Zum Tod von David Lynch: Der Architekt unserer Albträume
Von „Eraserhead“ bis „Twin Peaks“ schuf David Lynch ein kühnes Werk düster-surrealer Filmpoesie.
David Lynch rauchte ununterbrochen Zigaretten, meistens rote Marlboros. Das bemerkte Schriftsteller David Foster Wallace, als er für eine Zeitschrift einen Essay über die Dreharbeiten von „Lost Highway“ verfasste und dafür zu Besuch am Set war. Manchmal, so Wallace, zündete Lynch sogar eine Zigarette an, während er noch eine im Mund hatte. Dieses endlose Rauchen trug zu seinem intensiven, fast manischen kreativen Auftreten bei, befand der Autor beeindruckt.
Man könnte das in so viele Bereiche von der Malerei über die Musik bis zur Fotografie reichende Künstlerleben David Lynchs allein über seine Leidenschaft für Tabak, Kaffee und Milchshakes erklären. Mindestens die Abhängigkeit von Nikotin brachte ihn am Ende seines Lebens an körperliche Grenzen. Erst im vergangenen Jahr machte Lynch öffentlich, an einem Lungenemphysem zu leiden. Schon ein paar Meter laufen war ihm kaum mehr möglich. Immerhin konnte er noch etwas Musik machen. Daran klammerte er sich, auch an die Vorstellung, von zuhause aus einen Film zu machen. Man wünschte sich das, glaubte es ihm. Warum nicht noch eine Erweiterung von „Twin Peaks“? Wenigstens einige Ideen, denn die waren Lynch immer wichtiger als das, was aus ihnen wurde.
„Twin Peaks“ beschließt das filmische Werk von David Lynch
Es ist nicht so gekommen – und damit ist „Twin Peaks – The Return“, die Fortsetzung, das Wiedersehen, die Neuausrichtung, die alle Themenfelder seines Werks anschneidende dritte Staffel der epochalen Serie, die 1990 Millionen nach dem Mörder von Laura Palmer fahnden ließ, sein Vermächtnis. Schaut man sich auch nur eine Folge noch einmal an, dann wird sofort klar, dass auch Lynch das so sah. All die Motive, die in seinen Filmen, Bildern, öffentlich geäußerten Gedanken auftauchten, verbanden sich hier zu einer dunklen Orkan.

Düster sind fast alle Stoffe David Lynchs, von seinem ersten, noch stark an Francis Bacon orientierten Kurzfilm „Six Men Getting Sick“ bis zur kryptischen Filminstallation „Inland Empire“. Und sie sind kaum verständlich. Lynch liebte Geheimnisse, verriet er einmal in einem Interview. Das erste davon platzierte er gleich in sein Debüt „Eraserhead“. Jahrelang arbeitet der Kunsthochschüler ruhelos an seiner Vision eines Ortes fernab unserer Zeit, in dem ein junger Mann plötzlich Vater und damit fast wahnsinnig wird. Natürlich ist das ein Künstlertyp, verzagt und doch kaum berührt von den Dingen, die um ihn herum passieren. Aber das, was ihn und auch das Publikum beschäftigt, ist die außerirdisch anmutende Kreatur, dieses winselnde, kreischende Albtraumwesen, das er angeblich in die Welt gesetzt hat.
Die Kraft der Geheimnisse
Lynch klärte nie auf, was er für seine seltsame Brut verwendete. Manche mutmaßten, es war der Kopf eines Kalbes. Aber genau darum geht es, wenn man einen Film dieses letzten großen Surrealisten sieht: Nicht mehr nach Begriffen für das Gezeigte und Gehörte suchen, sich stattdessen mit Haut und Haaren einlassen auf die Bilder und Töne. Lynch kämpfte, einem Schausteller gleich, für die Magie des Spektakels – nur dass es bei ihm einem Gang in eine andere Welt gleicht, in der die Regeln des Unbewussten den Ton angeben.

Manche wunderten sich über die zutiefst humanistische Botschaft von „Der Elefantenmensch“ oder „The Straight Story“, obwohl doch fast alle Filme und Bilder von Lynch albtraumhaft erscheinen. Der Regisseur schwärmte oft von seiner idyllischen Kindheit in Montana und war als Botschafter und Praktizierender der Transzendentalen Meditation überzeugt davon, dass ein spiritueller Zugang zu sich selbst und der Welt um uns von großer Bedeutung ist. Auch um kreativ zu sein.
Aber warum all diese Szenen des Grauens? Gewalt und Sex muten in „Blue Velvet“ und „Lost Highway“ fremder an als sonst im Kino. Der Regisseur hat heftige Szenen der Brutalität und Zerstörung gedreht. In „Wild At Heart“ zermatscht der von Nicolas Cage gespielte Sailor einen Mann. Willem Dafoe schießt sich später als Bobby Peru selbst grotesk die Rübe weg. Aber in Lynchs Filmen geht es ebenso sinnlich zu. Er sei auch Künstler geworden, weil er lange Zeit nicht verstand, was es mit dem Sex auf sich hat, erklärte Lynch einmal. Es sei das große Geheimnis, das allen anderen Geheimnissen vorausgeht. Die Pointe, die Lynch Hitchcock entlieh: Um der Lust näher zu kommen, muss der Unschuldige zum Voyeur werden.
Lynchs Filme sind Traumgemälde
Natürlich kann man „Mulholland Drive“, diese große Verneigung vor der Schauderkraft des Kinos, lesen wie einen Traum. Aber es ist eben nicht nur das Nachtschauspiel gemeint, sondern auch Hollywood als Fabrik der Träume. Lynch ließ beide Träume wie entfesselt aufeinander los. Er öffnete, auch in all seinen anderen Filmen, die Tür zu verborgenen Sehnsüchten und nahm die Gesetzmäßigkeiten, ja das Wesen des Kinos als Imaginationsmaschine so ernst wie sonst kein anderer Filmemacher.

