Review: „Twin Peaks“, Staffel 3, Folge 17 + 18: We live inside a dream

„Twin Peaks: The Return“ liefert zum Schluss ein surrealistisches Feuerwerk, BOB geht es an den Kragen und Laura Palmer bekommt noch einmal ihren ganz großen Auftritt.

Schluss. Aus. Ende. „Twin Peaks“ gibt es nicht mehr. Nur ein Narr würde noch an eine weitere Staffel glauben. Weil er oder sie die Hoffnung hat, dass sich von all den vielen Geschichten, welche die Showrunner David Lynch und Mark Frost mit ihrer „limited event series“ angeschnitten haben, doch noch einige zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügen.

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Wer die neue Season von Anfang an gesehen hat, dürfte nun, da die letzten beiden Folgen 17 und 18 am Stück von Showtime (in Deutschland in der Originalfassung bei Sky, ab Donnerstag in der deutschen Übersetzung) gezeigt worden sind, nicht überrascht sein, dass sich viele Geheimnisse nicht klären lassen. Dafür gab es einfach zu viele, die sich in der Serie ganz selbstverständlich entwickelt hatten. Manche 25 Jahre alt („Judy“), andere erst mit den neuen Episoden hinzugekommen.

Viele Rätsel bleiben ungelöst

Man nehme nur eines als Beispiel von vielen: Audreys (Sherilyn Fenn) erschrockener Blick in einen Spiegel bleibt ein Bild, das für sich steht. Es findet keine Klärung in den letzten beiden Folgen statt. Dafür bleiben Eindrücke haften, die noch viel stärker sind als all die Marotten der zahlreichen Figuren: Laura Palmer (Sheryl Lee), wie sie markerschütternd in den längst rabenschwarz gewordenen Bildschirm hineinschreit und schließlich Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) etwas ins Ohr flüstert. Alles, was wir in 18 Stunden „Twin Peaks: The Return“ gesehen haben, lässt sich auf dieses Bild des Flüsterns und jenen unendlich lauten Schmerzausstoß beziehen.

Doch über diese Bilder hinaus, die ja schon die ersten beiden Staffeln und den Film „Fire Walk With Me“ beherrschten, bleibt ein Finale, wie es denkwürdiger, expressiver, actionreicher, rätselhafter und schließlich auch versöhnlicher nicht sein könnte. Es startet mit der schon erahnten Konfrontation in Twin Peaks…

Während FBI-Vize Gordon Cole (David Lynch) seine Mitstreiter Tamara Preston (Chrysta Belle) und Albert Rosenfield (Miguel Ferrer) über die konkrete Existenzweise von Agent Dale Cooper/Mr. Cooper/Dougie aufklärt und von der gewaltigen Unheilskraft schwadroniert, die einst Major Briggs (Don S. Davis) entdeckt hat, machen sie sich auf den Weg nach Twin Peaks – wie auch der böse Cooper (Kyle MacLachlan). Zunächst findet er im Wald den Eingang zur White Lodge (?) und trifft dort den Riesen und eine bizarre Projektion des Kopfes von Major Briggs. Wieder erinnert Lynch an sein malerisches Frühwerk, wie es in seinen ersten Kurzfilmen zum Einsatz kam, in dem zum Beispiel in „The Grandmother“ bestimmte psychologische Vorgänge symbolisiert wurden durch pflanzenähnliche Maschinen, die etwas in den Gang bringen. Hier wird Mr. C. wie von Zauberhand vor das Sheriff’s Department in Twin Peaks transportiert.

BOB wird vernichtet – oder doch nicht?

Dort wird er von Deputy Andy (Harry Goaz) freudig empfangen, findet sich schließlich bei Sheriff Truman (Robert Forster) im Büro wieder. Doch als dieser überraschend einen Anruf von Agent Dale Cooper erhält, der gerade mit den Mitchum-Brüdern unterwegs nach Twin Peaks ist, eskaliert die Lage: Mr. C zieht eine Waffe, doch die geistesgegenwärtige Lucy (Kimmy Robertson) ist schneller und offenbar geübte Schützin. Mittlerweile sind der gute Cooper und auch Cole, Tammy und Albert anwesend. Das große Finale kann beginnen – und darin spielt, wie er es selbst vor einigen Folgen vorausgesagt hat, Freddy Sykes (Jake Wardle) mit seinem grünen Handschuh eine Rolle.

