Kritik: Noel Gallagher live in Berlin – Retter der Vergangenheit

Noel Gallagher's High Flying Birds feiern den großen Retro-Sound der Siebziger. Aber auch Oasis-Fans werden beglückt.

Noel Gallagher weiß, wie er Kritiker zum Verstummen bringen kann. Bald zehn Jahre nach Auflösung seiner alten Band wollen sie ja immer noch deren Namen rufen, mal lauter, mal leiser: „Oasis, Oasis!“ Doch der Sänger lässt das nicht zu. Seine Hassliebe zum „Wall of Sound“, nach „Be Here Now“ 1997 verdammt, für „Who Built The Moon?“ wieder errichtet, erfüllt ihren Zweck: Sie ist so laut, dass kein Fan zu hören ist. Zu zehnt stehen die High Flying Birds auf der Bühne der Berliner Max-Schmeling-Halle, mit Bläsern, zwei Keyboards, zwei Gitarren … und die viel diskutierte französische Instrumentalistin, eine Scherenspielerin, ist auch dabei. Die ist zwar nicht laut, macht aber sprachlos, weil Gallagher diese Schnipp-Schnapp-Klangbild-Details auf keinen Fall aufgeben will.

Nach neun Songs und 45 Minuten seines Konzerts rafft er sich zur ersten Ansage auf, es markiert den ersten ruhigen Moment des Abends. Clever. Denn wer im Publikum diese Stille nutzt um „Oasis!“ zu rufen, oder, wie es manche peinliche deutsche Fans tun, die unbedingt wie Engländer klingen wollen, also „Oassesss“ rufen, der bekam dann auch: Oasis. „Once I was in a band …“, sagt Gallagher, und die High Flying Birds legen los, mit „Little By Little“. Cool Britannia kündigt sich an, es fliegen natürlich die ersten halbvollen Bierbecher durch die Gegend, es kommen die „Citeeey“-Rufe, weil Noel-Fans auch Manchester-City-Fans sind, Scheichs hin oder her.

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Zyniker widmen sich bei den Konzerten Gallaghers dem Rechenspiel. Je mehr neue Songs der Ex-Britpopper veröffentlicht, desto weniger Platz in der Setlist bleibt für die Oasis-Klassiker. Das ist eine unfaire Betrachtung, denn sein drittes Soloalbum, eben „Who Built The Moon?“ von 2017, ist auch sein bislang überzeugendstes. Prismen eines Kaleidoskops auf der Leinwand unterstützen den mutigen Retro-Sound der Platte: Cream, Led Zeppelin, Doors, Phil Spector, gelegentlich unterlegt mit Rave-Beats vom Jetztzeit-Produzenten David Holmes. Das ist entstaubte und polierte Psychedelia.

Psychedelia zum Schwelgen

Diese Psychedelia hat live den Vorteil, dass sie gut klingt. Der Nachteil dieser Psychedelia: Es fehlt jener Punch, der einen Song auch zum Hit macht. Die Atmosphäre im Saal ist positiv, aber sie gibt kaum Anreize. Man schweift mit den Tönen ab, aber man selbst geht nicht ab. Die Halle mit 7500 Plätzen ist nicht ausverkauft, große Bereiche auf den Rängen sind abgehangen. Vielleicht ist dies hierzulande für Noel Gallagher’s High Flying Birds die letzte Arena-Tour dieser Größe, auch wenn seine Sounds mehr und mehr in die Breite gehen wollen.

Die Musikwelt hat ihm viel zu verdanken. Ihren ersten Comeback-Song nach drei Jahren Pause, „The Blackout“ von 2017, basierten U2 ziemlich eindeutig auf dessen „In The Heat Of The Moment“. Und mit dem furiosen „Holy Mountain“ brachte er selbst den Plastic-Bertrand-Klassiker „Ca Plane Pour Moi“ ins Gedächtnis zurück, als Quasi-Cover, das das Original übertrumpft.

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Und auch seine Auswahl der Oasis-Stücke ist klug gewählt. Es gibt die heimlichen Lieblingssongs, „Half The World Away“, die Hits („The Importance Of Being Idle“) und die zwei richtig großen Hits, „Wonderwall“ und „Don’t Look Back In Anger“. Die bietet Gallagher, wie zuletzt üblich, mit der gespielten Fahrigkeit dar, wie wir sie von den Lagerfeuer-Version des Ryan Adams kennen.

Höhepunkt ist die vielleicht schönste Oasis-Single, „Go Let It Out“, bei Erscheinen im Jahr 2000 hochgelobt, dann schnell wieder verteufelt, und die nun fast wie ein „Moon“-Stück anmutet. Es ist ja auch alles drin: Die „Give a little bit“-Gitarre von Supertramp, der HipHop-Rhythmus, die Axel-Rose-Trillerpfeife, das Strawberry-Fields-Outro sowie der „Bring On The Bass!“-Bass. Das alles ist bombastisch, und es klingt auch viel harmonischer, als es sich hier vielleicht liest.

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Noel Gallagher wird 51, und seine Tochter Anais ist 18. Mit den High Flying Birds, geschweige denn mit der Musik ihres Vaters hat Anais, die auf Instagram eine Art Model-Karriere verfolgt – Sommerkleid und Springerstiefel, der klassische Festivallook –, nicht viel zu tun. Anais Gallagher darf aber natürlich nicht unerwähnt bleiben, denn sie reist nicht nur mit, sie läuft auch mit ihrer Kamera auf der Bühne rum und knipst, diese Konzertfoto-Praxis hat sie mehr oder weniger exklusiv, das meiste mit Blitzlicht. Die Musiker stört das nicht. Später steht sie mit ihrer Clique gleichaltriger Freunde auf dem Rang. Sie schauen auf ihre Handys, lachen, sie feiern den Alten auf der Bühne, der über sich selbst in Interviews sagt: „Ich höre schon lange keine neue Musik mehr.“ Ob er die nachfolgende Generation noch erreicht?

Seine eigene Musik ist eine Erinnerung an die schöne Kraftwerk-Zeile „Es wird immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen“, und er verknüpft am Ende „Don’t Look Back In Anger“ mit dem Beatles-Klassiker Âll You Need Is Love“. Als wäre alles nur ein Song.

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