Die 10 besten TV-Serien im Herbst und Winter 2016/2017

Einschalten: Dies sind die Top-Serien des Herbstes und Winters

Während die Tage kürzer werden, wird die Liste mit sehenswerten neuen Serien wöchentlich länger. Die meisten davon laufen nicht im traditionellen Fernsehen, sondern bei Streamingdiensten. ROLLING STONE hat die zehn besten Serien ausgesucht.

Texte: David Fear, Birgit Fuß, Gunther Reinhardt & Arne Willander

1. Westworld

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Ein Science-Fiction-Klassiker der 70er-Jahre wird von J. J. Abrams und Jonathan Nolan ins Zeitalter der künstlichen Intelligenz gebeamt – und die Bösen sind diesmal die Menschen, nicht die Roboter. Was passiert, wenn der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind?

Denkt man an den Science-Fiction-Thriller von 1973, denkt man zunächst an Yul Brunner. Im Freizeitpark Westworld, in dem Touristen ­ihre Wildwestfantasien ausleben können, ist er ein künstlicher Revolverheld, der dem Besucher als Kanonenfutter angeboten wird – bis ein Kurzschluss ihn ausrasten lässt. Unvergessen die gespenstische Szene, in der sein kahler Schädel in seine Einzelteile zerfällt und darunter die schmorenden Schaltkreise hervortreten.
Schreiber und Produzent Jonathan Nolan erinnert sich daran, dass er als Kind von diesem Bild und dem gesamten „Westworld“-Szenario tief beeindruckt war. „Ich habe mir regelrecht in die ­Hose gemacht“, sagt er. „Aber wenn ich zurückblicke, wird mir auch zunehmend klar, dass ,Westworld‘ der Vorläufer von Scifi-Filmen war, die heute nicht mehr aus unserer kulturellen DNA wegzudenken sind. Der ,Terminator‘ etwa hat ­eine Menge seiner Gene abbekommen, aber auch Open-World-Games wie ,Grand Theft ­Auto‘ wären ohne diese Vorlage gar nicht denkbar.“

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Als J. J. Abrams ihm und seiner Frau vorschlug, Michael Crichtons Film als TV-Serie zu adaptieren, waren sie sofort Feuer und Flamme, stellten aber eine Bedingung: „Im Film sind die Menschen die Helden“, so Nolan. „Wir fragten uns: Was würde passieren, wenn man die Rollen vertauscht? Was wäre, wenn die Roboter die Guten sind, während die Menschen sich als verkorkste Kreaturen herausstellen? Oder lassen Sie es mich noch anders ausdrücken: ,Interstellar‘ (der Film von 2014, den er zusammen mit seinem Bruder Christopher Nolan schrieb) war eine Art Liebeserklärung an den menschlichen Geist. Die erste Staffel von ,Westworld‘, die ich nun mit meiner Frau, Lisa, abgeschlossen habe, ist das genaue Gegenteil davon.“

Keine Bestrafung für Mord

Diese „Westworld“ (von HBO produziert, zurzeit bei Sky Go und Sky On Demand zu sehen) ist noch immer ein futuristischer Freizeitpark mit perfekten „Gastgebern“, wie die Geschäftsleitung ihre mechanischen Animateure nennt. Noch immer kommen scharenweise betuchte Besucher, die sich einen Stetson ins Gesicht drücken, um für ein Wochenende ihre testosteronbeflügelten Träume auszuleben. Mordfantasien sind ebenso erlaubt wie sexuelle Neigungen, die man im realen Leben lieber unter den Teppich kehrt. Da die Opfer nur menschliche Imitate sind, hat niemand mit einer Bestrafung zu rechnen.

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Und trotzdem drückt man diesmal nicht etwa den herkömmlichen Figuren die Daumen, sondern eher einem weiblichen Roboter (Evan Rachel Wood), der zunehmend Bewusstsein entwickelt und die Machtverhältnisse infrage stellt. Die meisten Menschen hingegen sind moralische Monster oder zumindest äußerst fragwürdige Ehrgeizlinge – allen voran der Creative Director des Parks (Anthony Hopkins), der sich wohl hin und wieder bewusst ist, dass er ein Höllen­szenario geschaffen hat, aber Macht, Ruhm und Geld sind nun mal mächtige Beruhigungsmittel: Wenn die Leute es so wollen, wer wäre er, ihnen diese Möglichkeiten nicht zu geben? Der Programmierer (Jeffrey Wright) versucht indes, die androide Revolution im Keim zu ersticken.