Unheimlich und absurd sind seine Bildschöpfungen, so einzigartig, dass man Situationen, die einem Film von David Lynch gleichen, mit einem Adjektiv versieht. Lynchian. Lynchesk. Die Parallele zu Franz Kafka trügt nicht. Auch Lynchs Filme sind manchmal kafkaesk; der Prager Schriftsteller war auch eine der Inspirationen seines Werks. Lynch wollte sogar einmal die „Verwandlung“ verfilmen, verstand dann aber, dass es einen Grund hatte, warum Kafka alle Illustrationen seines Käferwesens verbot. Ein Geheimnis ist zu bewahren, sonst zersetzt sich die Kunst.
Lynch, der in Gesprächen nie auch nur einen seiner Filme interpretierte, zeigte immer offen, was ihn faszinierte. Die roten Schuhe von Dorothy aus „Wizard Of Oz“. Francis Bacon. René Magritte. Zigaretten. Kaffee. Fabriken. Philadelphia (wo Lynch zum Mann reifte, erste Schritte als Künstler unternahm). Verstümmelungen. Verstorbene Lebewesen (angeblich hatte der Regisseur eine eigene Sammlung von eingelegten Tierkadavern). Man kann regelrecht nach Spuren seiner Lieblingsfilme suchen: Billy Wilders „Sunset Boulevard“, Federico Fellinis „8 1/2“, Ingmar Bergmans „Persona“.
Meditative Ruhe am Set
Grausam und verwirrend mögen seine Filme sein, doch Lynch war am Set kein Berserker, kein Perfektionist. Während der Dreharbeiten war es oft bizarr ruhig, egal was gedreht wurde. Lynch setzte auf Improvisation, schuf eine beinahe meditative Arbeitsweise, die sich von der hektischen Energie anderer Filmsets stark unterschied. Man sieht es in der mehrstündigen Dokumentation, die der dritten Staffel von „Twin Peaks – The Return“ auf Blu-ray angefügt ist. Lief es anders, wie etwa bei der komplizierten Arbeit an „Dune – Der Wüstenplanet“, geriet Lynchs Vision ins Stottern. Die literarische Vorlage war zu mächtig. Kaum zu glauben, dass der Regisseur für „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ im Gespräch gewesen war.

Im Laufe seiner fast 50 Jahre umfassenden Karriere als mehrfach begabter Künstler gelang es Lynch, in fast jedem Jahrzehnt eine sodann ikonisch gewordene Arbeit vorzulegen. Das ist nur den wenigsten gelungen. Mehr noch aber erreichte er es, jenes Gefühl des Unheimlichen – und das gilt auch für die geradezu unwirkliche Versöhnlichkeit und Ruhe in „The Straight Story“ – in eigentlich all seinen Schöpfungen zu wahren. Auch in schrägen Möbeln, die er selbst entwarf.
„It’s A Strange World“
„It’s A Strange World“ sagt der von Kyle MacLachlan gespielte Jeffrey Beaumont in „Blue Velvet“. MacLachlan war so etwas wie die spielende Lynch-Instanz in seinen Filmen, hier richtete er sich stellvertretend für den Regisseur ans Publikum. Seht her, dies ist meine Welt. Es ist eine surreale Welt. Für Lynch war dann auch das Absurde oder Unheimliche nicht etwas, das man künstlich hinzufügt, sondern etwas, das bereits in der Realität vorhanden ist und nur entdeckt werden muss. Natürlich ist das auch unsere Welt, und die Kraft seiner Bilder lebt davon, dass wir es erst einmal nicht wahrnehmen wollen.
Als in „Eraserhead“ die Hölle aufbricht, da schenkt eine kleine, deformiert erscheinende Frau, die zwischen den Rohren einer Heizung lebt, dem Protagonisten eine letzte Hoffnung. Unbekümmert singt sie „In Heaven Everything Is Fine“. David Lynch zeigte uns alle Schattierungen des Bösen, weil das Gute erst wirken kann, wenn die Nacht vorüber zieht.
David Lynch verstarb am 16. Januar 2025, vier Tage vor seinem 79. Geburtstag. Er hinterlässt zwei Töchter, zwei Söhne und den Zugang zu einer Welt, deren Abgründe man nicht verstehen kann – dafür aber auf perverse Art genießen.