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Ranking: Die Alben von The Cure im ROLLING-STONE-Check

Vor über 40 Jahren begannen The Cure mit „Three Imaginary Boys“ ihre Karriere. Zuerst galt Robert Smith als Ikone des Gothic, dann des „Indie“, schließlich des Gesamtpop. Wir listen Platten und Raritäten von The Cure, die man hören muss.

Essenziell

Three Imaginary Boys – 1979

Das Plattencover mit den Haushaltsgeräten war Tiefstapelei, fast Nihilismus, der den Talking Heads zur Ehre reicht. Aber die Themen waren weltmännischer, als man es dem Ex-Punk Smith zugetraut hätte: ein Hendrix-Cover („Foxy Lady“), Camus („Killing An Arab“), überhaupt die Faszina­tion der Briten für diese Region („Fire In Cairo“). „10:15 Saturday Night“, ein Lied über Eifersucht, setzte den zukünftigen Ton. Die amerikanische Albumversion wurde um jenes Stück aufgestockt, das heute ihr meistgeliebtes ist: „Boys Don’t Cry“. Das im Titel geforderte Gebot sollte Smith natürlich ­brechen, immer wieder.

Seventeen Seconds – 1980

Nach dem New Wave ihres Debüts die entscheidende Entwicklung: Den Stil nannte man Gothic Rock, das Klangbild Gloomscape – als würden The Cure narkotisiert durch ein neblig-feuchtes Feld stapfen. Desorientierung („A -Forest“) und die Beschwörung der Akustik der Natur: „Listen to the silence at night/ Someone has to be there.“ Es ging Smith um nicht weniger als die Verschiebung von Raum, Licht und Zeit, „In Your House“ enthält die perfekten Cure-Zeilen „Pretending to swim in your house/ I change the time/ The hours I take/ Go so slow“. Der neue Bassist Simon Gallup konstruierte dazu eine jener vielen Parallelmelodien, die Smiths Gitarre kongenial begleiten.

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Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me – 1987

„I’ll kiss you from your feet to where your head begins“, jauchzt Smith, schlägt einen Motown-Beat an, verkleidet sich im Video von „Why Can’t I Be You?“ als Teddybär. Schon der Arbeitstitel seines Doppelalbums offenbart Getriebenheit: „1,000,000 Virgins“. Würde er „Kiss Me“ in Gänze aufführen, urteilte er später, wäre Barcelona im Sommer der Ort dafür: rot, laut, feurig. Aber auch großer Pop täuscht nicht über Spannungen hinweg. Smith zerstritt sich mit dem alkoholkranken Kollegen Lol Tolhurst, sang Zeilen wie „You’re useless and ugly“ von Angesicht zu Angesicht, was die siebte Cure-Platte auch zu einem Trennungsalbum macht. „The Snakepit“ nimmt die Ausdehnungen von „Disintegration“ und den Hardrock von „Wish“ vorweg.

Disintegration – 1989

Führt „Herbstblues“-Rankings an, erschien jedoch im Frühling. Außerdem verliefen die Aufnahmen ungewohnt fröhlich. Doch schon das irritierende „Fly Me To The Moon“-Zitat in „Lovesong“ verkündete geplatzte Träume. Der Rest ist Tod – und Leben nach dem Tod. Ertrinken („The Same Deep Water As You“), Untergang in den Vergnügungsmeilen Amerikas („Fascination Street“). Wir hören einige der kürzesten Texte, dafür weitläufige Instrumentalpassagen und Echos – als schaute Smith nur vorbei in einer Musik, die sich nicht festhalten lässt. Ein Lied heißt folgerichtig „Untitled“.

Lohnend

Faith – 1981

Wie „Seventeen Seconds“ ein gelungenes Experiment der Verzerrung. Inspiriert von Mervyn Peakes Fantasy-Reihe „Gormenghast“ um einen Lord, der in einem Schlosslabyrinth magische Messen abhält, komponierte Smith Zermürbungen wie „The Funeral Party“, dessen Titel allein schon das Prinzip The Cure verdeutlicht. „Other Voices“ ist ein neurotischer Angriff auf die Privatsphäre fremder Familien und deren Rituale: „Come round at Christmas/ I really -have to see you/ Smile at me slyly/ Another festive compromise.“ In „Primary“ singt Smith, 22, über die Qual des Alterns und darüber, wie schön Kinder es in ihrer Sorglosigkeit haben. Für ihn stand fest, dass er keine will.