Und dann gibt es da noch den mysteriösen Mann in Schwarz (Ed Harris), der hinter der Fassade des Freizeitparks nach einer anderen, metaphysischen Qualität sucht – und so etwas wie der sporentragende Antichrist von Westworld ist. Die anderen Besucher sind allerdings nicht sehr viel sympathischer – „Westworld“ führt vor, wie sich manche Menschen benehmen würden, wenn ihr Handeln keine Konsequenzen hat, und der Zuschauer hofft von Folge zu Folge mehr, dass es niemals so weit kommen wird, dass so ein Freizeitpark den Menschen tatsächlich jede Rücksichtslosigkeit gestattet.

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Es ist Science-Fiction, ein Western, ein existenzia­listisches Drama und ein intellektueller Albtraum“, sagt Evan Rachel Wood. „Nie in meinem Leben ­habe ich etwas Vergleichbares gelesen oder gesehen – den ursprünglichen Film eingeschlossen. Für die Schauspieler, vor allem für diejenigen von uns, die einen ,Gastgeber‘ spielten, war es ein echte Herausforderung: ,Jetzt simuliere bitte einen Panikanfall! Und dann brauche ich deinen Normalzustand, deinen Computermodus, dann bitte menschliches Atmen und zum Schluss noch eine Szene, in der die Software-­Updates bei dir hochgeladen werden.‘ Sie deckten uns wirklich mit allen nur erdenklichen Bewusstseinsebenen ein. Obendrein bekamen wir unsere Scripts auch erst wenige Tage vor Drehbeginn, sodass wir nie wussten, worum es in der nächsten Folge überhaupt gehen würde.“

Alien meets Terrence Malick

Jeffrey Wright, seit „Boardwalk Empire“ bestimmt nicht zimperlich, hat die Dreharbeiten ebenfalls als extrem in Erinnerung. Erst in letzter Minute seien ihnen die Seiten mit den Dialogen in die Hand gedrückt worden – „worauf die Passagen hektisch diskutiert wurden: ,Hast du auch gelesen, was ich gelesen habe? Was zum Teufel soll das bedeuten? Durch welchen halluzinogenen Reifen sollen wir denn heute springen?‘“

Nicht zuletzt den HBO-Bossen war klar, dass es sich bei der Serie um ein gewagtes Experiment handelt. Man wollte philosophisches Gedankengut mit einem „Game Of Thrones“-würdigen Spektakel vermählen und dabei ein visuelles Ambiente schaffen, das Nolan mit „ ,Alien‘ meets Kubrick meets Terrence Malick“ umschreibt. Es konnte niemanden verwundern, dass ein derart komplexes Projekt mit diversen Kinderkrankheiten zu kämpfen hatte. HBO legte die Produk­tion für mehrere Monate auf Eis, weil die Drehbücher noch verbesserungsfähig seien. Das Projekt schlug auch Wellen, als bizarre Details aus dem Produktionsbüro publik wurden: Die Verträge sahen vor, dass die Komparsen keine Einwände erheben dürfen, sollte es zu „Berührungen von Geschlechtsorganen“ kommen.

Nolan räumt ein, dass es Sand im Getriebe gab, verweist aber auch darauf, dass es sich um eine hochgradig komplizierte Produktion handelt. „Wenn man inhaltlich einen derartigen Drahtseilakt macht und obendrein noch namhafte Schauspieler im Team hat, muss man damit rechnen, dass man etwas genauer unter die Lupe genommen wird.“ Dass die Roboter eine handfeste Orgie gefeiert hätten, kann aber zumindest Evan Rachel Wood nicht bestätigen. „Ich habe von den Gerüchten auch ständig gehört“, sagt sie. „Und jedes Mal dachte ich mir: Mist, warum war ich an den betreffenden Tagen nicht am Set?“

Selbst wenn „Westworld“ 2.0 die Erinnerungen an Yul Brunner nicht ganz auslöschen kann, führt die Serie doch dazu, dass einem klar wird, dass wir nicht nur unsere Position zur künstlichen Intelligenz überdenken, sondern uns auch die Frage stellen sollten, was die Menschheit eigentlich zu einer besonderen Spezies macht. Falls man von dieser Prämisse überhaupt noch ausgehen kann. „Es gab Tage“, so Evan Rachel Wood, „an denen ich wirklich eine existenzielle Krise hatte und mich fragte: Moment mal, bin ich am Ende vielleicht selbst ein Roboter? Als ich mich in dem Piloten sah, lief es mir jedenfalls eiskalt den Rücken herunter. Ich glaube, der Film hat uns alle etwas aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht.“

David Fear

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