Gunter Blank geht trinken: Ruft Absinth wirklich das Böse hervor?

Der Absinth, der hochprozentige wilde Bruder des Wermuts, steht seit Jahrhunderten in dem Ruf, das Böse heraufzubeschwören.

Kaum ein Getränk wurde über die Jahrhunderte so oft geächtet und verboten wie der Absinth, das bittere Gebräu aus dem Jura. In Deutschland darf er erst seit 1998 wieder legal konsumiert werden, im Ursprungsland Schweiz sogar erst seit 2005. In ihm manifestiere sich das Böse schlechthin, es treibe den Trinker in den Wahn und stifte ihn zu Mord und Totschlag an. Zudem ist kein anderes Getränk so mit dem Verworfenen und Verdorbenen konnotiert wie der aus Wermutkraut, Fenchel und Anis destillierte Schnaps.

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Die Absinth-Marke Cabaret Bizarre preist ihr Produkt als „Ausdruck sexueller Freizügigkeit“, man habe „ein dunkles Traumland kreiert, in dem die erstaunlichsten Abenteuer möglich sind“. Kein Wunder, wird der Absinth doch auch von jeher „Die grüne Fee“ genannt, die, seit Baudelaire, Verlaine und Rimbaud sie zur Verführerin stilisiert haben, den Mann in den Untergang zieht. Heute noch weiß man: Wenn einer von „absinthfarbenen Augen“ singt, besingt er eine Femme fatale.

Zwischen 1850 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs war Absinth die Boheme-Droge schlechthin. Nicht nur für die Franzosen – Oscar Wilde, van Gogh, Picasso, alle frönten dem Rausch, den das Nervengift Thujon in Verbindung mit dem Alkohol auslöste.

Von der Pariser Boheme breitete sich die Welle ins Berlin der Weimarer Republik aus, wo vor allem der junge Brecht sich mühte, sich nicht nur zu berauschen, sondern auch literarisches Kapital daraus zu schlagen. Gleich in seinem Frühwerk „Baal“ lässt er in der Mörderballade „Von den Abenteurern“ seinen Protagonisten auf der Suche nach Erlösung „absinthene Meere“ durchqueren. Was ganz nach David Bowies Geschmack war, der den Abenteurer-Song für seine „Baal“-EP einspielte.

Plötzlich wollten alle Absinth

Eine erste 20er-Jahre-Renaissance schwappte im Ost-Berlin der Achtziger durch die Popkultur und mündete
nach der Wende in einen regelrechten Absinth-Craze. Zahllose, zunächst illegale Absinth-Bars schossen aus dem Boden. Scharen von Popstars, von Elvis Costello über Limp Bizkit bis Garbage, gaben sich mit Absinth einen Anstrich von Verruchtheit. Die künstlerisch wertvollste Aneignung war dabei zweifellos 2011 die Lou-Reed-Metallica-Koproduktion „Lulu“, in der die Protagonistin sich mit Absinth betrinkt und mit Opium wieder runterzukommen versucht.

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Aus heutiger Sicht den Tiefpunkt indes bildete die Kooperation eines Schweizer Schlaumeiers und Brennerei-Erben, der mit Marilyn Manson die Marke Mansinthe (Alkoholgehalt: 66,6 %) kreierte, für die der Skandalrocker ein das Etikett zierendes Aquarell beisteuerte.

Was andererseits auch nicht ganz überrascht – immerhin ist der Absinth eine Urschweizer, genauer gesagt Westschweizer Erfindung. Die ansonsten kreuzbraven Gebirgsbewohner beiderseits der Grenze entdeckten schnell die verborgenen Kräfte des von der heilkundigen Madame Henriod um 1770 im Dörfchen Couvet erstmals destillierten Getränks. Und als die Regierungen Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Lieblingsschnaps verboten, mutierten sie zu aufmüpfigen Schwarzbrennern. Besonders tat sich dabei die Bäuerin Berthe „La Malote“ („die Krasse“) Zurbuchen hervor, die ein halbes Jahrhundert zweihundert Liter Absinth pro Woche brannte und, Polizei und Zöllnern zum Hohn, sogar ihr Haus grün anstreichen ließ. Belangt wurde sie dennoch kaum – zu ihren Kunden zählten Staatsanwälte und Bundesräte.


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Und heute? Der Absinth-Hype ist abgeklungen. Dennoch halten sich vor allem im Jura noch Dutzende kleine Brennereien, die, wie Tania Brasseur in ihrer Absinth-Fibel „Reise ins Land der grünen Fee“ berichtet, aus dem Aromenspektrum zwischen Wermut und Anis eine erstaunliche Geschmacksvielfalt hervorkitzeln. Die wiederum ruft zunehmend auch internationale Köche auf den Plan, die den Schnaps zum Verfeinern ihrer Kreationen nutzen.

Konfierte Forelle mit Absinth-Vin-aigrette etwa oder mit Absinth flambierte Garnelen und in Absinthsirup (1 l Wasser, 400 g Zucker, 150 ml Absinth) getränkte Babas mit Waldmeistersahne. Das funktioniert übrigens auch mit Brownies statt mit dem französisch-schweizerischen Nationalgebäck ganz hervorragend.

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