Der inhaftierte Sicherheitsmann konnte sich befreien, nachdem sich der ebenfalls hinter Gitter sitzende Deputy Chad Broxford (John Pirruccello) mit einem Geheimschlüssel einen Ausweg gesucht hat (warum er das allerdings nicht schon früher getan hat, bleibt schleierhaft). Als er Andy bemerkt, zückt er eine Waffe – und hier kommt Freddy ins Spiel. Er boxt Tür und Deputy hinfort. Die freigekommenen Insassen sprinten zum Ort des Geschehens im Büro des Sheriffs. Hier sind bereits die Woodmen am Werk, um den erschoseenen Mr. C. wieder zu „flicken“. Doch aus dem bösen Cooper tritt eine merkwürdige Kugel aus, in der sich BOB befindet. Das Böse greift an, zunächst Cooper (was nichts bringt) und dann den mutigen Freddy. Dessen Comicwunderwaffe verfehlt auch hier ihre Wirkung nicht und zerstört BOB wohl für immer.

Man darf Lynch hier gerne vorhalten, dass es doch eigenartig ist, eine solche diabolische Urkraft ins Spiel zu bringen, ihre Entstehung sogar aus der Explosion der ersten Atombombe herzuleiten, um sie dann mit einem solchen Slapstick-Effekt zu erledigen. Aber es passt zu jenem absurden Humor, der sich eben nicht nur in den heiteren Momenten der verschrobenen Kleinstadtbewohner offenbart, sondern auch solchen monströsen Szenen Ernsthaftigkeit entzieht. „Twin Peaks“ ist eben kein „Game Of Thrones“ und schon gar keine gewöhnliche Serie.

„Now, some things will change“

Deshalb beginnt das große Rätsel auch erst, nachdem das Böse ausgeschaltet ist! „Now, some things will change“, sagt Cooper und lässt sich den Schlüssel zum Zimmer im Northern Hotel von Truman reichen, wo sich die Gruppe später blitzlichtgeleitet hinbeamen lässt. Und es ändern sich tatsächlich einige Dinge. Als Naido (Nae) näher tritt und Cooper sie berührt, bricht ihr Gesicht entzwei und sie verwandelt sich über den Red Room in die nun rothaarige Diane (Laura Dern). Sie und Cooper küssen sich. Ein Lynch-Moment schon deswegen, weil der Regisseur hier mit MacLachlan und Dern das Traumpaar aus „Blue Velvet“ ganz bewusst wieder zusammenbringt, um es schließlich später, in Folge 18, zum TRAUM-Paar werden zu lassen. Wie passend, dass wir noch einmal das Mantra der Serie hören: „We live inside a dream“.

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Im Great Northern wartet hinter dem Zimmer mit der Nummer 315 schon MIKE, der Einarmige (Al Strobel), auf Cooper. Er erzählt noch einmal das berühmte „Fire Walk With Me“-Poem, führt den FBI-Agenten dann zu Phillip Jeffries. Aber leider hat der sich inzwischen immer noch nicht zu David Bowie verwandelt. Es wäre zu schön gewesen. Stattdessen gibt es erneut Teedampf-Hinweise, wo Cooper Judy finden kann, nach ein paar Rauten eine Unendlichkeits-Acht mit einem deutlichen Punkt darin. Ein Hinweis auf die alle Ereignisse bindende „Electricity“ sorgt für den erstaunlichen Übergang, den die Serie nun zum Schluss hinlegt.