Pornography – 1982

Ausgerechnet dieses klaustrophobische Privatalbum über Depressionen enthält Robert Smiths einzigen Kommentar zu Kriegspolitik in einem Song: „Just a piece of new meat in a clean room/ Soldiers close in under a yellow moon“, assoziiert Smith in „One Hundred Years“ über hundert Jahre Genozid und Terror. Nie klangen Gitarre, Bass, Keyboard und Drumcomputer gleichberechtigter, doch gibt es in dem Song auch Alleingänge mit nur militärisch-präzisem Takt. Die Textzeile „In the hanging garden wearing furs and masks“ klingt poetisch wie eine Erzählung von Edgar Allan Poe, und „A Strange Day“ spiegelt offenkundig Smiths Angst wider, sich bei den Gebrandmarkten anzustecken: „Give me your eyes/ That I might see the blind man kissing my hands.“

The Top – 1984

„Das erste Album, auf dem ich richtig singe!“, jubelte Smith. Auf jeden Fall das erste mit Liebreiz („Dressing Up“), dazu ein hippieskes „The Caterpillar“: Sinnbild für den Wunsch, dass die Inspiration bleiben, nicht wegfliegen und die titelgebende Raupe kein Schmetterling werden möge.

The Head On The Door – 1985

In „In Between Days“ wird Smith verlassen, und anders als in „Boys Don’t Cry“ kämpft er um die Frau. Die Bläser in „Close To Me“ tröten vogelfrei, er atmet den Rhythmus ohne Instrument mit. Trotz Verzicht auf den Bombast zeitgenössischer Produktionen ein Hit – The Cure befanden sich in Chart-Gesellschaft von Whitney und a‑ha.

Ergänzend

Japanese Whispers – 1983

Eine Sammlung von Singles und B-Seiten: Orientierungssuche mit Hommagen auf die Stray Cats („The Love Cats“) und New Order („The Walk“) sowie dem alarmierend schlichten Popsong „Let’s Go To Bed“, Smiths erster Komposition, die er nach dem LSD-Rausch von „Pornography“ mit klarem Kopf geschrieben hatte.

Wish – 1992

Platz 1 der US-Albumcharts, erarbeitet mit durchschnittlichem Classic Rock. „Friday I’m In Love“ wurde zum „Flashdance“ der Neunziger – Zeilen wie „It’s such a gorgeous sight/ To see you eat in the middle of the night“ sprachen Studenten mit zu viel Freizeit genauso an wie die Arbeiterklasse.

Wild Mood Swings – 1996

Mit Samba und Glockentönen aus dem Keyboard reagierte Smith auf das Cool-Britannia-Jahr, dem des Britpop der Gitarren. „It’s got to be jazz, that’s what she wants“, zitiert er sich in „Gone!“ (Original: „Mr. Pink Eyes“, 1983). Ein mutiger Stilwechsel nach dem Erfolg von „Wish“. Das swingende „The 13th“ beschreibt zu Fanfaren einen Mord. Erstmals verloren The Cure einen Teil ihres Publikums. Bis auf „Want“ und „Jupiter Crash“ wird dieses Repertoire heute nicht mehr aufgeführt.

Bloodflowers – 2000

Beeindruckt vom Misserfolg von „Wild Mood Swings“ orientiert sich Smith erstmals an der Vergangenheit. Vielleicht um sicher zu gehen, ordnet er „Bloodflowers“ als Schlusspunkt einer – zuvor von uns Fans nicht unbedingt erkannten – Trilogie ein, zu der weiterhin längst „Pornography“ und „Disintegration“ gehören sollten. Smiths macht ernst und koppelt erstmals keine Singles aus. In ungewohnter Klarheit, also so wenig abstrakt wie nie, singt er vom Verderben: „The world is neither fair nor unfair / So one survives / The others die / And you always want a reason why“. Die deutlichste Verbindung zu „Disintegration“, das er einst mit 29 einspielte, besteht in der Verzweiflung, nun schon wieder ein Jahrzehnt anbrechen zu müssen: „The Fire is almost out“ („39“). Mit dem mehr als elfminütigen „Watching Me Fall“ ist jedoch auch erstmals ein Song dabei, der zwar „Disintegration“-Längen hat, aber erstaunlich träge dahinplätschert.

