The Mountain Goats
„Through This Fire Across From Peter Balkan“
Cadmean Dawn (VÖ: 7.11.)
John Darnielle hat für seine Mountain Goats ein neues Rock-Musical komponiert.
Der Titel des neuen Mountain-Goats-Albums entspringt einem Traum von Band-Chef John Darnielle: „Through This Fire Across From Peter Balkan“. Mehr als die Zeile ist nicht übrig, als Darnielle erwacht. Um sie nicht auch noch zu verlieren, schnappt er sich schnell sein Smartphone und tippt sie in eine Text-App. Später baut er die Synopsis drum herum: 16 Seemänner, nur drei überleben ein Schiffsunglück, das sie auf eine Insel spült, wo einer von ihnen die Wahnvorstellung entwickelt, dass die Apokalypse unmittelbar bevorsteht. Am Ende sterben alle.
Das geistige Fundament liefern Daniel Dafoe (für die Leseratte Darnielle ein Muss), Lina Wertmüllers Erotik-Drama „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“ und ein Projekt, für das der Songschreiber eine Platte für die einsame Insel auswählen sollte („Marooned: The Next Generation Of Desert Island Discs“ – Darnielle entschied sich für ein CD-Set mit Dionne-Warwick-Aufnahmen aus den 80er-Jahren). Aber im Gegensatz zu vielen Vorlagen will der 58-Jährige, der im Nebenjob drei Romane veröffentlicht hat, seine Geschichte anders erzählen: „In den meisten modernen Versionen dieses Stoffs überlebt jemand. Bei mir gibt es keine Romantik und keine Überlebenden.“ Der Grund dafür sei sehr einfach: „Ich habe mich gefragt, wie es mir in so einer Situation gehen würde. Ich kann keinen Unterschlupf bauen, ich kann nicht jagen, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Fisch fange, ist gering.“
Keine Songs, die lediglich dazu dienen, die Handlung von A nach B zu befördern
John Darnielle ist ein wunderbarer Interviewpartner, weil er nicht nur für US-amerikanische Verhältnisse als Intellektueller durchgeht und zu beinahe jedem Thema etwas Erhellendes zu sagen weiß. Zum Beispiel zum Thema Konzeptalben. Von denen hat er immerhin selbst schon ein paar gemacht. Oberste Grundregel: Keine Songs schreiben, die lediglich dazu dienen, die Handlung von A nach B zu befördern. Weil: „Dann sieht man die Arbeit hinter dem Gesamtkunstwerk, das zerstört die Illusion, den natürlichen Fluss.“ Zwar habe er für „Through This Fire Across From Peter Balkan“ manches geschrieben, was in diese Kategorie fällt, aber das schlummert im Archiv. Wie kam sein Unterbewusstsein überhaupt auf den Namen Peter Balkan? „Ich habe eine Zeit lang viel serbische und kroatische Literatur gelesen“, erklärt Darnielle und zeigt auf einen Teil seines imposanten Bücherregals.
„Peter Balkan“ ist als Musical konzipiert. Bereits das letzte Mountain-Goats-Werk, „Jenny From Thebes“ (2023), hatte Darnielle als „Fake Musical“ bezeichnet. Er liebt Musicals, vor allem „Godspell“, die Off-Broadway-Stücke des Songwriting-Gespanns Rodgers und Hammerstein und alles von Stephen Sondheim. Eine Weile teilte er diese Leidenschaft mit seinem Sohn, doch der pubertiert jetzt und entwickelt eigene Interessen. Für „Peter Balkan“ konnte Darnielle den Musical-Komponisten Lin-Manuel Miranda („Hamilton“), den früheren Replacements-Bassisten Tommy Stinson und die Harfenistin Mikaela Davis gewinnen. Die Platte ist opulent orchestriert und wurde im Dreamland Studio von Schlagzeuglegende Jerry Marotta mit allerlei klangtechnischen Finessen ausgestattet. Die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen dem 23. Mountain-Goats-Album und großen Musicals besteht jedoch im Storytelling, in Darnielles Talent, packende Charaktere zu schaffen, Figuren, denen man gebannt beim Scheitern zuschaut. Das setzt die Fähigkeit voraus, aus sich selbst herauszutreten und sich in andere hineinzudenken.
Keine Bekenntnislieder
Womit wir bei jener Sorte von Songs wären, mit denen der Mann so seine Problemchen hat: „Bekenntnislieder schrumpfen das Universum und verorten es im Sprecher. In einem Zeitalter, in dem wir uns ständig selbst fotografieren und in Szene setzen, möchte ich umso mehr Geschichten erzählen, die nicht von mir handeln. Außerdem stört mich an Bekenntnisliedern, dass solche Songwriter oft erwarten, dass andere sich für ihre Gefühle interessieren.“
Schließlich gesteht Darnielle mit einem Lachen: „Wahrscheinlich habe ich eine Aversion gegen Bekenntnislieder, weil ich im Kalifornien der Siebziger aufgewachsen bin.“ Neil Young sei eine positive Ausnahme: „Obwohl er über sich selbst schreibt, hat man nie den Eindruck, dass er sich oder seine Gefühlswelt ins Zentrum rückt. Er will, dass du die Musik fühlst, dass du fühlst, was er fühlt, aber nicht, dass du Mitleid mit ihm hast.“ Darnielle meint, in den Achtzigern sei die Kunst, eine Geschichte zu erzählen, aus der Rockmusik verschwunden und in den HipHop abgewandert. Mit „Through This Fire Across From Peter Balkan“ findet sie noch einmal zu alter Rockmusik-Hochform.
Diese Review erscheint im Rolling Stone Magazin 12/2025.