Denn Cooper erhält tatsächlich die Möglichkeit, die letzten Stunden im Leben Laura Palmers doch noch zu ergründen. Wie ein Geist versteckt er sich im Wald, in der wir eine (geschnittene) Szene aus „Fire Walk With Me“ in Schwarz-Weiß sehen. Was für ein erhabener Moment! Laura Palmer unterwegs mit James Hurley (James Marshall), im Wald voller Angst. Und Lust. Doch die zerrinnt schnell, als sie Cooper sieht und in dem Moment der Erkenntnis zum ersten und in der Folge nicht zum letzten Mal schreit, als würde ihr die Seele aus dem Leib geschnitten. Als sie Cooper schließlich ganz leibhaftig begegnet, sagt sie: „I have seen you in a dream“. Wie wahr. Cooper versichert Laura, sie nun nachhause zu bringen. Und nach den Sequenzen aus dem Prequel-Film gibt es nun auch die ersten Szenen aus dem Pilotfilm von „Twin Peaks“ zu sehen. Josie Packard schminkt sich. Pete Martell (Jack Nance) geht zum Angeln. Alles, wie wir es kennen und lieben gelernt haben.  Lynch widmet Nance, seinem Freund, der für ihn schon in „Eraserhead“ zum alter ego geworden war, die vollständige Folge. Die Leiche von Laura, wrapped in plastic, ist allerdings fort. Ist der Schrecken nun verschwunden, hat er Twin Peaks verlassen? „Now some things will change.“

Was ist mit Laura?

Cooper, der mit Laura Hand in Hand durch den dunklen Wald geht, verliert sie plötzlich doch noch. Wo ist sie hin? Wenn sie nicht mehr gestorben ist, als heller Geist nicht mehr durch Twin Peaks spukt, weil sie befreit wurde, nachhause durfte (wo immer das ist), dann kann sie auch in den Träumen nicht mehr existieren. Doch das Grauen ist nicht fort (so wie es in den Filmen von Lynch nie gänzlich verschwindet; man denke an die bewusst idyllisch gehaltene Abschlusssequenz von „Blue Velvet“, in dem das Rotkehlchen einen Käfer im Schnabel hat): Wir sehen das Haus der Palmers, die Kamera steht immer noch dort, wo sie Sarah Palmer (Grace Zabriskie) zuletzt trinkend vor dem Fernseher mit Dauerschleife-Programm zurückgelassen hat.

Wie von Sinnen nimmt sie sich das Bild von Laura als Abschlussballkönigin (die Ikone der Serie) und zerstört es. Den Schwanengesang darf Julee Cruise hinlegen, die erneut (aber doch reichlich kurz) „The World Spins“ singt. Jenen Song, den wir schon in der 14. Folge in der zweiten Staffel im Roadhouse hören durften. „Love/Don’t go away/Come back this way/Come back and stay/Forever and ever/The world spins.“ Ein versöhnlicher Moment? Die Sängerin sieht es nicht so. Auf Facebook schimpfte sie, wie „Imperator“ David Lynch mit ihrem Vermächtnis und überhaupt mit dem Erbe „Twin Peaks“‘ umgegangen sei.

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Episode 18 könnte Wasser auf ihre Mühlen sein. So wie die vorletzte Episode möglichst viele WTF-Momente aneinanderreihte und damit für ein atemloses Endspiel sorgte, sind die letzten 60 Minuten als eine Art rätselhafter Epilog zu verstehen. Noch einmal gibt es Berührendes: Cooper kehrt zurück zu seiner Familie, zu Janey-E (Naomi Watts) und Sonny Jim (Pierce Gagnon). Mr. C. verbrennt hingegen bei lebendigem Leibe wie Beelzebub im Red Room. Doch Agent Dale Cooper bekommt in der Lodge auch einen Auftrag von Leland Palmer (Ray Wise): „Find Laura!“ Doch bevor dies möglich ist, sehen wir Cooper, der hier wirklich wie die Vereinigung seines hellen und dunklen Ichs wirkt, erst einmal unterwegs mit Diane entlang einer Wegstrecke, die wir nun schon so oft gesehen haben – mit all den Elektroleitern und karger Aussicht. Beide gelangen in ein Motel, wo es zwischen ihnen zu einem gleichsam zärtlichen wie unendlich traurigen Stelldichein kommt. Wir wissen aus zahlreichen Lynch-Filmen, dass dies oft der Übergang in eine neue Dimension ist. Laura Derns Gesicht, zwischen Lust und Verzweiflung, Freude und Traurigkeit hin und her pendelnd, erinnert in dieser Szene sehr an das von Lula in „Wild At Heart“. Dazu gibt es „My Prayer“ von den Platters zu hören.