Misslungen

The Cure – 2004

Anders als es der Titel suggeriert, kein Back-to-Basics-Album, keine Rückbesinnung auf eigene Stärke – sondern eine Anbiederung an „Nu Metal“, produziert von Ross Robinson (Korn, Slipknot). Musik für Tätowierte auf dem Sunset Strip, Smith singt wie sein eigener Doppelgänger auf einer Halloween-Party.

4:13 Dream – 2008

Wie lange wir seitdem auf neues Material warten, verdeutlicht die für dieses Werk initiierte Promotion: Es wurde 2008 noch auf Myspace beworben. Das Album hatte was von Reste-Rampe: „Sleep When I’m Dead“ datierte als Skizze auf 1985, und „Freakshow“ würde Smith, das zeigte der Einbau des Lieds im „Partyblock“ auf den Konzerten, gerne in einer Reihe mit Perlen des Leichtsinns wie „Close To Me“ und „Why Can’t I Be You?“ sehen – ist aber genau das, was es nicht sein soll, nämlich enervierend.

Preziosen

Rares & Coversongs

„See The Children“

Onkel Bob und sein Verhältnis zu Kindern: Seine manische Begrüßung „Hellooo!“ bringt die lachenden, fürs Lied aufgenommenen Kleinen augenblicklich zum
Verstummen. Damals hießen The Cure noch Easy Cure.

„Another Journey By Train“

Die instrumentale B-Seite ist der Nachfolger der wütenden Single „Jumping Some­one Else’s Train“, in dem Smith Trittbrettfahrer attackiert.

„Carnage Visors“

Mit 27:41 Minuten ist dieses Gloomscape- Stück natürlich auch ihr längstes – ein Soundtrack zum gleichnamigen Film des Bruders von Bassist Simon Gallup. Er zeigt Puppen in Verrenkungen.

„Forever“

Glücklich darf sich schätzen, wer das nie als Studioversion veröffentlichte, sich in ein Crescendo steigernde Kuriosum schon einmal live gehört hat – in Deutschland zuletzt 2002 in Hamburg. ­Eine Peel-Session findet sich auf YouTube.

„Do The Hansa“

1977 gewannen sie einen Wettbewerb, durften in den Berliner Studios aufnehmen – und scheiterten. Der Titel kündigt die Parodie an, Smith singt: „Eins, zwei, drei, vier – Platinum all the way!“

„To The Sky“

Das „Kiss Me“-Outtake als Gegenstück zum parallel veröffentlichten „Just Like Heaven“. „Sky“ statt „Heaven“: die Ernüchterung. Smith denkt an Sylvia Plaths „I talk to God, but the sky is empty“.

„Harold And Joe“

Simon Gallup liebte die TV-Soap „Neighbours“, die Figuren Harold Bishop und Joe Mangel. Smith komponierte dazu den Synthie-Pop dieser wunderschönen, ihrer besten B-Seite.

„The Big Hand“

Als Instrumental für ein Solo-Konzeptalbum über das Meer gedacht. Die Gesangsversion als Single-B-Seite beschreibt das Leid, auf ewig ein Junkie zu sein.

„The Three Sisters“

Das Instrumental der limitierten Musikkassette „Lost Wishes“ ist ein Überbleibsel aus den „Wish“-Sessions. Härter als sämtliches Material ihrer erfolgreichsten Platte.

„Hello, Goodbye“

Die letzte Veröffentlichung von The Cure. Paul McCartneys Sohn James spielt Keyboard. Wer glaubt, dass Smith ein „ernsthafteres“ Lied der Beatles hätte covern sollen, hat seinen Drang zum Pop nie verstanden.

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Lektüre

Lol Tolhurst:  „Cured – The Tale Of Two Imaginary Boys“

Mit dem 1989 wegen seines Alkoholismus gefeuerten, später gegen ihn vor Gericht ziehenden Kindheitsfreund Lol Tolhurst hat Smith sich längst wieder vertragen. In seinen Memoiren beschreibt Tolhurst den Kampf gegen Süchte. Rührend ist die Einsicht, er sei nie ein großer Musiker gewesen.

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