Mark Hollis: Der Mann, der keine Vorbilder brauchte

Er sang aus einem Gestus der Verzweiflung, was man romantisch finden konnte.

Unser Nachruf vom 25. Februar 2019

Ein dünner Mann mit langem Mittelscheitel, die strähnigen Haare fallen über das Gesicht, rechts und links abstehende Ohren, die Augen hinter einer dunklen Nickelbrille. Mark Hollis war kein Popstar, er war das Gegenteil eines Popstars. Ein scheuer Künstler, der sich den Zwängen und Anforderungen der Musikindustrie verweigerte, der auf dem Höhepunkt seines Erfolgs alles aufgab, oder besser: mit einer beispiellosen Konsequenz das tat, worauf er mit seiner Band hingesteuert war, am Ende alleine mit seinem Produzenten und einer Musik des Verschwindens. Nun ist Mark Hollis gestorben.

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Seine Band hieß Talk Talk, nach einem Song, den der Musiker aus London früh geschrieben hatte. Der Song „Talk Talk“ hatte bereits den Ton gesetzt, der Hollis‘ Band einzigartig machen sollte: Ein oberflächlich munterer Synthiepoptrack, unter dessen Hülle Lava floss. Mark Hollis sang aus einem Gestus der Verzweiflung, was man romantisch finden konnte, und seine Plattenfirma glaubte, die junge Band, der außer Hollis der Bassist Paul Webb, Schlagzeuger Lee Harris und Keyboarder Simon Brenner angehörten, prima in die Anfang der 80er-Jahre wogende New-Romantics-Welle einpassen zu können. „The Party’s Over“ hieß ihr erstes Album, ein Statement, das im Getöse seiner Zeitgenossen von Duran Duran und Depeche Mode unterging.

Talk Talk, 1982. Von links nach rechts: Simon Brenner, Mark Hollis, Lee Harris und Paul Webb.

Hollis konnte Hits schreiben. „It’s My Life“, „Such A Shame”, „Dum Dum Girl” – die britische Popmusik der mittleren 80er-Jahre hatte wenig bessere. Und niemand konnte Euphorie und Depression überzeugender verbinden. „Funny, how I find myself in love with you?/ If I could buy my reasoning, I’d pay to lose”, sang Hollis in voller Emphase, „It’s my life/ Don’t you forget/It never ends”.

Das stimmte nicht.

Aber natürlich war 1986, als „The Color Of Spring“, das dritte Album, erschien, nicht absehbar, wie Hollis seine Mitmusiker an den Rand der bekannten Popschemata und darüber hinaus führen würde. „Life’s What You Make It“ ist noch einmal ein unwahrscheinlicher und unwiderstehlicher Aufschrei, von einem kraftvollen Piano-Riff vorangetrieben. Ein verzweifeltes Fest des Lebens, Baby.

Danach zerstörten Mark Hollis und Talk Talk ihre Karriere. „Sprit Of Eden“ wurde 1988 veröffentlicht. Sie hatten sich zu den Aufnahmen in einer Kirche abgeschottet, mehrere Deadlines ihres Labels ignoriert und das Budget weit überzogen. Das Album umfasste sechs Stücke und kannte keine Vorbilder. Zumindest nicht in dem Popkontext, in den es hätte passen sollen. Hollis und der Produzent Tim Friese-Greene, der mehr und mehr Hollis‘ engster musikalischer Partner geworden war, trieben ihre Musik ins Offene, Genres lösten sich in einem Sound großer Freiheit auf.

Es gab keine Singles mehr, und kommerziell nichts zu holen. Das Label drehte den Saft ab. Und Hollis nahm mit Friese-Greene ein letztes Talk-Talk-Album auf, das „Laughing Stock“ hieß und in seiner schwebenden, mäandernden Klangfülle atemberaubend ist. Es erschien auf dem Jazz-Label Verve. Ein Geisterklavier tastet sich durch „Taphead“, eine Trompete findet eine Melodie, von Fern wimmert Hollis. Die sechs Stücke kreiseln und fließen ineinander, wie Blues, Jazz, Spurenelemente klassischer Popmusik und romantischer Klassik ineinanderfließen. Mark Hollis‘ Verzweiflung schien einer konzentrierten Versunkenheit gewichen zu sein.

Paul Webb, Mark Hollis und Lee Harris 1984

Noch einmal, vor nunmehr zwanzig Jahren, gab Mark Hollis ein Lebenszeichen. Er veröffentlichte ein selbstbetiteltes Soloalbum, sein erstes und einziges, ein Werk der Auflösung, eine Musik, die wie eine Libelle in der Luft zu Stehen schien, ein Sound, gegen den „Laughing Stock“ schwer und voluminös erschien. Es sollte Hollis‘ endgültiger Abschied von der Musik sein.

Was Mark Hollis in den vergangenen zwanzig Jahren gemacht hat? Man weiß es nicht. Er bleib für die Öffentlichkeit verschwunden. Die wenigen Vertrauten, zu denen er Kontakt hielt, berichteten, dass er ein bescheidenes Leben führe, ermöglicht durch die Tatiemen seiner Hits, dass er sich für Fußball interessiere und nicht die geringste Absicht zeige, zur Musik zurückzukehren. Ein Syd Barrett der New Wave.

Er starb am Montag, den 18. Februar.

Michael Putland Getty Images
Foto Rob Verhorst Redferns
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