Doch am nächsten Tag erwacht Cooper alleine, findet einen Zettel, auf dem eine Nachricht von Linda an Richard geschrieben steht. Es sind die Namen, von denen der Riese Cooper bereits in der ersten Folge der neuen Staffel warnte. In welcher Zeitzone, an welchem Ort befinden wir uns eigentlich? Welche Dimension wird uns hier verkauft? Odessa! Und Cooper findet sich in einem Diner ein, das ausgerechnet Judy’s Coffee Shop heißt. Eine Traumverschiebung wie bei „Mulholland Drive“? Nach einem kleinen Konflikt mit ein paar Cowboys (warum gibt es im Lynch-Kosmos eigentlich kaum ein einziges Restaurant, in denen Frauen vor der Gewalt von gesichtslosen Kerlen verschont bleiben?) versucht der FBI-Agent hier die Adresse einer Bedienung herauszufinden. Es stellt sich heraus, dass es jener Ort ist, den wir schon mehrfach in der Serie gesehen haben, mit dem Strommast mit der Nummer sechs.

Neue Bewohner im Palmer-Haus

Dort wohnt tatsächlich Laura Palmer. Jedenfalls scheint es so. Die Dame gibt sich als Carrie Page zu erkennen, hat eine Leiche in ihrem Zimmer und ist trotz Verwirrung über Coopers Angebot, sie nach Twin Peaks in ihre Heimat zu bringen, irgendwann einverstanden. Nach einer nahezu unendlich lange andauernden Fahrt durch die Nacht erreichen beide Twin Peaks, das wie ausgestorben wirkt. Als sie an der Tür der Palmers klingen, öffnet aber nicht Sarah Palmer die Tür, so wie es zu erwarten wäre. Stattdessen steht dort Alice Tremond, die das Haus von einer Mrs. Chalfont gekauft haben will.

Noch einmal ein Leckerbissen für „Twin Peaks“-Fans, die in den letzten 120 Minuten wahrlich keinen fan service geboten bekommen haben, dafür aber viele erhellende Momente. Tremond/Chalfont, eine alte Dame, saß in „Fire Walk With Me“ in dem Tankstellen-Zimmer, in dem BOB, die Woodmen und natürlich auch der Jumping Man verkehrten, auf einem dreckigen, alten Sofa. Allerdings ist die noch viel schönere Pointe, dass Alice Tremond von Mary Reber gespielt wird. Der Frau gehört inzwischen das Anwesen, das ursprünglich für die Dreharbeiten von „Twin Peaks“ für das Haus von Laura und ihren Eltern verwendet wurde.

Ein modernes Meisterwerk

Kehrt nun auch die Realität zurück? Überholt sie das, was in den letzten 18 Stunden „Twin Peaks“ eine ganz eigene, fiktionale, zwischen Traum und Albtraum hin und her wiegende Realität ausmachte? Oder zeigt uns Lynch, dass das Unheil auch dann nicht verschwindet, wenn selbst die Scharniere von Raum und Zeit verbogen werden? Cooper fragt, als Laura und er schon gehen wollen: „What year is it?“. Eine verzerrte Stimme sagt „Laura!“ – und wir hören sie noch einmal schmerzverkrümmt schreien. Ein Schrei, den Zuschauer dieser erstaunlichen Staffel, die aufregender und auch besser war als die ursprünglichen zwei in den 90ern, nicht mehr vergessen werden.

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Noch einmal wispert Laura Palmer Agent Dale Cooper etwas ins Ohr. Und wir begreifen, dass die Rückkehr, von der „Twin Peaks“ erzählt – die wesentlich mehr umfasst, als es das Wort zunächst vermuten lässt -, eben keine Rückkehr zu einem harmonischen Urzustand, zum Paradies des Kirschkuchen und verdammt guten Kaffee anbetenden „Twin Peaks“ ist.

Die Angst triumphiert, das Böse findet immer einen Weg, auch wenn der gute Ritter das Mädchen vor dem Unheil bewahren will. David Lynch hat „Fire Walk With Me“, diesen so lange gescholtenen Film, den viele Fans der Serie ihm nie verziehen haben, ein Denkmal gesetzt. Wohl auch weil er die dunklen Mächte, die darin wüten, ernster genommen hat als jene mit inszenatorischem Süßstoff verlängerten Szenen, die „Twin Peaks“ einst zur Kultserie machten. Ein düsteres, hochkomplexes Märchen in Überlänge, das unbedingt ein zweites Mal gesehen werden will.

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