U2

All That You Can’t Leave Behind

Universal

In den Augen ihrer Fans war "die beste Band der Welt" wieder da – zurück im Job. Dabei ist mindestens die komplette zweite Hälfte des Albums eine Enttäuschung.

War die Situation wirklich so dramatisch? „Wir möchten uns ein zweites Mal bewerben“, kündigte Bono vor Veröffentlichung des Album „All That You Can’t Leave Behind“ an. „Für den Job der besten Band der Welt.“

U2 hatten ihren Status als  „besten Band“ zuvor verloren. Jedoch nicht im Kampf gegen andere Künstler, den Titel hätten sie gegen sich selbst verspielt. U2 waren unzufrieden mit ihrem 1997er-Album „Pop“, das sie ihrer Ansicht nach unfertig veröffentlicht hatten, weil die wenig später startende Welttournee bereits gebucht war (für ihre „Best Of 1990-2000“ sollten sie einige Songs davon sogar neu aufnehmen).

Dazu mochten Bono und Kollegen auch nicht mehr hinter dem Image stehen, das sie mit „Pop“ aufgebaut hatten. Eine Vielzahl dieser Songs war zynischer als die von „Achtung Baby“ (1991) und „Zooropa“ (1993) – „Pop“ vereinte Konsumkritik, Disko-Anleihen und launische Betrachtungen einer amerikanischen Gesellschaft, die sich zwischen Jesus und Hedonismus nicht entscheiden kann. Die dazugehörige „Popmart“-Tournee fuhr eine Diskokugel in Zitronenform auf, einen halben Bogen des McDonalds-Logos, sowie The Edge im Village-People-Kostüm und Adam Clayton mit Anti-Anthrax-Maske.

U2 wollten nicht mehr diejenigen Künstler zu sein, die sie in den Achtzigern waren: ernst, christlich, aufrichtig.

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Als „All That You Can’t Leave Behind“ im Jahr 2000 erschien, war Bono 40 Jahre alt. Vielleicht wollte die Band Weichen stellen, damit sie den nahenden Herbst ihrer Karriere meistern würde. Die Rückkehr zum „klassischen U2-Sound“, die Delays, große Chöre, Rocksongs, bescherten den Musikern tatsächlich für weitere neun Jahre, bis zum zwiespältig aufgenommenen „No Line On The Horizon“, eine Festanstellung als beste Band der Welt.

Der Preis dafür war hoch: Viele der Lieder auf „All That You Can’t Leave Behind“, mindestens die komplette zweite Seite des Albums, waren vorhersehbar, eine Enttäuschung.

Reiseführer

Man kann über Frieden singen und sich ihn wünschen. Einen Song aber „Peace On Earth“ zu nennen – und so klang er dann auch – bedient jedes Klischee, das Bono seit seinen Amnesty-Einsätzen von 1986 stets versucht hat zu umschiffen, inklusive „Sick Of The Sorrows, Sick Of The Pain“-Phrase. „When I Look At The World“ beschreibt zwar weniger gottgleiche Perspektiven (in dem Lied geht es um Verständnis für den Partner), dafür klingt die Brian-Eno-Produktion wie ein gemütliches, breit gesessenes Outtake von „Achtung Baby“ – nicht gut.

Mit „New York“ setzen U2 ihre Hommage an USA-Metropolen, wie in „Miami“ auf „Pop“, fort. Bono hat sich hierfür anscheinend in Reiseführer eingelesen: „The Irish have been coming here for years/ Feel like they own the place/ They got the airport, city hall, concrete, asphalt, they even got the police.“ Midlife-Crisis deluxe gibt es gar in „Kite“, als Bono zur Slide-Gitarre klarstellt: „I’m a MAAAAAAAAAAN, not a child.“

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Die Stärke des Albums liegt in den Songs der ersten Hälfte: „Beautiful Day“ war zu Recht ihre große Comeback-Single, Bono und The Edge sind mit ihrem Chorgesang auf der Höhe, Larry spielte die Bassdrum – entgegen des Rates von Eno – in kürzeren Abständen durch. Bono selbst räumte die Nähe des Lieds zu „The Sun Always Shines On TV“ von A-ha ein, was die Angelegenheit nicht unsympathischer machte.

Stehaufmännchen

Auch „Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of“ enthielt starke Anleihen; hier war es Curtis Mayfield mit „People Get Ready“, der Pate stand. Dieser Gospel-Song von U2 ist bis heute für viele Menschen Motivation, klassisches Stehauf-Männchen-Material. Und dann gab es noch „In A Little While“ – ebenfalls ein Gospel, den U2 zum einzigen Experiment des Albums bewegte, in dem sie unter die Melodie einen HipHop-Rhythmus legten.

Die besten Songs überhaupt sind diejenigen, die eine unbeabsichtigte neue Bedeutung erhalten, die dann ins Rock-Lexikon eingeht: „In A Little While“ soll, so erzählt es Bono bis heute, Joey Ramone im Sterbebett als vorbereitendes Lied gehört haben.

Aber auch Albernheiten wie „Elevation“, in dem Bono, einem Kinderreim gleich, fast einen kompletten Vers durchreimt („Hole“, „Mole“, „Sun“, „Gun“ etc.) und die Band dazu das Blur-Whoohoo durchzieht, kam bei den Stadionbesuchern gut an.  In den Augen ihrer Fans war „die beste Band der Welt“ wieder da – zurück im Job.

Eine Weiterbildung lehnen die vier Angestellten von U2 jedoch bis heute ab. Anscheinend empfinden sie ihren Job immer noch als krisensicher.