Liz Phair und ihr grandioses Debüt „Exile In Guyville“: Zorniger Flirt

Mittelfinger Richtung Männerdomäne! Das war die Haltung, mit der Liz Phair – die heute Geburtstag hat – ihre erste Platte aufnahm. Dafür wagte sie sich auch an einen Heiligen Gral.

Eine Frau zeigt es allen: Das war der Tenor, der Liz Phairs erstaunliches Albumdebüt, „Exile In Guyville“, begleitete. Die Sängerin flüchtete aus dem von ihren Adoptiveltern vorgegebenen bürgerlichen Lebensentwurf in die gut vernetzte Chicagoer Musik­szene, aus der auch die Smashing Pumpkins hervorgingen. Anfangs noch schüchtern, mied Phair vorerst die Bühne und vergrub sich Anfang der 90er-Jahre tief in der Musikgeschichte, um ihren eigenen „Girly Sound“ auf Kassette aufzunehmen. Minimalistisch dahingezupfte Lieder eines Mädchens mit Gitarre, die anmuten wie Tagebuchskizzen.

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Eine dieser Aufnahmen entdeckten eines Tages die Produzenten John Henderson und Brad Wood, die daraufhin versuchten, der Sängerin einen Plattenvertrag zu vermitteln. Wie sollte aber all die Kreativität, die Phair für ihre „Home Recordings“ aus dem Ärmel schüttelte, kanalisiert werden? Weil sie beim Ordnen ihrer Gedanken zufällig auf das Stones-Monument „Exile On Main St.“ stieß, entschied sie sich, mit ihren eigenen Mitteln auf die Lehren (und die Leere) der Männerdomäne Rockmusik zu reagieren.

Genial hingerotzt

Heraus kam ein schwindelerregender, postmoderner Pastiche aus 18 oft rätselhaft anmutenden Stücken, die mit den Songs von „Exile On Main St.“ spielen, sie umdeuten, auseinandernehmen, wieder zusammensetzen oder ihnen den Mittelfinger zeigen. Doch natürlich kann dieser Kontext für den Genuss der von Patsy Cline über Patti Smith bis hin zu ­Joni Mitchell gleichermaßen inspirierten Flut an genial hingerotzten Songs auch getrost vernachlässigt werden. Komplexität regiert: Mal erscheinen die Stücke auf der Platte radiotauglich („Never Said“), mal herrlich obszön („Fuck And Run“) und oft auch brüchig-intim („­Canary“). ­Kritiker und Publikum waren begeistert.

Noch heute begeistert dieses Album voll straffer Lo‑Fi-Stücke, angetrieben von keifendem Zorn und entblößender Ehrlichkeit mit einigen der klügsten Sätze, die je eine Sängerin über die mitunter erdrückende Macht der Adoleszenz verloren hat. Und sie hatte Erfolg damit. Für die introvertierte Liz Phair war der Trubel zu groß. Schon der Nachfolger, „Whip-Smart“ (1994), hatte viel an Authentizität eingebüßt und gerierte sich als hübsch verspielte Pop-Platte ohne rechten Punch. Den haben die in restaurierter Form und bemerkenswerter Fülle zusammengestellten „Girly Sound“-Tapes, die auf „Girly Sound To Guyville“ erstmals in dieser Form zu hören sind.

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