Roger Waters live in Berlin: Symphonie des Grauens

Nach heftigem Sperrfeuer aus Politik und Gesellschaft entpuppt sich der Pink-Floyd-Mitgründer bei seinem Konzert in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin endgültig als musizierender Reichsbürger.

Am Tag des Konzerts gibt es noch ein wenig Symbolpolitik. Der neue Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) verurteilt per Presse-Meldung den Waters-Auftritt: „Den Auftritt eines Künstlers wie Roger Waters, der Ballons in Schweineform mit Davidsternen aufsteigen lässt, verurteile ich auf das Schärfste. Denn diese Aktionen – genau wie die BDS-Kampagne, der er nahesteht – sind nichts anderes als antisemitisch.“

Gut gebrüllt, Löwe! Dirk Stettner, ein weiterer Politiker der CDU, will den Auftritt des 79-Jährigen gar canceln. Willkommen zum Berliner Schattenboxen!

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Denn unter den Mahnern und Raunern müsste sich eigentlich herumgesprochen haben, dass ein Gericht in Frankfurt das Verbots-Ansinnen der Stadt Frankfurt als Betreiber der örtlichen Festhalle bereits im Vorfeld des Gastspiels am 28. Mai abgebügelt hat. Und der zitierte „Davidstern“ ist längst nicht mehr Teil des Waters-Programms.

Zwar fliegt nach der Halbzeitpause der „This Is Not A Drill“-Tour das berühmte Gummischwein durchs weite Rund. Doch statt religiösen Symbolen werden nun US-Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin schweinetechnisch gebrandmarkt. Die dort stattdessen aufgemalte Großbuchstaben-Parole „Steal From The Poor – Give It To The Poor“ wirkt bei Waters zudem doppelt verquer.

Wer gibt da den sarkastischen Robin Hood? Ein musizierender Agitator mit „Ich-Habe-Recht!“-Dauermodus, der ein vorsichtig geschätztes Vermögen von rund 250 Millionen Dollar besitzt! In Geldfachmedien ist die Rede von Aktien-Deals und Großgrundbesitz. Dazu gesellt sich der lukrative Teilverkauf der Songrechte von Pink Floyd. Das alles im Hinterkopf beim merkwürdigste Großkonzert der letzten Jahre: Willkommen zur absurden Polit-Show des Mega-Multimillionärs.

Wer nur Pink Floyd hören will, ist nicht erwünscht

Eine Bühne in Kreuzform steht inmitten der gut gefüllten, aber nicht knallvoll ausverkauften Halle. Das Publikum ist bis auf Ausnahmen nicht als Fan-Publikum zu identifizieren, der T-Shirt-Faktor erstaunlich gering. Bei Helene Fischer oder der Pferde-Dressurschau „Apassionata“ dürfte der Faktor an Style und Glam deutlich höher liegen. Ein mittelalter Herr trägt ein Ringelhemd mit der Aufschrift „Third Man Records“. Wenn das Jack White wüsste…

Auf der riesigen LED-Lichtgebilde, der ab dem Auftaktsong „Comfortably Numb“ über dem Maestro, seine sieben Mitmusiker und zwei Background-Sängerinnen schwebt, werden die Fronten gleich zu Anfang geklärt. Wer lediglich gekommen ist, um in guter, alter Pink-Floyd-Seligkeit zu baden, soll sich „an die Bar verpissen“. Roger Waters will alles von seinen Jüngern. Per LED wird auch verkündet, dass das Frankfurter Urteil zum dortigen Konzert geklärt hätte, dass er KEIN Antisemit sei. Was allerdings NICHT Bestandteil der Urteilsbegründung gewesen ist. Waters macht sich die Sachen passend, wie es ihm passt.

