Diane Keaton: Keine Närrin, sondern eine Ikone des New Hollywood
Ein Nachruf auf Diane Keaton – die charmante, eigenwillige und mutige Ikone, die das Kino der 1970er Jahre prägte.
Wenn wir an das amerikanische Kino der 1970er Jahre denken – jene gefeierte Ära des New Hollywood, als Studios Risiken eingingen und junge Regisseure alle Regeln brachen –, kommen uns Namen wie Jack Nicholson, Al Pacino, Gene Hackman und Warren Beatty in den Sinn.
Ein Name, der vielleicht weniger offensichtlich erscheint, aber auf dieser Liste stehen sollte: Diane Keaton. Die Oscarpreisträgerin, die am Samstag im Alter von 79 Jahren starb, begeisterte das Publikum später mit Komödienhits wie „Baby Boom“, „Vater der Braut“ und „Was das Herz begehrt“.
Doch das Herz ihrer Größe – und die ganze Bandbreite ihres Talents – zeigt sich in den unglaublichen Filmen der Siebziger, selbst wenn ihre Figuren nicht im Mittelpunkt standen.
Die moralische Stimme des „Paten“
Geboren 1946 in Los Angeles, war Keaton schon früh von der Schauspielerei fasziniert. Ende der 1960er Jahre stand sie erstmals auf der Bühne, bevor sie den Sprung auf die Leinwand wagte – anfangs noch unsicher. Dennoch bleibt ihre erste große Filmrolle eine ihrer bedeutendsten: „Der Pate“ (1972). Außer „Citizen Kane“ gilt kaum ein Werk als so amerikanisch wie dieser Klassiker. Die Geschichte des Mafiaclans Corleone – des alternden Don Vito (Marlon Brando) und seines Sohnes Michael (Al Pacino) – ist legendär, doch die Tragödie des Films spiegelt sich am eindrücklichsten in Keatons Figur Kay wider, die nach und nach begreift, wie Macht ihren Geliebten zerstört.
„Ich habe ‚Der Pate‘ nie wirklich erlebt. Kein einziges Mal. Es war einfach zu überwältigend für mich“, gestand Keaton mehr als 30 Jahre später. „Ich hatte solche Angst. Ich war erst 23 und überhaupt nicht bei mir selbst.“
Man spürt diese Unsicherheit in ihrer Darstellung – sie macht Kays Schicksal umso herzzerreißender. Als naive Frau, die das Gute in den Menschen sucht, wird sie in eine Welt gestoßen, die sie von dieser Illusion befreit. In der berühmten Schlussszene, als Michael die Macht übernimmt und die Tür sich vor Kays Gesicht schließt, bleibt sie ausgeschlossen – moralisch wie emotional. Keaton verlieh der epischen Mafia-Saga ihr Gewissen: Sie war das Symbol für die Anständigkeit, die aus dem amerikanischen Leben verschwand.
Vom Drama zur Komödie: Eine Muse der 1970er
Ihre Mischung aus verletzlicher Aufrichtigkeit und stiller Empörung zeigte sich auch im noch düstereren Der Pate II. Doch bald eroberte Keaton die Komödie: In „Mach’s noch einmal, Sam“ (1972) begann ihre Zusammenarbeit mit Woody Allen, die die Filmkomödie der Siebziger prägte. Keaton spielte alles – von der exzentrischen Society-Dame der Zukunft bis zur Intellektuellen des 19. Jahrhunderts – und verkörperte mit Leichtigkeit, Witz und Spielfreude die ideale Partnerin für Allens neurotische Figuren.
Doch wie Kay im „Paten“ entwickelte sich auch Keatons Leinwandpersona. Als Allens Filme komplexer wurden, wuchsen auch ihre Rollen. „Der Stadtneurotiker“ (1977) – inspiriert von Keatons eigener Biografie (ihr Geburtsname war Hall) – ist ohne sie undenkbar.
Annie Hall: Die Frau, die das Kino veränderte
„Annie Hal“l erzählt nicht nur die Liebesgeschichte eines neurotischen Komikers, sondern auch den Weg einer unsicheren Sängerin zur selbstbewussten Frau, die mehr vom Leben will. Keatons Annie – selbstironisch, charmant, unkonventionell – verkörperte die neu gewonnene Freiheit der Frauen jener Zeit. Sie wurde Ikone, Modevorbild und Symbol weiblicher Selbstbestimmung. Der Film brachte ihr den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Doch Keaton blieb nicht stehen. Nur Monate später spielte sie in „Looking for Mr. Goodbar“ eine Lehrerin, die aus ihrem Alltag ausbricht – ein riskantes, düsteres Porträt weiblicher Sehnsucht. Ihre Figur Theresa, zunächst unscheinbar, wurde zur Symbolfigur weiblicher Verletzlichkeit in einer gefährlichen Welt.
Zwischen Tragödie und Mut
Mit „Innenleben“ (1978), Allens Hommage an Ingmar Bergman, zeigte Keaton ihre dramatische Seite: als zerbrechliche, unterdrückte Schwester, vom Leben fast zermalmt. Kurz darauf glänzte sie in „Manhattan“ (1979) als intelligente, traurige Autorin, gefangen zwischen Sehnsucht und Ernüchterung. Diese Rollen zeichneten ein Bild der 1970er Jahre als Zeit zerschlagener Träume und gebrochener Ideale.
Keatons Schauspiel war direkt und ungeschützt. Sie ließ keine Distanz zwischen sich und ihren Figuren. Wie Joni Mitchell, die „alles gab“, spielte Keaton ohne Schutzmechanismus – ihr Schmerz, ihre Liebe, ihre Widersprüche waren echt.
Eine Karriere voller Unabhängigkeit und Charme
Ihre späteren Filme folgten dieser Linie, „Reds “(1981) mit Warren Beatty, „Crimes of the Heart“ (1986), „Baby Boom“ (1987), „Vater der Braut“ (1991), „Was das Herz begehrt“ (2003) und zuletzt „Book Club“. Immer verkörperte sie starke, eigenwillige Frauen mit Humor und Herz – eine Schauspielerin, die weibliche Komik neu definierte und Klischees sprengte.
Diane Keaton war exzentrisch, aber nie töricht. Liebenswert, aber aus Stahl. Ihr scheinbar leichtes Wesen ließ viele ihre Tiefe übersehen. Doch sie war eine Pionierin, die zeigte, dass „die Freundin“ auf der Leinwand ebenso komplex, widersprüchlich und großartig sein kann wie jeder männliche Held.
Ein amerikanisches Original
Schon 1977 schrieb ROLLING STONE, sie sei „die nächste Katharine Hepburn“. Woody Allen sagte damals: „Sie wurde geboren, um Filmstar zu sein. Sie hat diese echte amerikanische Qualität.“ Doch im Rückblick wird klar: Keaton war keine zweite Hepburn – sie war einzigartig.
Sie vereinte Humor und Verletzlichkeit, Intelligenz und Wärme. Ihr Werk strahlte nie Anstrengung aus, sondern Natürlichkeit. Es gibt keine andere Diane Keaton – und es wird auch keine mehr geben.