landen, um Algorithmen zu füttern und Streamingzahlen künstlich zu erhöhen. In Wahrheit liefern und akkumulieren lediglich die Stars (und jetzt noch die KI) das Kapital, der Rest geht mehr oder leer aus und wird unfreiwillig ausgebeutet – wie in jeder anderen gottverdammten Branche auch.

Alles hat ein Ende

Das Ende vom Lied sieht laut Marx übrigens so aus: Der Kapitalist ist gezwungen, immer mehr und mehr Kapital zu erwirtschaften, er muss systembedingt seine Preise erhöhen und seine Produktionsmittel verbilligen, weil er sonst von der Konkurrenz abgehängt wird. „Der

Kapitalismus erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes, seine eigenen Negation“

Erinnern wir uns: Stagnation im Kapitalismus ist der Anfang von Insolvenz! Wachstum ist die Maxime! Die Schere Arm-Reich muss also immer weiter auseinandergehen, bis niemand mehr das nötige Kleingeld für die Konsumgüter hat, nicht mal für ein Spotify-Abo, und selbst Elon Musk auf allem, was er jemals produziert hat, sitzenbleibt. Ein gruseliges Szenario, aber laut Marx ist das unabwendbar.

Wenigstens im Bereich der Musik könnten wir den Prozess ein bisschen beschleunigen. Ich bin dafür, dass wir einfach ganz von den Plattformen verschwinden und es auf Spotify demnächst einfach nur noch KI-generierte Musik zu hören gibt, die soll ja ganz schön sein. Wenn dieser Konzern so viele Musiker:innen schon monetär übergeht, soll er uns doch gleich ganz durch die Maschine ersetzen. Wenn Marx Recht hatte, verreckt Spotify zusammen mit den anderen Konzernen irgendwann an seiner eigenen Logik.

 „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ (Karl Marx)

Bevor aber alles in einer globalen Katastrophe von selbst implodiert, schlägt Marx Revolte vor.

Der Ausweg aus unserer Misere wäre eine Umkehrung des Satzes „Jeder kann es schaffen“: Nein: Nur „alle zusammen können es schaffen“. Und zwar dann, wenn sich die Mehrheit der Musiker:innen zusammenschließen und für die gemeinsame Sache gerade machen würde. Wenn wir dafür kämpfen würden, unsere Vertriebe zu dezentralisieren, ohne unseren Rezipient:innen gegenüber undemokratisch zu werden. Nicht umsonst hat Marx die Arbeiter aller Länder zur Vereinigung aufgerufen, weil da schon Wumms hinter sein muss, wenn so ein fettes System ins Wanken geraten soll.

Auf der Habenseite hätten wir Musikschaffende so vieles, was es für eine proletarische Vereinigung braucht: Betroffenheit, Fantasie, Überzeugungskraft, Sendungsbewusstsein und die Fähigkeit zur Solidarität. Wahrscheinlich fehlt uns zum Erfolg bloß noch ein alternatives, nachhaltiges Geschäftsmodell und die Entschlossenheit, alles dann auf diese Karte zu setzen. Jenes Modell kann ich euch aber jetzt ad hoc auch nicht so aus dem Stand liefern, dieses konkrete Problem übergeben wir dann demnächst ein paar eifrigen Ökonomen.

Wenn wir mal endlich begreifen würden, dass wir in dieser Kette schamlos übergangen werden und unsere Arbeit, die unzählige Stunden Zuwendung, Recherche, Handwerk und Hingabe erfordert, Konzernen wie Spotify quasi schenken, könnte daraus die längst überfällige Empörung erwachsen. Eine Demo aus lauter verschwitzten Stars in den Straßen von New York, London, Berlin… ich werd ja wohl noch träumen dürfen.

Nachbemerkung

Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis geht, wie viele andere, schon einen Schritt weiter und sagt, wir sitzen längst in etwas neuem, in einem sogenannten „Technofeudalismus“, da alles durch digitales „Cloud-Capital“ ersetzt wurde, welches uns durch die Hände weniger regiert. Dennoch sind die Grundzüge des Kapitalismus, so wie Marx ihn verstanden hat, auch heute noch auf unsere Welt anwendbar.

Charlotte Brandi schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.