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Dazu ein Zitat aus einem Report von der Website des Hessischen Rundfunks: „Die vom Verwaltungsgericht Frankfurt zitierte NS-Symbolik entstammt dem Album „The Wall“. Sie wird seit langem auf Konzerten zu den Songs „In the Flesh“ und „Run like Hell“ auf Leinwände projiziert und soll autoritäre Ideologien und blinde Gefolgschaft karikieren. Verständlich also, dass das Gericht sie im Kontext der Festhallen-Geschichte zwar kritisiert hat, sie aber als nicht justiziabel einstuft…“

Es ist einfach nicht unmöglich, einfach nur auf die Songs zu achten und sich Musikkritiker-mäßig an dem klaren und satten Hallensound oder dem exzellent gespielten Gitarren-Gegniedel zu erfreuen. Ein fitter Waters beackert ganz in schwarz die verschiedenen Bühnen-Ausläufer wie ein evangelikaler Prediger in den Südstaaten. Wiederum nach dem etwa zwanzigminütigen Break gibt er im langen Ledermantel mit roter Armbinde den irren Diktator. Eine Mischung zwischen Reichsbürger-Gala und Reichsparteitag.

„Sheep“ ist das neue Schwein

Selbst die historischen Film-Einspieler aus der crazy-psychedelischen Ära von Pink Floyd gerinnen angesichts der Dauer-Agitation zu Erinnerungs-Beton. Per LED-Ansage vereinnahmt Waters selbst das legendäre Ex-Mitglied Syd Barrett, der 2006 psychisch umnebelt verstarb und sich somit gegen diese Geschichts-Klitterung nicht wehren kann. „Syd & I“ wird wiederholt optisch versendet. Schlagzeuger Nick Mason oder Gitarrist David Gilmour bleiben dagegen unerwähnt; während ein längliches Medley aus den Pink-Floyd-Klassikern „Have a Cigar“, „Wish You Were Here“, diverse Parts von „Shine On You Crazy Diamond und zuletzt „Sheep“ routiniert und musikalisch tiefer gelegt aufgeführt werden. „Sheep“ ist übrigens das neue „Schwein“.

Es fliegt als von einer Drohne gesteuerter Ballon umher und symbolisiert, frei nach George Orwells „Animal Farm“, die dumme, dumme Masse, die irgendwelchen bösen Regimen und Volksverdummern folgt.

Waters schmeißt sich in seinen Ansagen und Einspielern allerlei unverdächtigen Persönlichkeiten wie Anne Frank, Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder oder Jean-Luc Godard an den Hals. Er streitet für Rassismus-Opfer wie George Floyd und garniert das mit furiosem Anti-Amerikanismus aus dem bewährten Querfront-Baukasten von Antifa bis AfD. Mit Furor geißelt er alle US-Präsidenten der letzten fünf Jahrzehnte samt und sonders als „Massenmörder“ und „War Criminals“. Ronald Reagan etwa „killed 30.000 innocents in Guatemala“, not to mention El Salvador Nicaragua and Honduras“.

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Man fragt sich: Wem erzählt er das? Seinem Goldkarten-Publikum im abgesperrten Premium-Sektor auf den Stuhlreihen vor, links und rechts der Bühne?

Es setzt zumeist höflichen, aber nur teilweise euphorischen Beifall, wenn etwa das Reizwort „Palästina“ fällt oder die Lacota-Sioux mit einer Piano-Ballade bei ihrem Aufstand gegen den Landraub irgendwelcher US-Behörden nebst Prügelpolizei unterstützt werden.

Toxische Mischung

Roger Waters ist der Typ an der Bar, der einfach nicht aufhören kann, noch eine Story von der Schlechtigkeit dieser Welt zu erzählen. Und noch eine. In enger Verbindung mit der jahrzehntelangen musikalischen Ära von Pink Floyd ist das eine wahrlich „toxische“ Mischung. Das ursprüngliche Gummischwein von der Londoner Battersea Power Station war zum Erscheinen des Albums „Animals“ im Januar 1977 purer (Luxus-)Pop. 46 Jahre später ist es zu einem Symbol der Waters-Starrsinnigkeit geworden.

Selbst wenn man die (oft auch wohlfeile) Kritik an seinen Anti-Israel-Anwandlungen oder dem Putin-Fanboy-Habitus nicht so ernst nehmen will, ist es unmöglich geworden, sich auf die Position des arglosen Pink-Floyd-Gutfinders zurückziehen. Waters scheint nicht mehr zu merken, dass mit er mit seinem selbstgerechten Habitus schlicht nur noch nervt.

Auf der Berliner Ausleger-Bühne wirkt Roger Waters wie die Karikatur eines bösen Rock-Opas. Wenn die Kamera auf sein Gesicht zoomt, sieht man die Blicke und den Gestus eines Getriebenen.

Frank Hoensch Redferns
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